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hier schon in praktizierten Rassismus umschlägt. Es ist klar, daß die „Befreiung“ von der Moral in Wirklichkeit eine Unterwerfung unter die hehren Ziele des Imperialismus war und die Subjekte für die bevorstehenden Mordgeschäfte gewissermaßen freistellte. Zwischen Schnaps und Vergewaltigung füllten sie dann die Massengräber. Der Standard beeilt sich, Konrad Paul Liessmanns neuestes Buch geflissentlich zu propagieren unter dem Titel „Moral ist schlechte Verdauung“, was dem philosophischen Gefälligkeitsgutachter die Gelegenheit gibt, wieder einmal die Lanze für Friedrich Nietzsche zu brechen. Liessmann meint: „Nietzsche hat mit tiefenspsychologischen Erkenntnissen viel früher Ernst gemacht als später Sigmund Freud.“ Denn er fragte sich: „Welche geheimen Vorstellungen, Wünsche und Affekte verdecken und beschénigen wir durch unsere Moral?“ Nun denn, möchte man adjoutieren, der Spießer, der heimlich ins Freudenhaus schleicht, ist uns ja schon aus Wagner-Opern bekannt, die rechtschaffene Mordlust der „Jägerei“ hat schon den Hohn Nestroys erregt und die ganze moralisch verbrämte Heuchelei hat Gottfried Keller in den „Leuten von Seldwyla“ hinlänglich in den Mund Richard Wall Kretische Bagatellen Im scheinbar Hitzeerstarrtem Ziegen im Steilhang, eine ist immer voran, erkundet mit ruckendem Gehörn das Terrain: kratzbürstige Pflanzenpölster zwischen Geröll und Felszacken. Die Herde zieht hinterher, verteilt sich, eine fließende, vom Glöckchengebimmel begleitete Bewegung, aufsteigend im flirrenden Gegenlicht Staubwölkchen, die im Handumdrehen der Wind verweht. Helligkeit versiegelt die Flachdächer, vom Auge erfasst Zypressen, Schatten schwinden, etwas knackt und knistert unter den Pinien, in den Hauseingängen, platzende Hohlräume in der Hitze des Mittags. In den Schafen mein grasender Blick, der auf jenen des Schäfers trifft. Er steigt, langsamen Schrittes, vor sich hin. Er weiß mehr von meinem Ziel als ich. Wer geht schon gerne über einen Fußboden aus Treibholz? Gestrandet liegst du in Warteposition, unvereinbar mit deinem Stolz als Gefangener ferner Verheißungen. gelegt. Die Bloßstellung der Heuchelei war von Heinrich Heines Wallfahrt nach Kevlaar bis hin zu Oskar Panizzas Besuch im Himmel ein pulsierendes Thema, so auch fiir Nietzsche, der die Sache gleich dahingehend radikalisierte, daß er alle Moral, so Liessmann, auf unsere Physiologie zurückführte: „Das Gute ist das, was uns schmeckt, was uns Lust bereitet, das Böse hingegen das, wovor uns ekelt ...“ Diese etwas simple, utilitaristische Sicht der Dinge mag für die Phase gelten, in der Nietzsche unter dem Einfluß von Paul Rees „Ursprung der moralischen Empfindungen“ stand; nicht aber will ich Nietzsche vor Liessmanns Vulgarisierung und moralischem Populismus in Schutz nehmen, sondern bloß darauf hinweisen, daß Tiefenspsychologie dort begänne, wo man dem zwanghaften Nachweis eines beschämenden Handlungsmotivs, eines unedlen Beweggrundes auf den Grund ginge, also der Not, aus der sittsame Härte und Moralheuchelei entspringen. K.K. Ach Ithaka! Du und Ithaka! Mit dieser Windel von Segel kannst du Ziegen schnäuzen oder ein Schattentuch knüpfen für deinen kahlen Schädel! Auf nach Lentas Von Mires gekommen, Attention Narrow Bridge, ausgetrocknet das müllgesäumte Flussbett Geropotamos (Georg Psychoundakis, the Cretan Runner, querte nächtens mit einer Handvoll Andarten und britischen Geheimdienstleuten im Februar 1942 bis zur Hüfte im Wasser den Fluss; danach Aufstieg nach Kapetanianä, von der Wehrmacht vertrieben die Bewohner, erschöpft legten sie sich in Betten, in denen es von Fléhen wimmelte). In endlosen Kurven durch die Hügel hinter Phaistos, von den Pick-Ups der Bauern und Schäfer zermahlene Wege, vor dem Zubiss der Ziegen eingehegte Olivenhaine. Strohfarbenes, von Eisengatterzäunen geschütztes kniehohes Gras — wie Hafer auf schlechtem Boden, hügelkuppenweise von Schaf- und Ziegenzähnen bis zum nackten Fels abgenagte, vor Jahrhunderten abgeholzte Hügel, zerfurchtes, ausgedörrtes Erdreich, der Gedanke an Möglichkeiten, an das fruchtbare Land der Minoer schmerzt. Lendas, Lente — das Blau und Weiß der Bauten für Touristen vor ockerfarbenen Felsen, pandemiebedingt leer noch immer, der Löwe ruht in sich, erdmittelalterliche Schiefermassen, verdorrte Thymianbuschen, seine Nase ein senkrechter Pfeiler mit lotrechten Furchen, in der Bucht treiben Bienen auf den Wellen, Schilfblätter und strahlend ein weißer Plastiksack. Richard Wall, Dichter, Künstler und Reiseschrifisteller, zuletzt erschienen: Am Äußersten. Irlands Westen, Tim Robinson und Connemara. Erlangen: Wildleser Verlag 2020. Das Jahr der Ratte. Ein pandämonisches Diarium. Wien: Löcker Verlag 2021. September 2021 27