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abwasch. irgendwer meint, ich sollte versuchen struktur herzustellen. struktur gleitet mir aber durch die finger. ich erinnere mich an meeresstrände und sand und alles, das schmerzt sehr, wie der traum mit den spatzen. an geld versuche ich nicht zu denken. menschen zu begegenen tut mir nicht immer gut. zu sehen wie ihre mechanismen ihnen entgleiten, bringt mich nur zu der erkenntnis, dass auch meine eigenen strategien nicht funktionieren. meine eigenen strategien möchte ich im internet verkaufen. ich verlängere die anzeige immer wieder, aber keiner will sie. der preis ist niedrig, es wundert mich. zu niedrig vielleicht. braco verlangt mehr, aber ich bin nicht braco. nicht zu denken ist schwer. auf einem youtube-channel sieht das einfach aus. die frau hat sicher viele heimliche verehrer, denke ich, weil sie lange beine hat und lange haare. vielleicht schneide ich meine ab. vielleicht ganz, vielleicht nur ein bisschen. ich will raus. der toast brennt an. eine fliege schwimmt in irgendwas, ich rette sie und fühle mich besser. eine andere stirbt, an einem anderen tag aber. an einem, der schlimmer ist als die anderen. später, mich selbst auffangen lernen. habe mich in einem fremden kopf eingemietet, zahle dafür aber nichts. oder aber, es wurde eine art ratenzahlung vereinbart und ich zahle den preis erst, wenn sich jemand in meinem kopf einmietet, tauschgeschäfte. dafür kann ich wenig verlangen denke ich, mein kopf ist nicht im siebten bezirk, balkon habe ich keinen. auch keinen lift. oder wenn, dann nur einen zum rauffahren aber runter muss man zu fuß. ich wohne dort nicht mehr richtig, sondern komme nur alle paar tage, um blumen zu gießen, zu lüften und den müll mitzunehmen. absperren kann man nicht, es ist immer jeder willkommen, nur eben nicht dauerhaft. tauschgeschäfte. als die anderen meinen ich solle mich irgendwo bewerben, starre ich lange ausschreibungen an und telefoniere. auch mutter rufe ich an, wir sagen viel. danach gehe ich laufen. nicht dauerhaft tauschgeschäfte vereinbaren müssen, das wünsche ich mir in einer beziehung wirklich. da bellt ein leiser hund auf der anderen straßenseite oder ist es ein kind? spielen sie miteinander oder laufen einander davon? schwer zu sagen. bei dem versuch mich selbst zu verwirklichen ist mir leider alles runtergefallen, bis heute versuche ich es aufzuheben. wegen der bar aber, in der ich arbeite, und weil ich dauernd abflüsse verstopfe mit eifersucht, passiert das nur sehr langsam. dazwischen räume ich ausserdem in gedanken oft fremde wohnungen auf und das kostet viel zeit und viel geld. da sitzen zwei hasen bei mir auf dem regal und durch diese hasen kann ich die realität beeinflussen. es kommt nur darauf an wie sie sitzen, die hasen. wie sie schauen. wie ich sie hin stelle, das entscheide ich jeden tag neu. oder fast jeden. manchmal lasse ich sie mehrere tage so stehen. mit den blicken zu einander, oder mit dem gesicht zur wand, der eine zumindest. manchmal auch beide. so sehen sie einander nur aus dem augenwinkel. gehe ich laufen, ist alles gut. ich schwitze viel und höre musik. eine freundin von früher ruft an, sie müsse umziehen. mein freund hat mich rausgeschmissen, sagt sie. freund, exfreund, keine ahnung. corona sei ihr egal. oft vermisse ich sie. als wir sechzehn waren, waren wir beste freundinnen. ich koche suppe. mein vibrator geht ein. ich schminke mein kuscheltier. sieht aus als hätte ich 650 000 euro gewonnen. das kommt unerwartet, per mail. denke sie verarschen mich. aus dem augenwinkel sche ich eine sms von einer monika, schwer zu sagen woher ich sie kenne. sie feiert bald geburtstag, ich bin eingeladen. ich werde eine torte backen und i love you drauf 32. ZWISCHENWELT schreiben, mit irgendwas, das man essen kann. dann werden wir sie anschneiden und lachen und jemand wird kerzen ausblasen und jemand wird fotos machen, mit einer camera mit film. manche werden lachen und manche blöd schauen oder sich die finger ablecken oder jemand anderem und dann wird mich jemand fragen, wie heisst du eigentlich. und dann werde ich mir unsere gemeinsame zukunft vorstellen, wie wir uns diese fotos ansehen, in zehn jahren. ich werde auch versuchen irgendwen zu beeindrucken, aber ich konnte nie gut erzählen, nicht so richtig. nicht wie die leute, die strahlen, wenn sie geschichten erzählen und alle hören ihnen zu, wie der frau mit dem grünen kleid. zigaretten rollend und bier trinkend, nur eine person ist dabei, die die augen verdreht und ich weiss nicht, ob sie neidisch ist oder einfach hasst. auch ich höre zu und weiss nicht, ob die erzählte geschichte erfunden ist oder nicht. während leere bierdosen auf den boden fallen und ich nur die münder beobachte und die hände. und meine blicke treffen sich mit den blicken einer anderen, aber ich traue mich nicht so lange hinzuschauen, wie ich gerne würde. ich sehe dazwischen immer kurz weg, auf den boden oder auf fremde tshirts im vorbeigehen. aber sie sieht mich weiter an und ihr blick ist friedlich, nicht fordernd. ruhig und liebevoll und neugierig ist dieser blick auch. wie heisst du eigentlich? fragt sie wieder und ich atme ein. dann aus. und sage den namen, mit dem der kellner mich damals vor saskia ansprach. Ekaterina Heider, geb. 1990 in Irkutsk, Russland, lebt seit 2001 in Wien. 2010 erhielt sie den Jugendpreis der Exil-Literaturpreise. Seit 2011 Studium am Institut für Sprachkunst der Universität für angewandte Kunst in Wien. Publikationen in Anthologien der „Edition Exil, 2009 und 2010 und in Literaturzeitschriften. Startstipendium für Literatur des österreichischen Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur 2011. Hauptpreis der Exil-Literatur‚preise 2012. Ihr erstes Buch „Meine schöne Schwester, erschien 2012. Verstreutes Kann uns das Schicksal verbinden? Macht uns, was uns ohne Ansehen der Person widerfährt, zu einer Gemeinschaft? Was ist Schicksal? Bestimmung, Vorsehung, Notwendigkeit, gar etwa uralte Schuld, die wir miteinander, aneinander büßen? Für die Vordenker des Nationalsozialismus war jede Volks- auch eine Schicksalsgemeinschaft im gemeinsamen Überlebenskampf gegen andere Völker. Ein jeder galt seinem Volke zugehörig durch ererbtes Merkmal. So wären denn auch "die Juden" eine Schicksalsgemeinschaft; gerade areligiöse Menschen jüdischer Herkunft finden oft keinen anderen Ausdruck für ihre Zugehörigkeit zum Judentum: Das Schicksal haben sie mit den anderen Juden gemein. Warum aber sprechen wir nicht besser von gemeinsamem Leid, Leid und nicht Schicksal, das wir teilen und teilen wollen? Leid ist nichts Exklusives. Um zu leiden, bedarf es keiner besonderen Vorzüge, keiner ererbten Merkmale, keiner ausschließenden Zugehörigkeit. Das Leid steht allen offen, ist demokratisch. Anders als ein Schicksal, das unter dem Applaus der Unbetroffenen erfüllt sein will, läßt Leid sich mindern, können wir denen, die Leid zufügen, entgegentreten. Respektieren wir also das Leid: Anders als in der glücklosen Welt des Schicksals verweist es auch aufs Glück.