OCR
unterhalten, ein ganz anständiger Kerl, und er sagte mir, dass es Nazis unter ihnen gab - ich erinnere mich nicht mehr genau, ob er „einige“ oder „viele“ sagte, doch ganz sicher sagte er nicht „die meisten“ -, und dass sie sich natürlich alle als Deutsche fühlten. Es gab eine Küche für alle in Warth Mills; das Essen musste von dort geholt und zu den Tischen gebracht werden, die in unseren Schlafsälen standen. Die Essensverteilung war eine eher schwierige Angelegenheit und es dauerte stets Stunden, bis alle ihr Essen hatten. Das Essen war viel besser als in Ascot — der „Leiter“ der Küche war ein gelernter Koch aus Wien, und die Quantität war meistens, wenn auch nicht immer, ausreichend, die Qualität jedoch war nicht immer gut, es gab kaum Gemüse, kein Obst, zu viel Hering und Bohnen. In Ascot hatte ich nicht viel von Erkrankungen mitbekommen, aber hier erkrankten viele der Männer. Es gab ein sogenanntes Spital, ic. Zimmer, deren Fenster nicht kaputt waren und in denen einige echte Betten standen, aber auch dort waren die hygienischen Zustände schlecht und selbst in relativ einfachen Fällen konnte keine adäquate Behandlung durchgeführt werden; es gab einige ausgezeichnete österreichische und deutsche Ärzte im Lager, die aber nicht tun durften was sie wollten, da stets die Zustimmung des verantwortlichen, aber nicht sehr fähigen englischen Arztes einzuholen war. [sehr schlechte Lesbarkeit im Ts., Pollak berichtet von unzureichender medizinischer Behandlung anhand von speziellen Fällen und Mangel an Bewegung, vor allem an der frischen Luft] Die Stimmung in Warth Mills war sehr schlecht; unser Repräsentant und sein Assistent waren die einzigen, die mit dem Kommandanten sprechen konnten und der Großteil der Insassen hatte Zweifel daran, dass unsere Repräsentanten ihr Bestes taten. Am Anfang hieß es, dass wir nur für kurze Zeit in Warth Mills bleiben sollten, doch es war nun eine Woche vorüber, die zweite hatte begonnen und wir waren noch immer an diesem schrecklichen Ort. Als eine Art von Ventil für unsere Sorgen hielten wir Massenversammlungen in der riesigen Eingangshalle ab, dort wo die Küche war und die Appelle stattfanden, sie waren manchmal etwas turbulent, es gab viel Geschrei und Reden über Demokratie usw.; niemanden interessierte es. Ein- oder zweimal versammelte uns der Kommandant, er wiederholte seine Worte des ersten Tages, er wisse über den sehr schlechten Zustand des Lagers Bescheid und würde es gerne ändern, aber natürlich änderte sich gar nichts, außer dass eine Kantine eingerichtet wurde, in der wir Zigaretten, Seife und ähnliche Dinge kaufen konnten; mit den Briefen war es dasselbe wie in Ascot — von der Außenwelt hörten wir fast nichts, wir erhielten schr wenige Briefe und Pakete. Eines Tages teilte uns der Kommandant mit, dass Großbritannien die französische Flotte gekapert habe,® und wir jubelten und klatschten frenetisch — alle waren natürlich Enemy Aliens. Die letzten Tage durften wir Zeitungen lesen — The Times, keine andere Zeitung, da sie laut dem Kommandanten vertrauenswürdig sei. Wir hörten, dass Gesuche auf Entlassung gestellt werden konnten — auch wenn wir noch immer fast kein Papier hatten, um sie zu schreiben —, was auch viele taten, aber niemand wusste genau, was dabei zu beachten war und ich frage mich, ob diese Gesuche tatsächlich abgeschickt wurden. Aber eine Sache geschah tatsächlich. In einer der Massenversammlungen wurde beschlossen, das Rote Kreuz um eine Inspektion des Lagers durch einen Delegierten zu bitten, das Telegramm wurde wirklich gesendet und einige Tage später kam ein Delegierter; er inspizierte einige der Hallen - nicht alle, nicht die schlimmsten, und ich weiß nicht, ob er die Sanitäranlagen gesehen hat -, aber niemand von uns konnte mit ihm sprechen, da er ständig in Begleitung des Kommandanten war. Nach einigen Tagen folgte noch eine Inspektion durch einen Offizier hohen Ranges, möglicherweise vom Sanitätsdienst, wir erfuhren aber nichts von den weiteren Vorgängen. Uns ging es also immer schlechter, wir wussten alle, dass in einem Lager wie Warth Mills sogenannte Verbesserungen nichts nützten — es gab nur eine Lösung: das Lager zu räumen. Noch besser wäre es aber gewesen, uns freigelassen zu haben, denn wir alle verspürten die Ungerechtigkeit unserer Internierung, vor allem unter Bedingungen, die für Kriminelle zu schlecht gewesen wären. Das schlimmste war eine Nacht, in der einige der Säle während eines Gewitters vom Wasser, das durch die gebrochenen Glasscheiben des Dachs eindrang, geflutet wurden; in diesen Momenten schien ein Aufstand eine reale Möglichkeit zu sein. Die älteren und vernünftigeren Männer hatten damit zu tun, die jüngeren zurückzuhalten; uns wurde gesagt, dass wir den Soldaten gehorchen mussten — und dass sie, wenn nötig, schießen würden, so auch in der Nacht; sollte jemand austreten, um zu den Toiletten zu gehen, mussten wir den Wachen zurufen, um nicht erschossen zu werden. Auch unter diesen Umständen versuchten einige von uns, unsere intellektuellen und moralischen Ansprüche nicht aufzugeben. Es gab Junge, die eine Public School besucht hatten, und einen Debattierklub gründen wollten; ich sollte Vorsitzender werden, und obwohl ihr Ziel nie realisiert wurde — was wohl meine Schuld war, da ich nie eine Public School besucht hatte und mit den Verfahren eines richtigen „Debattierklubs“ nicht viel anfangen konnte — war es ein guter Anfang. Es wurden Vorträge gehalten, sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch, es gab Unterricht und einige Kurse. Das Schlimmste war, dass wir keinen geeigneten Raum hatten. Der einzige Ort im Freien, an dem Vorträge stattfinden konnten, war das Dreieck neben dem stinkenden Kanal, dort hörten wir einige sehr interessante Vorträge von zwei Philosophen, einer aus Wien, der andere von einer deutschen Universität; ich hielt einen Vortrag über „Die Geburt der französischen Nation im Gefolge der Großen Revolution“, ursprünglich anlässlich des französischen Nationalfeiertags am 14. Juli, aber wegen eines tragischen Zufalls war es cher eine Begräbnisrede, da wir erfuhren, dass Petain versucht hatte, die Republik zu ermorden. Es wurden auch Messen für jeden Glauben abgehalten, nicht nur für die orthodoxen Juden, von denen es viele im Lager gab, sondern auch „liberale“ jüdische, katholische und protestantische — wir hatten zwei Priester der „Bekenntniskirche“ '° im Lager. Während einer dieser Messen hielt ein Mann, offensichtlich jüdischer Abstammung, eine endlose Rede, in der er seinen „jüdischen Brüdern“ predigte, dass auch sie im Blut Christi baden müssten — ein fanatischer Missionar im Lager! Immer und immer wieder wurde uns gesagt, dass Warth Mills kein dauerhaftes Lager sei, dass wir bald zu einem anderen Lager gebracht werden sollten, es gab einige Hinweise, dass die Isle of Man unser Aufenthaltsort werden sollte, aber es gab nie Gewissheit darüber, und wir wussten, dass andere Internierte nach Kanada geschickt worden waren und dass manche von ihnen ertrunken waren.'' Zu all unseren Sorgen kam nun die Angst, dass auch wir nach Übersee gebracht werden sollten; wir mussten sogar ein Formular ausfüllen, auf dem ein Punkt die Frage betraf, ob September 2021 37