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dere Formulierung, die die tatsächliche Faktenlage unangemessen widerspiegelt ist die Behauptung, von den australischen Behörden mit offenen Armen empfangen worden zu sein. Nichts wäre weiter von der Wahrheit entfernt. Als man in London herausfand, dass 203 Männer, die bestimmt waren auf die Isle of Man transportiert zu werden, stattdessen von der Dunera mitgenommen worden waren, bot das britische Innenministerium an, einen hohen Beamten zu entsenden, um der australischen Regierung bei der Entscheidung zu helfen wer unbedenklich vor Ort entlassen werden könne. Dieser Vorschlag wurde entschieden abgelehnt. Die australische Regierung teilte London mit, dass das Abkommen lautete, eine bestimmte Anzahl Internierter und Kriegsgefangener aufzunehmen und sie gefangen zu halten bis London bereit wäre sie zurück zu nehmen. Diese Position änderte sich erst als 1942 japanische Streitkräfte in Papua-Neuguinea einfielen und die australische Nordküste bedrohten. (Viel später stellte sich heraus, dass schon eine Entscheidung getroffen worden war, der Norden wäre nicht zu halten und dass, wenn eine Invasion geschehe, nur der nordöstliche Küstenstreifen verteidigt werden sollte.) Da Australien viele Streitkräfte nach Nordafrika geschickt hatte, mangelte es ihnen hoffnungslos an Soldaten. Eine von Schiffsverlusten gelähmte Kriegsökonomie begann generell unter dem Mangel an Arbeitskräften zu leiden. Daraufhin erkannte man, dass unter den Flüchtlingen in den Internierungslagern sich ein unausgeschöpftes Reservoir ungenützter Muskel- und Geisteskraft befand. Die Meisten von jenen, die 1942 noch in Oz interniert waren, wurden freigelassen und viele von ihnen machten Australien nach dem Krieg zu ihrer Heimat. Zurück zur Dunera. Wir gingen von Bord und wurden auf einen Zug verfrachtet. Ältere australische Soldaten, mit denen wir uns schon bald anfreundeten, bewachten uns. Die lange Reise bis zum Endbahnhof in Hay in New South Wales gestaltete sich als eine Mischung aus Besorgnis, Erleichterung und guter Laune. Letztere setzte ein als wir rasch von einer Gruppe Kangaroos überholt wurden. Das lehrte uns schon einiges über die Geschwindigkeit von australischen Zügen in Kriegszeiten und der Geschwindigkeit von Kangaroos. Im Laufe der Zeit wurde die Landschaft sehr trocken und relativ karg. Als wir am Endbahnhof in Hay ankamen, dachten wir in der Wüste gelandet zu sein. Wir mussten noch viel über Australien lernen! Das Lager sah sehr kahl aus: Ein weitläufiges Grundstück war planiert worden und Baracken, die als Schlafräume dienten, gruppierten sich rund um die Gemeinschaftsgebäude wie Waschräume, Speisesäle, eine Küche und, natürlich, die Latrinen. Für viele Soldaten hätte das eine richtig bequeme Unterkunft dargestellt, aber in unseren Augen wirkte es sehr schlicht. Es gab nicht einmal einen einzigen Grashalm auf dem gesamten Gelände. Der Stacheldrahtzaun trug nicht gerade dazu bei den Eindruck eines Wohnkomforts zu erwecken. Das schlimmste Problem für die älteren Insassen und für diejenigen, die nicht ganz gesund waren, stellte das Klima dar: Sehr heiß und sehr trocken. Zumindest gab es keine sichtbare Wasserknappheit. Tatsächlich liegt Hay am Murrumbigee, einem Fluss, der das ganze Jahr über sanft dahin strömt. Später gewöhnten wir uns daran in kleinen Gruppen zum Fluss gebracht zu werden, um zu schwimmen. Ich glaube nicht viele von uns wussten damals, dass das alleine schon von vielen Australiern als ein unerhörter Luxus angesehen worden wäre. Endlich war es uns möglich zu schreiben und unseren Freunden und Verwandten wissen zu lassen wo wir gelandet und was geschehen war. Australische Zeitungen waren zwar verfügbar, aber verglichen mit den britischen in jenen Tagen extrem provinziell. Ich erinnere mich an meine Erheiterung, die zwei nur ein paar Wochen auseinanderliegende Schlagzeilen im Sydney Morning Herald bei mir hervorriefen. Sir Thomas Beecham war in Sydney angekommen, um zu dirigieren. „Weltbekannter britischer Dirigent eingetroffen.“ Nach seiner Konzerttournee ging er an Bord der SS Mariposa, um nach San Francisco zu fahren. (Japan war zu diesem Zeitpunkt noch nicht in den Krieg eingetreten und die Mariposa pendelte mit ihrem Schwesternschiff in Sicherheit, Luxus und hell erleuchtet zwischen Oz und den Vereinigten Staaten über den Pazifik.) In jenen Tagen war es üblich, dass Reporter in den Vereinigten Staaten die Passagierlisten studierten und an Bord der ankommenden Schiffe strömten, die VIPs zu interviewen. „Was halten sie von Australien, Sir Thomas?“ „Ich habe noch nie Menschen getroffen, die sich ihrer kulturellen Rückständigkeit so wenig bewusst waren.“, hatte er, so wurde berichtet, geantwortet. „Drittklassiger englischer Dirigent beleidigt Australien“ lauteten die Schlagzeilen des nächsten Tages. Hay hatte eine Landebahn und es gab tägliche Flüge, durchgeführt mit Douglas DC3 Maschinen, Sydney-Hay-Melbourne-Hay-Sydney. Am Boden konnten wir die Flugzeuge vom Lager aus nicht erkennen, aber wir sahen ihren Landeanflug. Wenn später die Motoren wieder gestartet wurden — damals mussten die Kolbenmotoren vor dem Abflug getestet werden — signalisierte eine rote Staubwolke den Start und Abflug. Von Montag bis Samstag kamen die Zeitungen aus Sydney eine Stunde später an, aber die Sonntagsausgaben trafen erst am Dienstag ein: zu schwer für das Flugzeug, mussten sie mit dem Zug nach Hay gebracht werden, der es vor Dienstag nicht schaffte. Allmählich stellte sich im Lagerleben ein Anschein von Routine ein. Vorträge und Weiterbildung wurden grundsätzlich angeboten. Unter uns waren ältere Menschen, die in unterschiedlich hohen Positionen gearbeitet hatten und in ihrem Metier gut ausgebildet und qualifiziert waren und auf der anderen Seite gab es Jugendliche, deren Ausbildung durch die Ereignisse in Deutschland zu einem jähen Ende kamen. Man könnte das, was da entstand, die University of Hay, New Sout Wales, nennen. Fußballteams wurden gegründet, mussten jedoch wieder aufgelöst werden, da der harte Boden den Bällen, die teuer und schwer zu bekommen waren, zusetzte. Stattdessen spielte man Handball. Für ein wenig Taschengeld bot das Militär unterschiedliche Arbeiten an. Die Möglichkeit außerhalb des Lagers zu sein, verschaffte dem einen zusätzlichen Anreiz. Ich entschied mit für Holzfällen, das erforderlich war, da Holz sowohl innerhalb als auch außerhalb des Lagers als Brennstoff Verwendung fand. Nach einiger Zeit wurde ich recht geschickt darin und die Soldaten waren gesprächig und freundlich. Die Meisten von ihnen waren schon älter und wurden für Auslandseinsätze nicht als geeignet angesehen. Ich gewann die Australier sehr lieb und meine vielen Besuche von Oz haben seitdem an meiner Meinung nichts geändert. Da sich unter uns eine Anzahl älterer Männer, denen es nicht all zu gut ging, befanden, hatten einige Offiziere ... ihre Bedenken geäußert, dass das Lager in Hay ob seines rauen Klimas nicht angemessen wäre. Als Reaktion darauf wurden wir nach Tatura verlegt. Dies ist ein kleiner Ort in Victoria, nahe dem Murray River, inmitten eines Obstanbaugebietes. ... Tatura hat ein angenehmes Klima und das Gras September 2021 45