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Vinzenz Jobst Guttenbrunners „Sehnsuchtsland“ Vor 80 Jahren kam der Kärntner Dichter Michael Guttenbrunner als Angehöriger der 5. Gebirgsdivision der Deutschen Wehrmacht nach Griechenland. Es war nicht seine erste Reise in das Land der Götter und Mythen. Bereits als Schüler hatte er eine Griechenlandreise unternommen und dabei sein Herz in das Sehnsuchtsland geöffnet. Die nun folgenden Erlebnisse aber sollten lebensbegleitend werden und Guttenbrunners Literatur maßgeblich beeinflussen. Zunächst sollen aber einige biografische Details aus den Jugendjahren des Dichters erklärend wirken. Er wuchs mit einem älteren Bruder und einer jüngeren Schwester in ärmlichen Verhältnissen auf. Sein Vater, ein Eisenbahnarbeiter, starb bei einem Arbeitsunfall, als der Sohn zwei Jahre alt war. Beide Eltern engagierten sich in der SDAP/Kärnten. 1922 ging die Mutter eine zweite Ehe ein, aus der sechs weitere Kinder, von denen zwei verstarben, hervorgingen. 1930 übersiedelte die Familie nach Klagenfurt, wo Michael die Hauptschule besuchte und nach kurzer Lehrzeit als Maurergehilfe und Rossknecht arbeitete. Daneben versuchte er autodidakt seine außergewöhnliche zeichnerische Begabung weiterzuentwickeln und sich lesend und elementar studierend fortzubilden. Sein Beitritt zu den Revolutionären Sozialisten erfolgte zu einer Zeit, als diese im Ständestaat bereits verboten waren. Wegen illegaler Propaganda für die Partei wurde er 1935 als 15-Jähriger verhaftet und sechs Monate im Klagenfurter Gefangenenhaus inhaftiert. Für seinen weiteren Werdegang bestimmend wurde unter anderem die Freundschaft mit Wolfgang Benndorf, einem aus Graz gebürtigen Bibliothekar, der Anfang der 1930er Jahre die Studienbibliothek in Klagenfurt leitete. Dieser verhalf Guttenbrunner zu umfassender literarischer Bildung und führte ihn in seinen Freundeskreis ein, dem u. a. der Verleger und Schriftsteller Ludwig von Ficker sowie die Autorin und Karl-Kraus-Vertraute Mechtilde Lichnowsky angehörten. 1937 übersiedelte Guttenbrunner erstmals nach Wien, wo er bis März 1938 die Graphische Lehr- und Versuchsanstalt besuchte. Erinnert man sich an Michael Guttenbrunner, zeigen sich in seinem literarischen CEuvre einige Schwerpunkte, die unschwer erkennen lassen, dass sie ihn von frühester Jugend an — bis ins hohe Alter — begleitet, ja regelrecht gefesselt haben. Einer davon ist Griechenland — wohl nicht nur das ferne Land in der Ägäis; auch nicht nur die kulturelle Keimzelle für die europäische Gesellschaft, sondern vielmehr die sich im Lebenslauf des Dichters ergebenden Verbindungslinien, die ihn im Laufe der Jahrzehnte immer tiefer in den „griechischen Kosmos“ eintauchen ließen. Wann beginnt die Kenntnis dieser Kultur bei Michael Guttenbrunner? Ist es die Bekanntschaft mit dem Leiter der Klagenfurter Studienbibliothek Dr. Wolfgang Benndorf? Sind es die Erzählungen seines älteren Bruders Josef, der sich in dieser Zeit — zu Beginn der 1930er Jahre — als Volksschullehrer ausbilden lässt und in Klagenfurt die Lehrerbildungsanstalt besucht? Beide Jugendlichen verbindet ein intensives Literaturstudium, zu dem freilich auch Einblicke in die griechische Antike zählen. Oder sind es die entscheidenden Augenblicke, als Michael Guttenbrunner von der Verlegerin und Buchhändlerin Edith von Kleinmayr mit einer „unerhörten“ Buchspende beschenkt wird; ein Vorgang, der ihn ganz tief in die klassische Literatur führte. Fest steht — wie eingangs erwähnt -, dass er sich bereits als Ju54 ZWISCHENWELT gendlicher mit den Ländern des Balkans auseinandersetzte. Zunächst vermittelte sein Förderer Benndorf einen Besuch in der slowenischen Stadt Laibach/Ljubljana, wo Guttenbrunner eine Reihe interessanter Persönlichkeiten des dortigen Geisteslebens kennenlernen durfte. Danach — noch als Schüler — die erwähnte Griechenlandreise und schließlich als 22-jähriger Soldat der Deutschen Wehrmacht die deutsche Okkupation am Balkan, die er in einem Text folgend reflektierte: NEUNZEHNHUNDERTEINUNDVIERZIG. Von unserm Vormarsch an den Rand gedrückt, begegnen uns lange Kolonnen gefangener Soldaten. Schwielige Bauernfäuste, Gesichter wie zertriebener Lehm. Kein Blitz in den Augen. Schwere Klumpen, aus dem Boden gerissen, auf müde Schultern gesetzt. Eine Vielzahl verschiedener Volkstypen. Die ganze Männerblüte des Balkans schleppt sich nordwärts: Unwissend, schon versengt von der unbekannten Glut, vom Wut-Schein der eingeprefsten Flamme am Schwalch der Riesenindustrie im sagenhaften nordischen Großreich. Da kostete ich zum erstenmal die Schmach: kommandiert zu sein, und das Grauen: unten anzustoßen, an mir, um den Preis: Getötete zu sehen, und daneben Lebende: ein ganzes Volk von Lebenden und Toten. Ich lernte, was es heiföt: mit der Waffe in der Hand und über Leichen, durch sein Eigentum und seine Enteignung hindurch, an ihm vorüberzugehen.! Mit Abschluss des Balkanfeldzugs Ende April 1941 waren das griechische Festland und die umliegenden Inseln von deutschen Truppen besetzt. Einzig Kreta war noch in der Hand von einem Empire-Verband aus 32.000 Briten, Australiern und Neuseeländern sowie 10.000 griechischen Soldaten und zahlreichen Freiwilligen aus Kreta. Am 20. Mai 1941 begann das größte Luftlandeunternehmen des Zweiten Weltkriegs — die Eroberung des strategisch bedeutenden Luft- und Seestützpunktes Kreta. Mit Malemes im Nordwesten der Insel konnte nur einer der drei vorgesehenen Inselflugplätze erobert werden. Allerdings gelang es den Fallschirmtruppen, über den Flughafen und durch Seelandungen an der nahegelegenen Suda-Bucht insgesamt 14.000 Gebirgsjäger der 5. Gebirgs-Division heranzuführen. Bei der bis zum 1. Juni in zähen Kämpfen erfochtenen Eroberung der Insel glichen die Deutschen die Überlegenheit der gegnerischen Truppenstärke durch eine nahezu uneingeschränkte Lufthoheit aus. Trotz erheblicher Verluste von neun versenkten Kriegsschiffen gelang es der britischen Royal Navy, noch etwa 17.000 Soldaten nach Ägypten zu verschiffen. Die Wehrmacht verlor ca. 6.500 Gefallene oder Vermisste, zumeist Fallschirmjäger. Nach der Einnahme Kretas hatte die einheimische Bevölkerung schwer an ihrer aktiven Verteidigung der Insel zu leiden. Die Militäraktion „Völkerbund“ war das zweite Sonderunternehmen, das die Partisanen aburteilen sollte, die gegen die Besetzung der Insel Kreta gekämpft und dabei deutsche Fallschirmspringer getötet und verwundet hatten. Sie fand vom 1. bis 9. September 1941 statt. Bei einem ersten Sonderunternehmen am 1. August 1941 waren eine Anzahl von Dörfern wie Alikianos am Fuße des Hochgebirges durchsucht worden. Dabei konnten aber nur 21 Personen gefasst werden, so dass das zweite Sonderunternehmen befohlen wurde, das auch in das Hochgebirgsmassiv, dessen Mittelpunkt die Omalos-Hochebene bildet, vordringen sollte. Noch während der Kampfhandlungen begannen die deutschen Truppen Geiseln zu nehmen. Dem Gewaltakt fielen vom Beginn der Invasion bis September 1941 über 2.000 Kreter zum Opfer.? Das war der militärische Rahmen, in dem sich der Soldat Michael Guttenbrunner als Angehöriger der 5. Gebirgsdivision bewe