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irreale Anrufe hin in der Schreibstube gemeldet. Vom Kriegs¬
gericht wurde er zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, wovon er
fünf Monate in einem fliegenden Militärgefängnis in Athen als
Schließer unter erträglichen Umständen verbrachte. Anschlie¬
ßend wurde er einen Monat auf die Festung Glatz verbracht, der
Rest der Strafe wurde ihm auf Frontbewährung erlassen.‘

Ohne Zweifel verfolgte Michael Guttenbrunner das Kriegsge¬
schehen viele Jahre seines Lebens. Erst Jahrzehnte später schil¬
derte und veröffentlichte er seine damaligen Beobachtungen und
Empfindungen. Er war nicht das Musterbeispiel eines diszipli¬
nierten Soldaten, wie er der Wehrmachtführung vorschwebte. Er
missachtete Befehle, sprach dem Alkohol zu, führte aufsässige
Reden, verlängerte eigenmächtig seinen Urlaub, verweigerte den
Gehorsam, beleidigte und bedrohte Vorgesetzte. Aber in dieser
schicksalhaften Zeitspanne seines Lebens, in der Menschenleben
kaum noch zählten, lag seine Bestimmung nicht im Tod, son¬
dern in der Zeugenschaft über das Erlebte.’

Die Gedichte aus dem Band Schwarze Ruten, seiner ersten Ly¬
rik-Veröffentlichung aus dem Jahre 1947, sind ausnahmslos in
den Jahren 1938-1945 entstanden. Es sind darunter auch Rap¬
porte von der Front, Gedichte, die bewusst mit starken Mitteln
arbeiten, mit naturalistischen und expressiven Elementen, die der
drastischen Überhöhung des Ausdrucks dienen. Die Drastik ist
jedoch nie Selbstzweck oder bloßer Effekt, sie hat eine katharti¬
sche Funktion. Sie will das Elend, die Gewalt, den Dreck, das
Zerstörerische und Entmenschlichte des Zustandes Krieg vor
Augen führen. Gedichte wie Der Verwundete, Schlachtfelder, Tote
Soldaten sind die denkbar stärksten Antithesen gegen eine Hero¬
isierung des Krieges. (Amann)

ATHEN IM SCHNEE

Im ersten Winter nach der Niederlage

fiel Schnee; ganz Attika

war weiß und kalt und voller Hungersnot.

Die Armen, barfuß, hohl und bis auf die Knochen,
mit Bäuchen, von der Seuche aufgebläht,

sie essen Gras, Abfall und Aas

und alles, was der Hunger ohne Ekel

verschlingt, und fallen um

und sterben wie die Fliegen.

(MGGD/287)®

Aber aus Guttenbrunners Annäherung an Griechenland gin¬
gen nicht nur Gedichte hervor, die das monströse Kriegsdrama
in vielen seiner Details bleibend festhielten. Vielmehr nahm er
in einem Akt emotionaler Wiedergutmachung für sich in An¬
spruch, Griechenland geographisch, historisch und literarisch
auf die Spur zu kommen, und zwar jenseits der Debatte um die
„Sehnsuchtsländer der Klassik“. Dabei erkundete er das byzanti¬
nische Hellas ebenso wie die neugriechische Literatur von Nikos
Kazantzakis bis Jannis Ritsos. Guttenbrunner, der Griechenland
in seinem Werk ernsthaft rezipierte, entwarf das Bild des zeitge¬
nössischen Griechen bzw. das Griechentum im Gegensatz zum
Deutschtum, wobei er den ungebrochenen Freiheitswillen der
hellenischen Kultur auf den literarischen Altar emporhob.

DIE GRIECHEN. Sie tanzen, nur wenige Schritte wechselnd. Das
ist der Stamm ihres Tanzes. In einem Sturm der Verzweiflung, reich
an Blüten und Früchten, bilden sie eine zweite Figur, indem sie,
also schreitend, gegabelt und verzahnt, einzelne Glieder, Brust oder
Schulter, festhalten, als wären sie Stein, während andre, gegenüber¬

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liegende Teile, auf Leibeslänge wie Wasser und Feuer streiten. Sie
lassen einzelne Muskeln wie Wellen in harten Rinnen laufen. Du
siehst den Schlangengang des Aals, die gebogenen Sprünge des Lach¬
ses, das Schwirren dicker Saiten unter den rupfenden Klammern
spielender Finger. Das Auseinanderrollen gelöster Kettenringe. Die
Bewegung wechselt das Feld, der Gegensatz bleibt. Hier steinerne,
lauernde Totenstarre, vom schaukelnden Fuß in die Runde getragen;
dort rhythmisch rieselnde Schilde. Über zuckenden, pochenden Trit¬
ten trommelndes Saitenspiel. Es läuft in Windungen rings um den
runden Bau, der sich im Takt der Wechselschritte dreht. Es ringelt
sich gratförmig vom Rücken zur Brust. Es wallt auf dem Bauch wie
Feuerdampf und fällt in Güssen auf den schwingenden Schenkel.
Um den Gürtel gestaute Flut. Auf und nieder steigend, von der Fer¬
se, vom Nacken, drängt es sich einmal langsam, lehmaufwühlend,
fort; dann wieder fährt es, im Zickzack des Blitzes, nieder.

Aber reichten die Erlebnisse und Eindrücke dieses einen Kriegs¬
jahres für den Dichter, um sich sozusagen lebenslang mit diesem
Land, seiner Geschichte und der Mentalität seiner Bewohner der¬
art intensiv zu beschäftigen? Wohl kaum; zu eingeschränkt ver¬
lief in diesen Athener Monaten der Jahre 1941/1942 seine Wahr¬
nehmung. Das „Sehnsuchtsland“ entstand wohl aus der Summe
jener Erinnerungen, die ihn über viele Jahrzehnte beschäftigten,
um die durch den Krieg verletzte Seele zu besänftigen.

Im September 1942 wurde Michael Guttenbrunner wieder an
die Front abgestellt. Kurz danach ist er in einem Gefecht am
Wolchow durch einen Durchschuß an der linken Hand verwun¬
det worden. Nach dem Lazarettaufenthalt verbrachte er einige
Zeit beim Ersatzheer in der Heimat. Hier erhielt er wegen ver¬
schiedener Widersetzlichkeiten wiederum einige Disziplinarstra¬
fen. 1943 wurde er zu den Landesschützen nach Bosnien versetzt,
und wegen einer Befehlsverweigerung — es handelte sich um sei¬
nen Haarschnitt — krachte er mit einem Leutnant zusammen. Er
stand nun zum zweiten Mal vor einem Kriegsgericht. Diesmal
lautete die Strafe auf zwei Jahre Gefängnis, aber durch die Inter¬
vention von Freunden in der Heimat wurde diese in sechs Mona¬
te Arrest umgewandelt. Danach wurde er zur Frontbewährung
nach Italien abgestellt. Wegen guter Führung sei er sogar zum
Gefreiten befördert worden. Aber als er anlässlich der Generalre¬
volte vom 20. Juli 1944 an seine Kameraden eine aufwiegelnde
Rede hielt und den sich einmischenden Kompanietruppführer,
einen Unteroffizier, vor der Truppe tätlich angriff, folgten für
ihn lebensbedrohende Konsequenzen. Doch der Poet überlebte
die finalen Schrecken des Krieges in einem wohl schicksalhaften
Verlauf, wie er manchen Soldaten bestimmt ist. Geblieben sind
post-traumatische Folgen, an denen der Poet viele Jahre — eigent¬
lich lebenslang — litt, aus welchen aber auch ein Teil seines litera¬
rischen Oeuvres entstehen sollte.

Wie hatte Univ.-Prof. Dr. Holzer in seinem im Jahre 1949 erstell¬
ten Gutachten seinen Patienten Guttenbrunner beschrieben? „Er
ist jedenfalls eine innerlich ungewöhnlich reiche Persönlichkeit,
die gewissermaßen an den innerlichen Flammen verbrennt, in
erster Linie wohl gefühls- und empfindungsmäßig introvertiert.
Seine Gefühle sind tief und intensiv, vor allem aber subjektiv und
kritisch, weniger durch das Objekt als durch die eigenen, oft ne¬

gativen Wertschätzungen angeregt ...“ !

Lehrer, Helfer und Freunde

Für Michael Guttenbrunner begann die lange Reise zur mensch¬
lichen Wiederherstellung bereits 1945, als er den britischen