OCR
cke. Auffallend erscheint in diesem Zusammenhang die typografısche Widmung in seinem zweiten Griechenland-Buch — der Landesstreifung — an seine Tochter Katharina sowie an die „Brüder“ Dimos und Nikos, wobei die ehrenvolle Erwähnung seiner Tochter wohl im gegenseitigen Interesse zum „Sehnsuchtsland“ begründet erscheint. Wie aber verhält es sich mit den „Brüdern“? Den Brüdern Es konnte nicht ausbleiben, dass ein Meister des Wortes wie Michael Guttenbrunner in Wien von etablierten Freimaurern „entdeckt“ wurde. Er war, wie sein Bruder Josef auch, ein belesener Mann. Als solchem blieben ihm Geschichte, Traditionen und Symbole, die Musik, die Bildsprache der Freimaurerei nicht verborgen. Sein Talent, Vorgänge und Zusammenhänge zu beschreiben, Erinnerungen aufzurufen, Wort- und Satzbilder zu entwerfen, hatten bereits die nach 1945 in Kärnten weilenden Künstler wie Anton Kolig, Arnold Clementschitsch, Maria Lassnig und bis zu dessen Bruch mit ihm auch Werner Berg geschätzt. Nun - im Kreise „seiner“ Wiener Brüder — entwickelte er sich zu einem wahren masonischen Meister im Wort. Seine Reden innerhalb der rituellen Zusammenkünfte waren von ganz besonderer Qualität. Immer wieder wurde er gebeten, mehr und neue Themen aufzugreifen, vorzubereiten und vorzutragen. Es ist vor allem die Arbeit an der Sprache, das Denken und Verdichten, das die Teilnehmer der Zusammenkünfte zunehmend zu schätzen wissen. Die Beschäftigung mit den ewigen Symbolen, der Herkunft und dem Fortgang der Menschen, das Wissen um die Schätze der Bibliotheken in Wien und letztlich der Diskurs mit Freunden haben ihn fasziniert und fortwährend beschäftigt. Auch die Möglichkeit, mehrmals während eines Arbeitsjahres wohl vorbereitet vor einem interessierten und aufmerksamen Publikum vorzutragen, mit diesem unmittelbar danach in Wechselreden zu treten, jüngere und ältere Teilnehmer gleichermaßen aufzurütteln, mögen ihren Anteil haben, letztlich fand Michael Guttenbrunner im Kreis dieser Menschen jene Anerkennung, die er zum Ausgleich seiner Stimmungsschwankungen benötigte. Getragen aus den menschenrechtlichen Erfahrungen zunächst im Austrofaschismus, dann im Nationalsozialismus und hier insbesondere in der Besetzung Griechenlands, später noch durch monströsere Kriegserlebnisse gesteigert, orientierte und engagierte sich Guttenbrunner immer wieder an der Aufklärung der Ereignisse im Sinne des freiheitskämpferischen „Nie wieder!“ Er nahm die Entwicklung in der Erinnerungskultur jedoch durchaus kritisch wahr und berief sich in mehreren seiner Reflexionen auf griechische Freiheitskämpfer. In einer Rede vor „Brüdern“ am 12. Dezember 1994 in Villach hob er hervor: Antifaschismus habe nun schon seit vielen Jahren Konjunktur. Aus den Leichenbergen ist ein Bücherberg geworden; und noch ist der völlig unwirksamen antifaschistischen Kundgebungen, der Bekenntnisse und „Feiern“ jeder Art, kein Ende abzusehen, so dass man fast den Eindruck gewinnt: man wolle „alles beisammen haben, wenn alles aufhören soll“. Und er gab seinen Zuhörern die bemerkenswerte, weil auf den Ursprung des Gedenkens gerichtete Empfehlung mit: (...) Einen Toten ehren heifst, sich in seinen Tugenden bestärken. Und Helden ehren, die für die Menschheit gefallen sind heißt, ihren Kampf fortsetzen und für die Begehung ihres Andenkens selbstlos die einfachste Form finden. (...) 58 ZWISCHENWELT lias Kanaris schreibt: „Ich lache, während ich dir schreibe, denn ich will nicht, daß du mich beklagst. Ich will, daß du alle Freunde um den Tisch versammelst und ihnen meinen Brief vorliest, und daß ihr alle auf die Ruhe meiner Seele trinkt. Ich will nicht, daß irgendjemand weint. Ich sterbe für mein Vaterland, und ihr, tut eure Pflicht ebenso. So will ich es — gut, meine Braven! Hebt alle zusammen die Gläser, und trinkt auf die Gesundheit Griechenlands, Englands, und alle, die an uns denken!“ KK Dimitra Tsatsou schreibt: , Meine lieben Freundinnen, Kameradinnen im Kampf für die Freiheit, ich sterbe mit Würde und ehrenhaft wie eine Griechin, ihr verliert an mir eine treue Schwester ...“ An die Mutter: „Mamachen, mit meinem Tod werden deine Töchter alle Töchter Griechenlands, und du wirst Mutter der ganzen Welt, aller Völker die für Gerechtigkeit kämpfen. Und ich bin stolz, nie hätte ich eine solche Ehre erwartet, zu sterben, ich, ein armes Mädchen aus dem Dorf, für so schöne und hohe Ideale ...“ KK Konstantinos Sirbas schreibt: ,, Mein verehrter Vater, in zwei Stunden werden sie mich auf dem Platz hängen, weil ich ein Patriot bin. Da kann man nichts machen. Sei nicht verbittert, Vater, so war es mir beschieden. Ich sterbe in Gesellschaft. Auf Wiedersehen in der andern Welt. Ich erwarte euch dort, und der Tag, an dem ihr kommen werdet, wird ein Festtag des Himmels sein...“ Als am 12. Oktober 1944 die Deutsche Wehrmacht angesichts der sich verschärfenden gesamtstrategischen Lage aus Athen abziehen musste, legte eine Ehrenkompanie am Grabmal des Unbekannten Soldaten einen Kranz nieder, um „zu bekunden, dass die Deutschen nicht als Feinde Griechenlands das Land betreten“ hätten. Verdrängt wurde dabei die Erinnerung an Zehntausende zivile Opfer des Repressalterrors, an die 60.000 jüdischen Opfer des rassistischen Genozids.'‘ Weit über 100.000 Menschen krepierten während der Besatzungszeit elendiglich an Hunger, die Geburtenrate stürzte ins Bodenlose. Jeder dritte Grieche litt an epidemischen Infektionskrankheiten (Malaria, Tuberkulose, Typhus, etc.); in manchen Regionen waren 60-70 Prozent der Bevölkerung betroffen, insbesondere Kinder. Kaum zu berechnen sind die Verluste durch die Hyperinflation sowie die deutsche Zerstörung der Infrastruktur als Folge raubwirtschaftlicher Ausbeutung und systematischer Vernichtung bei Sihnemaßnahmen oder während des Abzuges. Die meisten Eisenbahnbrücken wurden gesprengt, weit über 80 Prozent des rollenden Materials ruiniert oder entführt; 73 Prozent der Handelstonnage versenkt, fast 200.000 Häuser total oder zum Teil zerstért.'” Michael Guttenbrunner war als Person und als Schriftsteller von seiner Herkunft und von den Erfahrungen durch Nationalsozialismus und Krieg geprägt. Sein Engagement ging weit über ein Mitgefühl für die Griechen hinaus. Er identifizierte sich mit der Rolle des Widerständlers aus eigenem, freien Willen. Das Averoff-Gefängnis prägte sich in die Erinnerung des österreichischen Dichters ein als Gedenkort für den Widerstand und die Solidarität unter Widerständlern und Nazigegnern. Aber er gehörte zu jenen, die trotz allem an der Hoffnung festhielten, dass ein menschenwürdiges Leben ohne politische Willkür und öffentlichen Zwang möglich sei. Dafür hat er gekämpft und darin war er vielen, oft auch seinen Freunden, unbequem. Seinen Literaturfreund Lorenz Gyömörey aber hat er über alle Maßen geschätzt, wie der folgende Auszug einer Buchbesprechung zu dessen „Griechenland“ -Buch im Österr. Rundfunk im Jahre 1970 nahelegt: