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schmeidig und rauh klingt; rund und scharf zugleich; geneigt zum Gurren und zu seligem, orgiastischem Schluchzen; doch öfter lautaufschreiend, in langen, immer höher gebogenen Schreien, harmonisch fortarbeitend. Eine starke Stimme; sie kommt gelaufen wie die nackten Läufer auf einem Vasenbild, zugleich „rauchig“, „aromatisch“, „glühende Kohle“, „siedendes Pech“ Frau Manou trug ein helles, nicht ganz eng anliegendes Kleid, lang bis auf die Knöchel., bunt bestickt, über der Brust gefaltet, auf dem Bauch glatt und rund, vom Gürtel in nahezu parallelen und gerollten Falten niederfallend. Es hing ruhig; die Sängerin rührte sich kaum stand wie eine zierliche, bekränzte Säule, auf flachen Sohlen. Faranduri trat als Zweite auf — „die Glocke, die Maria Faranduri heisst“ — „Faranduri, die große Orgel, die Stürme übertönt“ — sie übertönte noch die äußerste Gewalt des Orchesters. Eine große dunkelfarbige Frau, vom Hals bis auf die Sohlen in ein frei umhängendes, in geraden Bahnen niederhängendes, den Körper nicht abzeichnendes Kleid gehüllt, in breiten Querstreifen Weinrot, Kohlschwarz und Schwefelgelb. (Es ist wohl das Kostüm einer Priesterin.) Sie hält sich beim Singen nicht so ruhig wie die Manou; die leicht beweglichen, langen Linien der völligen Umhüllung und ihr düster prächtiger Farbakkord umschwanken die eherne Säulenröhre ihres feuerspeienden Organs. Ein Gesang wie der Abstich eines Hochofens, gespeist aus Tonnen flüssigen Eisens, geschmolzenes Metall, aus dem Bauch eines Kessels, mit unerforschlichem Nachdruck in das Röhrenwerk einer vielfältigen Fontäne gepresst, aus dem es in vollen, einander überquellenden Fluten verströmt, so rot wie schwarz, so heiß wie das frisch vergossene Blut eines Rasenden. Schmerz und Empörung stimmen hier, bei Theodorakis, einen großen, „bergstromähnlichen, starken Gesang an“. Der Sänger, dessen Namen ich leider nicht weiß, (wie heißt er?) tritt gegenüber den Sängerinnen, etwas zurück; es ist ihm nicht dieselbe Leidenschaft aufgetragen, seine Lieder sind nicht so reich in der Bewegung, vergleichsweise geradlinig, ebenmäig; es tönt öfter wie ein Horn, das sich auf wenigen Stufen zu wiederholen scheint, mehr oder wenig anschwellend, von halber Höhe bald wieder zurückkehrend in die verschluckende Tiefe. Er ist nicht schwach, sondern gleichfalls stark, nur durch die Art und den Umfang der Lieder begrenzt, sowie durch das gewaltige Pathos und die Furie der Sängerinnen. Theodorakis dirigiert auf ganz einfache Weise. Die meisten Bewegungen, die er dabei macht, sind geradeaus stoßende und niederstechende, breit seitwärts streichende, fliegende, flüchtige, gerade aus von unten aufgreifende, rasch aufscheuchende, aus der hochgezogenen Schulter und aus dem Ellbogen hervorgehende Tempi. Darin kommt unter anderem etwas zum Ausdruck, was ich das krampfhafte, erschöpfende „Arbeiten“ eines netzumstrickten Reiher-ähnlichen Riesenvogels nennen möchte, der sich, bereits wahnsinnig, bis zur völligen Erschöpfung strapaziert. Stell’ dir dazu noch vor, dass dieser große „Vogel“ bei dieser langen und heftigen Arbeit, auf einem Bein nicht ganz fest steht, es scheint halb gelähmt zu sein, mehr hängend, nebenbei, nicht ganz feststehend neben dem andern, nur leicht aufgesetzt, mit leicht rutschender Sohle, so als hätte er sich einen Dorn eingetreten — mit einem Wort: Iheodorakis steht nicht fest auf beiden Beinen, dadurch steht er schief im Kreuz, was er aber krampfhaft, unter der Bedingung des Erforderlichen, auszugleichen bestrebt ist. Dem Anblick verbleibt gleichwohl etwas Tragikomisches, das den Eindruck des Temperamentvollen noch gewaltig verstärkt. Das Orchester verharrt die ganze Zeit über, und selbst bei der Ent60 ZWISCHENWELT fesselung der äußersten Gewalt, nahezu regungslos. Kaum wahrnehmbar die leise schrammelnde Arbeit der Hand auf den Saiten; nur die Trommelschlägel stehen in einem sichtbaren Verhältnis zum ohrenbetäubenden Krach. Wer weiß nicht, was Musik von Theodorakis ist? Wer hat noch kein Lied von ihm gehört? Du weißt, was sein Name bedeutet und hast seine Lieder gehört. In dem Programm, das er bot, war wenig Wiederholung von Bekanntem, nur er selbst gibt sich uns in seiner Musik naturgemäß als uns bereits Bekannter zu erkennen. Das Meiste war neu, so vor allem ein Lieder-Cyclus nach Texten von Garcia-Lorca, eine Synthese aus Griechischem und Spanischem — großartig! — gesungen von Faranduri; dann ein Cyclus nach Joannis Ritsos vielleicht die schönsten Texte und die schönsten Lieder!- und noch viele andere, einzelne Stücke, die ich nicht näher bezeichnen kann. Eins davon war besonders eindrucksvoll, eine Art „Wahnsinnslied, sehr kunstvoll gearbeitet, „bis zum Zerreißen“ — es heißt „Der Überlebende“. Gemeint ist einer, der, statt tot oder gefesselt zu sein, sich im Exil wiederfindet, und sich, sich selbst seltsamer noch als der Ort erscheinend, an dem er sich befindet, verzweifelt fragt: „Wo bin ich?“ -“ Was ist das für ein Wald?“ — dieser Ort, dieses Land, dieser Zustand! — Ach, ich kann dir sagen: Ich kann das verstehen! — es erinnerte mich an das Gedicht von Viertel: „Wie eine Tote ausbricht aus dem Grabe...“, aber das hält den Vergleich nicht aus. Ein ungeheures Lied. Ich kann nicht mehr genau sagen, ob es dieses war, bei dem das Orchester plötzlich zurücktrat — oder war es bei einem anderen, geschehen ist es: das Orchester hatte kaum vernehmlich intoniert oder es setzte plötzlich aus, war nur noch ein leises Reden — nach dem langen, unheimlichen Ringkampf zwischen den großen Menschenstimmen und den Gigantenlärm der Mandolinen und Trommeln, nach all dem Kampf zwischen Auftauchen und Versinken, stand plötzlich der Mensch allein auf der Bühne - er allein sichtbar, er allein die einzige Quelle, die einzige Kraft, welche noch pocht — und wie! — so dass du sagen musst: Daure Herz, ausdulde die Zeit des Schicksals, Wenn auch einsam!,Stimme geheim, o stimme Deinen bergstromähnlichen, echoreichen, Starken Gesang an! Und das tat sie, sie stimmte wahrlich diesen Gesang an. Es war schauerlich. Zum erstenmal nackt. Die Schönheit zum erstenmal nackt. Das Schöne und das Schreckliche zum erstenmal in einer Gestalt vereinigt, und diese Gestalt die einzige und unverhüllt. Es war eine Stimme, die aus der Tiefe der Erde kam, eine Grabesstimme, die zum Himmel aufsteigt, es war der gottgegebene Schmerz-und Triumphgesang, nach dem Sturmschritt der Furien, vor dem alles ringsumher verstummte. — Ich muss vieles schon vergessen haben, oder es war etwas Erstmaliges, vielleicht Einmaliges. Noch öfter zeigte sich in Musik und Gesang die Quelle unversiegt, der Kämpfer als Künstler und der Sänger als Sieger. Ich sehe noch die Umrisse — verschwimmend — origineller Werke vor mir, und vernehme das Unglaubliche aus dem Munde der Sänger. Dazwischen verlief manches nicht so Erhebliche, bloß Hübsche, Rundtanzende oder nur Schwingende und Stimmende. Die Sänger sind übrigens auch zu zweit und zu dritt aufgetreten. Es war sensationell. Damit ist die Kunst des Komponisten nur angedeutet, der Gesang der Sänger kaum umschrieben - ja, ich möchte bei Theodorakis sogar auf seltene Tugenden deuten; aber jetzt ein Wort von seiner Sünde, von seiner rhythmischen