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tungsbemühungen“ vorhält, die viel von Verzweiflung und wenig
von offensiver Neugestaltung zeigen. Dem stimme ich zu. Immer
noch klingt mir Aharon Appelfelds Satz im Ohr, den er 2010 bei
seinem Besuch in Wien gesagt hat: „Hier riecht es nach Antisemi¬
tismus“, und der ihn später bei unseren häufigen Treffen in Jerusa¬
lem stets die Frage hat stellen lassen: „Wie geht es den Antisemiten
in Österreich?“ Meine Antwort darauf: „Die gute Nachricht: die
alten sterben aus. Die schlechte: junge kommen nach.“

Das zeigt sich heute in Österreich deutlich. Was gegenwärtig an
Politik gestaltet wird, spiegelt Parteiung im engsten Sinn wider,
segmentiert bewusst die Gesellschaft zwischen den „Unseren“
und den „Anderen“, hetzt rhetorisch auf, setzt auf Verdummung,
die regierenden und opponierenden Bildungsabbrechern zupass
kommt, und täuscht unter Anlehnung an sogenannte christliche
Werte vor, man ziele auf weite Horizonte, während man konsequent
nationalistische und parteibezogene Abschottung organisiert.

Im Niedergang des katholischen Christentums in Österreich
erhebt sich eine ähnliche Reaktion, in der sich die gegenwärti¬
ge rechtslastige und rechtsradikale politische Realisierung spie¬
gelt, ebenso wie der fast ohnmächtige, aufgeklärte Widerstand
dagegen: Horizontverengung nimmt markant zu; freundliche
Gesichter sprechen einschüchternde Worte und beleben Denun¬
zierungsvorgänge; sie schöpfen dabei aus ihren geistigen Untiefen
„Machtentfaltung“ und kritisierende Bosheit, die nach Dietrich
Bonhoeffers Einsicht in Widerstand und Ergebung die Dummen
bestimmt’; sie setzen auf einen kleinen Kreis ergebener, gehorsa¬
mer Zugehöriger, auf „eine kleine Herde von Gläubigen, die sich
dem Druck des Zeitgeistes nicht beugt, wie Kurt Krenn, der gute
Kontakte zur Haider-FPO unterhielt, in einem Fastenhirtenbrief
2001 sprach, ehe er drei Jahre später in einem tatsächlich nicht
ganz zeitgeistigen Sexskandal des innersten Zirkels dieser kleinen
Herde unterging. Was mein kirchengeschichtlicher Kollege in der
Auseinandersetzung um den Geserah-Text geschichtswidrig be¬
stritt — die Verbindung von Religion und Politik, weshalb die da¬
malige Theologische Fakultät durch ihre Stellungnahme von 1419
keine Verbindung zur Geserah gehabt hätte, sondern diese Werk
damaliger Politik gewesen wäre -, liegt bis zum heutigen Tag vor.
Die kleine Herde partizipiert an den kleinen und gefährlichen
gesellschaftlichen Verengungen in dem Maß, als sie diese Parti¬
zipation abstreitet, und reaktiviert im Innern jene faschistischen
Haltungen, die jederzeit der Gehorsamsforderung zuvorkommen
und sie erfüllen, wie Max Horkheimer und Theodor W. Adorno
in der Dialektik der Aufklärung nachgewiesen haben. Der christli¬
che Antisemitismus ist deren unmittelbare Folge.

Gehorsam schafft Uniformität, beseitigt Differenz und forciert
eine „Ticketmentalität“, die zwischen „uns“ und den „anderen“
trennt. Diese läuft eben auch und nicht zufällig antisemitisch aus.
Nochmals Dialektik der Aufklärung: „Nicht erst das antisemiti¬
sche Ticket ist antisemitisch, sondern die Ticketmentalität über¬
haupt.“ Als „Wut auf die Differenz“ schafft sie sich Minderheiten,
auf die man eindreschen kann, nachdem gehorsamsgebundene
Urteilsunfähigkeit Denken ruiniert hat und an seine Stelle Ideo¬
logie, Indoktrination und Gewalt setzt. Das antisemitisch degra¬
dierte Minderheitenobjekt — der Jude, christlich gesehen häufig
im Bild des Judas, bis heute Paradigma° — wird also erfunden und
projiziert auf Jüdinnen und Juden der jeweiligen Gegenwart’, die
nachfolgend genau dem ausgesetzt werden, was Katja Rainer die
„unzähligen ‚Wiederholungen‘“ vor und nach 1421 nennt.

An dieser Stelle kommt man unschwer in den ausgehärteten Kern
der antijüdischen Feindschaft des Christentums, wenn man auf

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Ausflüchte und historische Umdeutungen verzichtet und christ¬
liche Selbstapologien unterlässt, ohnedies seit Auschwitz kom¬
promittiert und als erneuerte immens gefährlich. Fünf Hinweise
dazu:

1. Die „Wut auf die Differenz“ unterscheidet Christentum vom
rabbinischen Judentum grundlegend. Rabbinisches Judentum
hebt mit den beiden Gelehrten Schammai und Hillel an, die in
nicht wenigen Fragen in Dissens zueinander standen. Aufgelöst
wurde der Dissens nicht, sondern anerkannt und geheiligt, denn
„jeder Streit, der um des Himmels willen geführt wird, hat blei¬
benden Erfolg.“® Daniel Boyarin nannte diesen Grundsatz das
rabbinische „agreement to disagree.“” Ganz anders das Christen¬
tum: Als es die Möglichkeit fand, sich lehrhaft zu festigen, und
gleichzeitig das Römische Reich unter Kaiser Konstantin eine
einheitliche Religion zu seiner künftigen Reichsgrundlage forder¬
te, trieben die Leute um Bischof Alexander von Alexandrien und
seinen Sekretär und späteren Nachfolger Athanasius eine Unifor¬
mierung voran, die sich neben der Rhetorik manifester Gewalt
durch „violent gangs“'” bediente. Statt der Heiligkeit des Dissens
setzte man dogmatische Lehrformeln, die den Dissens als Häre¬
sie qualifizierten. Das Verwegene an diesen Vorgängen bestand
darin, dass zum einen diese Lehrformel als endgültig festgelegt
wurde und zum anderen diese Festlegung bis zum heutigen Tag
als solche anerkannt wird. Das kommt einer dauerhaften und ge¬
horsam hingenommenen Selbstentmündigung gleich, die auch
angesichts der Unzahl von vernichtenden Gewaltakten, die in
deren Namen gegen jüdische Gemeinschaften verübt wurden, zu
keiner Selbstrevision führt. Umgekehrt: Die auf Gewalt gebau¬
te Uniformierung verlängert dieselbe Gewalt durch Gehorsams¬
bindung ins Mentale, beschränkt Forschung grundsätzlich und
postuliert Unfehlbarkeit von Lehrsätzen unabhängig von deren
Entstehungsbedingungen sowie von deren Wirkungen.

2. Die christliche Antike hat eine Unterscheidung gelehrt, die bis
heute nachwirkt: Historische Juden, v.a. Juden vor Jesus, gelten
häufig als gut und werden von den jeweils gegenwärtigen unter¬
schieden. Lebende Jüdinnen und Juden sind ein Problem, tote
nicht. Der erste Kirchengeschichtler, Eusebius von Cäsarea, hob
demgemäß die gottesfürchtigen Hebräer von den Juden sprach¬
lich ab, die nicht an Christus glauben." Dieser Affekt besteht bis
heute fort. Man feiert die alttestamentlichen Juden und Israel, ok¬
kupiert, wie Klaus Heinrich in seinem Aufsatz Wie eine Religion
der anderen die Wahrheit wegnimmt geschrieben hat, die jüdische
Zentraloffenbarung” und fühlt sich beklemmt, verlegen, peinlich
berührt, unsicher, wenn heute plötzlich ein Jude dasteht. Denn
der theologische und religiöse Betrieb hat sich an die durch die
Schoa bewirkte Abwesenheit von Juden und Jüdinnen gewöhnt,
lebt damit gut und beruhigt und betreibt seinen schalen Philo¬
semitismus am liebsten in der Auslagerung ins Alte Testament,
das im Namen schon das Überholtsein fixiert und die Kreise der
unfehlbaren Lehre aufgrund der historischen Distanz nicht stören
kann. Lehrende der dogmatischen Theologie wiederum kennen
abgesehen von ein paar rasch angelesenen Elementen, die man
dann und wann braucht oder einbaut in Lehre oder Publikati¬
onen, von jüdischer Geschichte kaum etwas und sind bar jeder
Kenntnis der jüdischen Traditionssprachen. Dieses Analphabe¬
tentum ficht nicht an, denn die Grundzüge der verbindlichen
Lehre entstanden ausnahmslos ohne jede Sprachkenntnis des He¬
bräischen oder Aramäischen.

3. Am klarsten zeigt sich das an der antiken Christuslehre, bis
heute verbindlich. Hier gelang der Kunstgriff, nicht nur ohne die