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Hier keine Hoffnung, Kein Oremus. Geduld mit Wissen... Die Folter am Schluß. Sie ist wiedergekehrt. Was? Die Ewigkeit. Es ist das Meer Von der Sonne gefreit. Schande Solange die Klinge nicht Dieses Hirn wird entrinden, Das grünweiß fettige Paket, Mit nie erneuten Winden... Alejandro Laurent Boucabeille „Vamos a Austria mijo... al frio...“ (Ah! Er soll selbst abschneiden sich die Nase, Lippen, Ohren, Den Bauch, und schon hat er das Bein, O Wunder, auch verloren!) Doch nein; im Ernst, ich glaub solang Die Klinge keiner brächte Gegen sein Haupt, kein Stein den Leib, Kein Feuer sein Gemächte Ihm anrührt, muß das dumme Kind, Das lästige, weiter lügen, Muß täglich jeden Augenblick Verraten und betrügen, So wie die Katz des Felsgebirgs Verpestet alle Sphären! - Doch laß beim Tode von dem Knirps Uns ein Gebetlein hören! Das Volk ist jeder, der in diesem Land lebt. Angela Merkel, 26.2.2017 Als ich sechs Jahre alt war, war ich bereits ein Reisender. Ich hatte schon lange Perioden in diesem jungen Leben in Acapulco, Cancün und Mexiko verbracht, hatte in diversen Wohnungen und Häusern gelebt, schon einige schulische Institutionen hinter mich gebracht: Kinderkrippe, Montessori Kindergarten in Cancün und die erste Klasse Volksschule im „Colegio Espanol“ in Acapulco. Ich wusste bereits allzu gut, was Reisen und Umzüge bedeuten. Das vertraute Heim und die Verwandtschaft wurden auf unbestimmte Zeit verlassen, die aufgebauten Freundschaften schienen ein Verfallsdatum zu haben, die Sachen wurden ein- und ausgepackt, vor allem sollte in den Koffern nur das Allerwichtigste mitgenommen werden. Herzliche und traurige Begrüßungen und Verabschiedungen. Meine jungen Eltern, selbst noch Spätjugendliche, wussten nicht wirklich, was sie wollten, und brachten somit viel Konfliktpotential in ihre noch junge Ehe. Da mein Vater kein Mexikaner war, sondern „Ausländer“, er war Südfranzose, aus Toulouse, nahm er seine noch junge Braut in den „alten Kontinent“ mit. Mutter, 19 Jahre alt, hatte noch nie entfernt von ihrer mitgliederreichen Familie gewohnt — etwas ganz Traditionelles und nichts Außergewöhnliches in Mexiko. Zudem hatte sie noch nie fremden, nicht mexikanischen Boden berührt. Der Kulturschock, vor allem damals, zu Beginn der 1980er, muss groß gewesen sein. Da gab es noch kein Internet, keine sozialen Medien, kein Wikipedia, YouTube und dergleichen. Also auch kein Skype, mit dem sie taglichen Kontakt mit der Familie pflegen konnte, oder WhatsApp, um gratis anzurufen. Telefonieren war teuer. Der Zugang zu Wissen und Information war viel beschränkter, vor allem wenn frau aus einer ärmeren Schicht kam. Mutter war zwar wie ihre fünf Geschwister durch die harte und schlecht bezahlte Arbeit meiner Großeltern aus der Armut in der sozialen Hierarchie um ein paar Stufen hinaufge16 _ZWISCHENWELT stiegen, doch war ihr Bildungsniveau repräsentativ für eine mexikanische Großfamilie dieser Zeit. Also gering. Mein Großvater mütterlicherseits konnte nur die Volksschule abschließen. Hector hatte es hart gehabt. Sehr jung, ohne ein eigenes Dach über dem Kopf und ohne besondere Kenntnisse, um sich auf dem Arbeitsmarkt zu profilieren. Er war ein „Bastard“. Sein Vater hatte ihn verstoßen und, wie so üblich in Mexiko, mit einer anderen Frau eine weitere Familie gegründet. So wuchs er mit seiner Mutter in ärmsten Verhältnissen auf und musste schon sehr früh zum Familieneinkommen beitragen. Mit diesem schweren Schicksal und einem enormen Willen im Gepäck, als abgelehnter Sohn in einem so konservativen und traditionellen Bundesstaat wie Guerrero, verließ er seine Heimat auf dem Weg in die große Stadt. Wie so viele Mexikaner wurde auch er ein Migrant. Er kam aus einem Dorf an der „Costa Grandej“, der „großen Küste“, etwa 125 Kilometer nördlich des legendären, prominenten Acapulco de Juarez. Es dauerte nicht lange und sie gingen getrennte Wege. Mein Vater, der jüngste von sechs Söhnen des Paares Valentin Boucabeille und Suzette Frezouls, wurde 1958 geboren, als mein Grofvater Valentin drauf und dran war, sich zur Ruhe zu setzen. Valentin stammte aus einem armen Bergdorf in den französischen Pyrenäen, Suzette aus der Nähe von Narbonne an der Küste. Meine Großeltern väterlicherseits hatten im Gegensatz zu meinen Großeltern auf der anderen Seite des Ozeans, schon viel von der Welt gesehen. Valentin war Soldat. Fast überall, wo er stationiert war, gebar seine Frau einen Sohn — in Paris und in zwei verschiedenen deutschen Städten. Frankreich hielt ja nach dem Zweiten Weltkrieg einen Teil Deutschlands besetzt. Er war auch in Dien Bien Phu dabei, überlebte im Frühjahr 1954 den französischen Kolonialkrieg in Indochina und hatte Asien vielfach bereist. Nun, fast im Ruhestand, war er nach Marokko versetzt worden, weil es in Algerien zu Unruhen gekommen war. Dort