OCR
Mit der Harpune der Sonne Ill Gestaltet von Marcus G. Patka und Alexander Emanuely Robert Streibel Dionysios Charalambous in Stein 1944/45 Im Gefängnis in Stein waren in der Zeit des Nationalsozialismus, Kriminelle aber auch Gegner des Regimes aus vielen Ländern eingesperrt. Tschechen, Slowaken, Kroaten, Franzosen und Italiener sind hier neben Österreichern verzeichnet. Die größte Gruppe stellten die Griechen, die ab 1944 hierher gebracht wurden, wie auch in der letzten Ausgabe der „Zwischenwelt“ dokumentiert werden konnte. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die Dokumentation des Alltages im Gefängnis neben den in den achtziger Jahren geführten Interviews mit rund 20 politischen Häftlingen, die der Verfasser geführt hat, fast ausschließlich über schriftliche Zeugnisse von Griechen dokumentiert wurde. Nach der Übersetzung der Erinnerungen von Nikos Mavrakis ins Deutsche konnte der Verfasser zum Teil mit der Hilfe der Historikerin Annita Panaretou weitere Dokumente ausfindig machen. Eines davon sind die Erinnerungen des späteren Metropoliten von Trikala. Der Journalist Heinz Gstrein, der für die Zeitung „Feuerreiter“ Mitte der 60er Jahre schrieb, entdeckte bei einem Besuch der Meteorakloster die Schriften des Metropoliten von Trikala, Dionysios Jawastas, der zwischen 1942 und 1945 in verschiedenen Lagern und Gefängnissen eingesperrt war. In lockerer Folge publizierte Gstrein Auszüge aus dem Tagebuch, die in der Zeitschrift irrtümlich als „KZ-Aufzeichnungen“ betitelt werden. Diese Artikelfolge ist der erste Hinweis in deutscher Sprache auf die Erlebnisse von Dionysios Charalambous. Nach der Übersetzung des Romans „April in Stein“ über das Massaker am 6. April ins Griechische kam der Verfasser in Kontakt mit Heinz Gstrein, parallel dazu meldeten sich auch die Nonnen jenes Klosters, das der Metropolit von Trikala gegründet hatte. Wer war Bischof Dionysios? Als siebenjähriger musste er 1914 vor der Verfolgung der kleinasiatischen Christen mit seinen Eltern auf die griechische Insel Lesbos fliehen. Nach dem Ende des Krieges kehrten die Eltern in den Heimatort nördlich von Smyrna zurück. Die Eltern und die beiden Schwestern fanden in der sogenannten Kleinasiatischen Katastrophe von 1922 „den Märtyrertod durch die Türken“, Konstantin, wie der spätere Metropolit mit Taufnamen hieß und seine beiden anderen Schwestern wurden gerettet. Mit nur 16 Jahren trat er im Kloster „Große Lawra“ am Berg Athos als Novize ein und wurde bereits ein Jahr später zum Mönch geweiht. Weitere Stationen waren das Priesterseminar in Karyes, die Theologische Patriarchatsakademie in Konstantinopel, die er 1940 als Magister der Theologie verließ. Als Generalvikar wurde er nach Lesbos geschickt, wo er Abt des Leimonklosters wurde. In diesem Kloster versteckte Dyonysios am 21. Mai 1942 einen Englischen Kriegsgefangenen. Nikos, der Fischereiinspektor, hatte den Engländer entdeckt, der aus dem Lager Kalamata entkommen und auf einem Schiff von Athen geflohen ist. Nikos hatte den Gefangenen bei seiner Mutter untergebracht und ersuchte den Abt, ihn für einige Tage im Kloster zu verstecken. Und lehnte ich ab? Dann verweigerte ich die Gastfreundschaft; ich ein Christ, ein Priester, der Abt des für seine Gastlichkeit sprichwörtlichen Leimonklosters. Ich verweigerte meine Hilfe einem jungen Menschen, der alles verlassen musste und hierher kam, um Schulter an Schulter mit den Soldaten meines Vaterlandes gegen die Okkupanten zu kämpfen. (...) Ich habe keine Wahl, ich muss diesen Weg gehen, vielleicht bis Golgatha...’ Der Abt holt die Erlaubnis des Metropoliten ein, „der erst besorgt zögert, dann aber doch zustimmt, dass ich für den Soldaten einen unbewohnten Wirtschaftsraum einrichte.“ Am 25. Mai 1942 notiert Dionysios: „Es ist schwieriger als ich gedacht hatte. Wenn ich ihm wenigstens nicht das Essen bringen müsste! Gestern ertappte mich der Gärtner, und ich konnte mich nur mit Mühe herausreden.“ Zwei Tage später schaut der Engländer, obwohl er davor gewarnt worden war, aus dem Fenster, die Mönche glauben einen Einbrecher entdeckt zu haben. Nur mit Mühe kann ein Tumult verhindert werden. Der Abt informiert Nikos über die gefährliche Situation und so wird beschlossen den Engländer mit Hilfe eines Fluchthelfers aus Sykamia außer Landes zu bringen. Die Gebühr von 10.000 Drachmen steuert der Abt bei. Die Flucht scheitert, da die Türken die Grenze sperren und der Engländer wird in einer Hütte am Strand von Andreas Kyriaku versteckt. Da die Flucht aussichtslos scheint, kommt der Engländer zurück ins Kloster. Am 3. Juni 1942 notiert Dionysios, dass er Pater Eugenios über die Situation informiert, ich „schildere ihm offen die Gefahr, in die wir durch den Flüchtling geraten sind. Doch was immer uns erwartet, jetzt müssen wir durchhalten.“ Am 12. Juni unternimmt der englische Soldat abermals einen Versuch zu fliehen, in einem Boot, das er selbst hergerichtet hat, mit einem Kompass des Fischer Kyriaku und einer Uhr des Fischhändlers Bardanis, doch der Soldat bekommt es mit der Angst zu tun. Am 20. Juni beschreibt er den Engländer als „verschlossen, schwermütig, verdrossen und streitsüchtig“, er spricht auch von Selbstmord. Am 24. Juni wird der Pfarrer des abgelegenen Fischerdorfes Molyvo eingeschaltet, doch die Küstenwache ist aufmerksam und verhindert die Flucht. Die Untersuchung wird ergebnislos eingestellt. Der Pfarrer beruhigt den Abt und versichert ihm, dass auch der Postmeister und Arzt im Ort mithelfen werden, den Engländer in Sicherheit zu bringen. Am 19. Juli ist es jedoch noch immer nicht zum Treffen des Engländers mit den beiden Honoratioren gekommen. Der Engländer berichtet in einem Brief, dass er ein Boot ausfindig gemacht habe, der Besitzer aber dafür 50 Oka Weizen und 12 Oka Olivenöl verlange. „Ich lasse Pater Eugenios rufen und wir kommen überein, auch dieses Opfer zu bringen.“ Auch Anfang August ist der Engländer nicht geflohen. „Ich bekomme zu hören, dass der Bursche immer noch auf der Insel ist. Jetzt soll er in Mytilene sein. Ich bin überzeugt, dass er geschnappt wird.“ November 2021 35