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Kein Monument kann - so viel ist klar —- dem, was den Opfern widerfahren ist, ganz gerecht werden, doch nichts rechtfertigt, sich deshalb der Aufgabe nicht zu stellen. Im Gegenteil: Wer der Ermordeten nicht gedenkt, löscht sie abermals aus und mehrt noch weiter das namenlose Leid. Es geht darum, den Roma und Bernd Zeller Denkmäler Groß-Wien darf nicht Groß-Jerusalem werden. ja in Wien gibt es doch Juden wie Sand am Meere, wohin man geht, nichts als Juden; geht man ins Theater, nichts als Juden, geht man auf die Ringstraße, nichts als Juden, geht man in den Stadtpark, nichts als Juden, geht man ins Concert, nichts als Juden, geht man auf den Ball, nichts als Juden, geht man auf die Universität, wieder nichts als Juden. In Wien muss der arme Handwerker am Samstag nachmittag betteln gehen, um die Arbeit seiner Hände zu verwerten, betteln muß er beim jüdischen Möbelhändler. Der Einfluß auf die Massen ist bei uns in den Händen der Juden, der größte Theil der Presse ist in ihren Händen, der weitaus größte Theil des Capitals und speciell des Großkapitals ist in Judenhänden und die Juden üben hier einen Terrorismus aus, wie er ärger nicht gedacht werden kann. Es handelt sich darum in Österreich vor allem um die Befreiung des christlichen Volkes aus der Vorherrschaft des Judentums. [...] Wir wollen auf dem Boden unserer Väter freie Männer sein und das christliche Volk soll dort herrschen wo unsere Vater geblutet haben.' (Karl Lueger) Darf man von Koinzidenz sprechen, wenn Ereignisse, die durch ein dichtes historisches Netz verbunden und dennoch nicht kausal auseinander ableitbar sind, gemeinsam auftreten? Kann es dort, wo geschichtliche Zusammenhange und Entwicklungen in der Gegenwart wirken, tiberhaupt Zufalle geben? Mégen die beteiligten Personen sich auch nicht abgesprochen haben, das Eintreten zweier Ereignisse nicht geplant sein, spricht vielleicht gerade deswegen die Geschichte aus ihnen und verjagt den Zufall auf seinen Platz beim ersten Eindruck, um einem zweiten, reflektierteren zu weichen, der Griinde fiir Geschehenes sucht und es nicht bei einem Oh! belassen möchte. Die Verantwortung bleibt bei den handelnden Personen, denn sie sind es die historische Verwobenheiten blind unsere Plätze umspinnen lassen, anstatt sie zu erkennen, für alle sichtbar zu machen und mit ihnen umzugehen. Nicht der Zufall lässt zwei Ereignisse zusammenfallen, dieselbe Haltung, derselbe Geist bringt sie hervor. So wurden fast zeitgleich zwei Denkmäler im herbstlaubigen Wien eröffnet: die Namensmauer zum Gedenken an die fünfundsechzigtausend ermordeten österreichischen Jüdinnen und Juden während der Zeit der Nationalsozialistischen Herrschaft und ein Denkmal zu Ehren des früheren Bürgermeisters von Wien, Karl Lueger, der mit antisemitischen Hetzreden die gesellschaftliche Atmosphire verpestete, in der nicht viel später der Nationalsozialismus gut gedieh. Es war natürlich längst an der Zeit den jüdischen Opfern nationalsozialistischer Menschheitsverbrechen ein Denkmal zu errichten, das angesichts der fürchterlichen Größe des Verbrechens alle Ermordeten, soweit bekannt, beim Namen nennt und so auf sie als Individuen mit ihrer je eigenen Geschichte verweist. Das Problematische an der Konzeption des Gedenkens, der Ausschluss von 6 _ ZWISCHENWELT ihrer Erinnerung endlich einen würdigen Platz zuzuerkennen. (23.10.2021) Zuerst erschienen am 24. Oktober 2021 als „Kommentar der anderen“ in „Der Standard“ (Wien) Opfergruppen und das Unzeitgemäße daran legt Doron Rabinovici klar dar. Ergänzend sei dem nur hinzugefügt, dass die Stätte der Namensmauer, die ein Ort des Erinnerns sein soll, eher zum Vergessen einlädt. Überragt von der Nationalbank im Rücken der Mauer, im Schatten der Justizanstalt, dem Haupttor des Gedenkplatzes gegenüber, von der verkehrsreichen Alserstraße begrenzt und seitlich vom Universitätscampus eingehegt, hat man den Platz offensichtlich nach seiner Verfügbarkeit und nicht seinem Zweck entsprechend ausgewählt. Auch die Beteiligung der Firma Mörtingerbau an der Errichtung des Denkmals wirft seinen historischen Schatten auf die Erinnerungspolitik der Regierung, beschäftigte dies Bauunternehmen doch ungarisch-jüdische ZwangsarbeiterInnen, darunter eine eigene Kinderbrigade, um Ziegel herzustellen und Trümmer wegzuschaffen.” Das Fundament der Erinnerungsstätte für die jüdischen Opfer errichtete somit ein ehemaliger Profiteur und eine Firma des nationalsozialistischen Vernichtungsapparates. Zumindest scheint der Name des Unternehmens nicht auf der goldig schimmernden Gedenktafel, die den Errichtern der Gedenkstätte gewidmet wird, auf. Neben dem Initiator, dem ShoahÜberlebenden Kurt Yakov Tutter, der sich jahrzehntelang für dieses Mahnmal einsetzte, prangen zwei Namen ganz prominent eingefräst hervor, fast als stünde man vor einem neu eröffneten Gemeindebau: „Errichtet unter Bundenskanzler [sic!] Sebastian Kurz und Bürgermeister Michael Ludwig“. Die Tafel wird jetzt ausgetauscht. Nicht, um die Geschmacklosigkeit, dass sich hier ein Kanzler, der mit einer durch antisemitischen Ausfällen durchtränkten rechtsextremen Partei gemeinsam regierte, und ein Sozialdemokrat, dem das AusländerInnenwahlrecht ein Unding, hier ein Denkmal schufen, ungeschehen zu machen, sondern bloß um die Peinlichkeit eines Schreibfehlers auszubessern. Selbst der Ort einer Gedenkstätte der jüdischen Opfer der NS-Herrschaft bleibt nicht davor gefeit von der ersten Sekunde seines Bestehens an für politische Eitelkeiten missbraucht zu werden. Hinter der Unfähigkeit sich selbst an einem solchen Ort zurückzunehmen, also recht zu handeln, verschwindet das Unvermögen recht zu schreiben. Ein Lob dem Graveur für seinen kleinen Protest! Der Verdacht, die Gedenkstätte diene nicht vorrangig den Opfern der Shoah und ihren Nachkommen, befällt den skeptischen Beobachter des Geschehens vollends, wenn er von Opferverbänden erfährt, die zur Eröffnung nicht eingeladen wurden. Der KZ-Verband-Wien berichtet auf Twitter: Passend zum 9. November wurde gestern in Wien ein Denkmal an die in der Shoah ermordeten Kinder, Frauen und Männer eingeweiht. Die Eröffnung der Shoah-Namensmauer fand allerdings leider ohne Einbindung der Vertreier*innen von NS-Opferverbänden statt. Daraufhin schenkten solidarische Menschen ihre Einladungskarten dem KZ-Verband, um Nachkommen den Zugang zu ermöglichen. Dies wurde leider nicht akzeptiert, dennoch bedanken wir uns für die solidarische Geste! Den Hinterbliebenen verwehrte man die Teilnahme am ofhziellen Gedenken ihrer ermordeten Verwandten. Für den Besuch des zweiten Denkmals war kein Eintrittsticket nötig. Es gab aber auch keine ofhizielle Eröffnung. Dennoch scheint mir der Entschluss der Stadt