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Wien, das Karl Lueger Denkmal am Dr.-Karl-Lueger-Platz zu belassen einer Neueinweihung gleich zu kommen. Kurz wackelte das Monument des großen Antisemiten und Volksverhetzers, doch nun ist sein Fortbestehen gesichert. Als in den USA und in England die Statuen zu Ehren fragwürdigster historischer Gestalten vom Sockel gestoßen und zu Fall gebracht wurden, stellte sich auch hierzulande die alte Frage: Was tun mit unseren bronzenen Helden? Dank einer KünstlerInneninitiative klebt die Schande dieses Denkmals für die Stadt gut lesbar auf dem Sockel. Und das soll vorerst auch so bleiben. Nicht um weiterhin zu mahnen, zu erinnern, gar sich vom guten Mann zu distanzieren. Eine Reinigung schädige nur weiter die schon angegriffene Substanz des Steins. Außerdem könne er auch jederzeit wieder neu beschmiert werden. So verlautet die Stadträtin für Kultur nach einer Tagung, kritischen Debatten, unterschiedlichen Vorschlägen, wie mit der Ehrung dieses Mannes umzugehen sei. Das Denkmal bleibt. Künstlerisch umgestaltet soll es werden. „Interessant war, dass am Ende klar wurde, dass die Extrempositionen nicht möglich sind“, sagte Kaup-Hasler nun im APA-Gespräch. Den „Vertretern der Cancel Culture“ sei klar geworden, „dass es nicht zum Ziel führt, das Denkmal einfach wegzuräumen“. Das decke sich mit ihrer Haltung, so die Stadträtin: „Wir dürfen nicht alles, was uns stört, aus der Geschichte der Stadt — die auch eine schuldbeladene, eine leidvolle ist — aus der Öffentlichkeit räumen.“® Die Ehrung eines berühmten Antisemiten an zentraler Stelle einer Stadt, in der Juden auf unglaubliche Weise gedemütigt, misshandelt, verfolgt, deportiert und ermordet wurden, zurückzuweisen und daher den Abbau der Statue zu fordern, scheint in Augen der Kulturstadträtin eine Extremposition zu sein. Wem der Kampf gegen Antisemitismus Teil einer Cancel Culture und die Forderung der Entfernung dieses Denkmals zu extremistisch, setzt die Grenzen politischer Gestaltung einer Stadt so eng, dass nur für Kleingeistiges Platz bleibt. Die Extremisten, von denen hier die Rede, sind übrigens u.a. die Jüdische HochschülerInnenschaft und die Wiener Grünen. Allesamt fehlt ihnen offenbar die Einsicht in die Notwendigkeit, wie von allen VerteidigerInnen des Denkmals stets vorgebracht, durch den Erhalt solcher Plätze und Statuen Geschichte nicht zu glätten und auszulöschen. Stöße man Lueger von seinem Sockel, wäre der Platz gar nach einer Widerstandskämpferin benannt, geriete unser geschichtliches Erbe in Vergessenheit und wir schlenderten durch eine Stadt, die ihre dunkle Vergangenheit verleugne. Erst das Fortbestehen des Ungeists gebannt in Bronze und Stein beschenke uns mit der Möglichkeit sich mit den Widersprüchen unserer Geschichte auseinanderzusetzen. Doch vermag allein der Anblick edler Steinskulpturen von unedlen Gestalten, der Gang durch Gassen, die ihre Namen tragen, unsere Gedanken zu schärfen? Lustwandelten besorgte BürgerInnen im Gespräch vertieft über die Unmöglichkeit der Aufnahme auch nur eines weiteren Flüchtlings, der so gar nichts mit unserer aufgeklärten Kultur anzufangen wüsste, am Denkmal des Volkstribuns vorüber, gerieten sie ins Stocken, gedächten unserer Geschichte und dem großen Mann mit dem kleinen antisemitischen Schönheitsfleck, um am Ring dann der Stadtmauer sich zu erinnern, die dem Ansturm der Türken so vorbildlich standgehalten hatte. Mit stolzgeschwellter Brust, im Bewusstsein einer ehrwürdigen Tradition der Verteidigung des Abendlands anzugehören, liefen sie durch das gute alte neue Wien. Und hätten nichts verstanden. Ist für das Wachhalten geschichtlichen Bewusstseins die Ehrung der Täter unter Anbringung kritischer Täfelchen oder gar einer künstlerischen Kontextualisierung unumgänglich? Jeder Platz der der Opfer gedenkt, hält auch die Erinnerung an die Täter wach. Wo von Ermordeten gesprochen wird, ist die Frage nach den Mördern nicht weit. Wo dem Widerstand ein Denkmal gesetzt, bricht die Phantasie der Allmacht von Herrschaft. Die zwei Orte des Erinnerns gehören zusammen. Die antisemitischen Hetzreden eines Karl Lueger bereiteten den Boden für all die Gräuel der Nazis. Die Entfernung des Denkmals hätte Platz gemacht für einen Ort des Erinnerns an die Fünfundsechzigtausend. Mit einer Plakette hätte man daran erinnern können, dass hier fast hundert Jahre lang einem Mann gehuldigt wurde, der als geistiger Ziehvater Hitlers dessen Opfer mitzuverantworten hat. Und geschwiegen hätte man darüber unter wessen Ägide das Mahnmal errichtet worden wäre. Der Erhalt des Denkmals ist hingegen eine Schande für all die Fünfundsechzigtausend, er ist eine Schande für diese Stadt und er trägt nichts dazu bei, das historische Bewusstsein zu stärken, wenn es nicht sowieso schon vorhanden war. Das Vergessen der OpferVerbände, das Vergessen von Roma und Sinti und das Erinnern an den großen Antisemiten gehören zusammen. Vom selben Geist getragen, drängt die Stadt die Gedenkstätte auf eine freie Wiese zwischen drei riesige Gebäude und lässt Lueger seinen angestammten Ort inmitten der Stadt. Von dort aus höhnt er den Namenswänden. Das Niederreißen des gestockten Vergangenen befreit noch nicht vom Schatten des Gewesenen, aber es vermag ein Licht dorthin zu werfen, wo seine Wiederkehr zu verhindern wäre. Erinnerung an den Widerstand brächte wohl das viel beschworene historische Bewusstsein weit eher hervor als das mahnende Bildnis eines Antisemiten. Denn die Geschichte des Widerstands zeigt, dass hier ein Kampf geführt wurde, der in die Zukunft weist und nicht abgeschlossen ist. Historisches Bewusstsein muss immer auch das Wissen sein, im Hier und Jetzt Teil der Geschichte zu sein. Geschichte jedoch lebt von der utopischen Kraft, die ihr innewohnt, davon, dass Gegenwart hätte werden können, was in ihr als Hoffnung und Versprechen angelegt war. Die bitterste Niederlage existiert nicht ohne den Willen zur Veränderung, der ihr vorausgeht. Wer ihn nicht teilen oder verstehen will [... ] macht die Besiegten zu Verlierern.* Geschichte geht nicht auf in der Last der Vergangenheit, sie besteht vor allem aus dem Kampf für die Zukunft und der Erinnerung an diesen Kampf. Orte des Erinnerns an Widerständige, Aufbegehrende, sich Widersetzende, Saboteure, Deserteure rufen uns als ZeitgenossInnen an, niemals zu vergessen, dass Geschichte kein monolithischer Block, sondern steter Kampf, das gute Leben fiir alle gegen ihre Feinde zu erringen und zu verteidigen. Ehren wir diejenigen, die vom Nicht-Beigeben Zeugnis ablegten und gedenken wir der Opfer gegen ihre Instrumentalisierer. Anmerkungen 1 Brigitte Hamann: Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators. Miinchen: Piper Verlag 1998, S. 404, 411. 2 https://www.derstandard.at/story/2000130970598/lange-schattender-geschichte-hinter-der-shoah-namensmauer 3 https://wien.orf.at/stories/3128953/ 4 Erich Hackl: Ende des Erinnerns?, in ZW 3/2021, S. 8. Dezember 2021 7