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Eva Blimlinger Nie wieder Gleichschritt' „Nie wieder Gleichschritt!“ hier an der ehemaligen Hinrichtungsstätte auf dem Gelände des Militärschießplatzes Kagran, hier im Donaupark, der so friedlich scheint. „Nie wieder Gleichschritt!“ da wo zwischen 1940 und 1945 Hunderte wegen „Fahnenflucht“ und „Wehrkraftzersetzung“ zum Tode verurteilte Wehrmachtsoldaten im Kugelhagel von Exekutionskommandos starben. „Nie wieder Gleichschritt!“ zum Gedenken an alle ungehorsamen Soldaten und Zivilist:innen, die von Wehrmacht und SS ermordet worden sind, zum Gedenken an jene die den Gleichschritt verweigerten, die ihn nicht gehen wollten. „Nie wieder Gleichschritt!“ Der Gleichschritt wird besonders vom Militär eingesetzt zur Einübung von Disziplin beim Exerzieren und Demonstration von Geschlossenheit bei Paraden, auch bei Musikkapellen. „Von den allerersten Übungen an muß man den Rekruten einen militärischen Schritt beibringen. Denn auf nichts ist beim Marsch oder in der Schlachtordnung mehr zu achten, als daß alle Soldaten den Gleichschritt einhalten.“ Lesen wir im ersten Buch des Hauptwerks De re militari des römischen Kriegstheoretiker Vegetius, in dem er auch die Bedeutung des Gleichschritts erklärt. Ähnlich wie zunächst die Griechen kämpften die Römer in der Schlacht in zahlreichen Einzelkampfen, wobei diese bereits den Gleichschritt dort anwendeten, wo er der Verstärkung der Angriffswucht der Hoplienphalanx? diente. Im Zuge der Servianischen Heeresreform um rund 500 v. Chr. wurde die Legion neu geordnet, nach Vermögensklassen war Panzerung und Bewaffnung gestaffelt. Sie bestand nun, wie es heißt, aus 6.000 Mann in sechs Reihen plus 2.400 Mann Leichtbewaffneter. Die deutsche Wehrmacht war nicht leicht bewaffnet. „Nie wieder Gleichschritt!“ „Nie wieder Paradeschritt!“ „Nie wieder Stechschritt!“ Aber auch nie wieder Stirnreihe, die Einübung der Formation des Gleichschritts im Turnunterricht oder wie es früher geheißen hat Leibesübungen: In der geschlossenen Stirnreihe stehen die Einzelnen so dicht, dass sich die etwas mehr als im gewöhnlich hängenden Zustande gekrümmiten Ellbogen gegenseitig berühren [...] Bei dem Marschieren (vorwärts, rückwärts oder seitwärts) einer langen Stirnreihe ist die Richtung der Linie ziemlich schwer einzuhalten, ebenso die Fühlung, d.h. die richtige Entfernung der einzelnen voneinander [...] Der Hauptzweck ist immer das gleichzeitige Ankommen der Stirnreihe auf irgend einer bestimmten geraden Linie. Lesen wir da bei Georg Hirth und Rudolf Gasch, die 1893 über Das Gesamte Turnwesen schreiben.* Es waren jene, die diese Stirnreihen, diesen Gleichschritt, die Gleichschaltung, diesen Paradeschritt, dieses Gehen in der Formation, egal ob in der deutschen Wehrmacht oder in paramilitärisch nationalsozialistischen Organisationen, egal wo, verweigerten. Es war Richard Wadani, der sich der Schrittfrequenz in der Minute, der Schrittlänge widersetzte, es waren hunderttausende andere, die andere Wege gehen wollten, es waren aber zu viele die den Gleichschritt gegangen sind, die ihn auch noch gegangen sind, als dies nicht mehr erforderlich war, die ihn immer wieder gehen, in den neonazistischen Wehrsportverbänden oder wo immer sie die Gelegenheit haben. 130 — wir wissen die Zahl nicht genau — wurden hier zwischen 1940 und 1945 durch Erschießen 8 _ ZWISCHENWELT hingerichtet, wegen Zersetzung der Wehrkraft, Selbstverstümmelung, Fahnenflucht, Diebstahl und allen anderen Delikten. Hingerichtet am 31. Oktober 1944 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ und „Feindbegünstigung“ die von den rund 50 festgenommenen verurteilten Feuerwehrmännern — Hermann Plackholm und Johann Zak aus Wien. Zur Abschreckung mussten alle jene Feuerwehrmänner, die nicht Bereitschaft hatten, zuschauen, ein Fernbleiben wurde bestraft. Franz Pascher, Johann Perthold und Oskar Schlaf wurden begnadigt, zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt und ins KZ Mauthausen deportiert, welches alle drei glücklicherweise überlebten und aus dem sie am 27. Oktober 1944 entlassen worden sind. Einen Tag bevor Hermann Plackholm hingerichtet wurde, schreibt er aus seiner Zelle in der Roßauer Lände, am Wiener Alsergrund an seine Frau Maria: „Mein Liebstes, meine gute Maria! Maria, das Schicksal wollte nicht, daß wir uns wieder sehen. Ich hatte so sehr daran geglaubt, daß alles wieder gut werden möchte. Du weißt ja wie ich jederzeit aufrecht gelebt und getan was eines guten Menschen Recht und Pflicht ist.“ In diesem Sinne „Nie wieder Gleichschritt!“ „Nie wieder Stirnreihe!“ Und im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Windisch Kaserne in Richard Wadani Kaserne umbenannt werden soll. Wien im Oktober 2021 Anmerkungen 1 Rede gehalten am 26. Oktober 2021, anlässlich Nie wieder Gleichschritt! 20. Gedenkveranstaltung für die Opfer der NSMilitärjustiz, beim Gedenkstein im Donaupark, Kagran, Arbeiterstrandbadstraße, 1220 Wien, es gilt das gesprochene Wort. 2 https://board.flavii.de/viewtopic. php?f=6&t=174 (abgerufen am 23.10.2021). 3 Der Begriff bezieht sich vor allem auf die im antiken Griechenland übliche Schlachtformation, in der die Hopliten eine Wand aus Schilden bildeten, wobei die rechte Seite jedes Schwerbewaffneten durch den Schild des Nachbarn gedeckt wurde. 4 Georg Hirth, Rudolf Gasch: Das Gesamte Turnwesen. Ein Lesebuch für deutsche Turner, Hof-Leipzig 1893, 2. erw. Aufl., Reprint 2012. Zitiert nach https://www.ostarrichi.com/wort/22309/Stirnreihe (abgerufen am 23.10.2021). 5 Zu Richard Wadani und zu Alois Windisch/Windischkaserne liegen zwei Dossiers vor, die der BM für Landesverteidigung Mag.a Klaudia Tanner zur Kenntnisnahme und Veranlassung am 12. Juli 2021 übergeben worden sind. Magnus Koch: Ein österreichischer Deserteur und seine Bedeutung für die vergangenheitspolitische Diskussion um die Frage von Pflicht und Gehorsam in der Wehrmacht. Dossier Richard Wadani, Hamburg 2021 (unveröffentlicht). Peter Pirker: Ein Fall „besonderer Traditionspflege“. Die Windisch-Kaserne, der Narvik-Mythos und das österreichische Bundesheer, Innsbruck 2021 (unveröffentlicht). Herbert Exenberger und Heinz Riedel haben die Geschichte des Schiefplatzes Kagran in der NS-Zeit dokumentiert. Kernstück ihrer Recherchen sind biographische Angaben zu 129 Personen, die zwischen 1940 und 1945 am Militärschiefplatz Kagran hingerichtet wurden. Herbert Exenberger/ Heinz Riedel: Militärschießplatz Kagran. Schriftenreihe des DÖW zur Geschichte der NS-Gewaltverbrechen — 6. Mit einem Beitrag von Maria Fritsche. Wien 2003. 112.