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Peter Roessler Gesprochen Niederhollabrunn, 10. September 2021 Der Theodor Kramer Preis, so wurde es festgelegt, gilt dem Schreiben im Widerstand und im Exil, deshalb wurde er 2001 ins Leben gerufen. Es gab nichts dergleichen und diese einzigartige und strenge Bestimmung des Preises bewegte sich stets mit den neuen Preisträgerinnen und Preisträgern. Sie nahm dabei verschiedene Gestalt an, wurde auch zu einem Schreiben über Widerstand und Exil, dem bei jüngeren Geburtsdaten keine eigene Erfahrung mit Widerstand und Exil entsprechen konnte. Stets aber handelte es sich um ein Schreiben, das mit den Traditionen von Widerstand und Exil verknüpft war. Die Bestimmtheit des Theodor Kramer Preises blieb damit unbedingt bestehen und macht bis heute seine Besonderheit aus. Das unterscheidet ihn von anderen Preisen, vor allem, wenn deren Verleihung mehr den Konjunkturen des Literaturbetriebs folgt. Der Theodor Kramer Preis macht es der Jury, die von den Mitgliedern des Vorstandes der Theodor Kramer Gesellschaft gebildet wird, leichter und schwieriger zugleich. Von vornherein erzeugt er eine Offenheit, die sich aus seiner Bestimmtheit ergibt, und es lassen sich damit die Räume sonstigen literarischen Lebens verlassen, um in das aufregende Gelände eines anderen Schreibens zu gelangen. Das Nachdenken hört dadurch nicht auf, sondern wird zur Entdeckung, die diesen Namen verdient. Im Jahr 2011 hielt Eva Geber die Laudatio auf Ruth Klüger, die damals den Theodor Kramer Preis verliehen bekam. Die große Bedeutung von Ruth Klüger für diejenigen, die an Widerstand und Exil interessiert sind — und daher fiir die Theodor Kramer Gesellschaft — braucht hier nicht erklart zu werden. Ein Nachlesen in den Nummern der Zeitschrift Zwischenwelt, in denen Ruth Kliigers epochale Biicher eingehend besprochen wurden und in denen sie selbst ihre so bestimmten wie offenen Beiträge veröffentlichte, können als Einführung hierzu genommen werden. Abgedruckt in der Zwischenwelt, die kontinuierlich den Untertitel Ziteratur / Widerstand / Exil trägt, findet sich auch die genannte Laudatio von Eva Geber (28. Jg., Nr. 3). Schr naheam Werk von Ruth Kliiger schrieb — und sprach — sie dabei, und bot Gedanken, die ihre Bedeutung nicht verloren haben. Eva Geber fand eine Sprache, die der Geehrten so angemessen war, erzählte abseits jeglicher Phrasen von Ruth Klügers Schreiben, beleuchtete es und beließ es in seiner unnachahmlichen Durchsichtigkeit. Auch berichtete sie über das Leben von Ruth Klüger, und gelangte, immer die Verehrte zitierend, zur kulturellen Situation der Gegenwart, kritisch und unmissverständlich. Dabei findet sich in der Laudatio — ich sage es hier knapp mit eigenen Worten — etwa die Kritik an den Sentimentalisierungen bei Gedenkveranstaltungen, die bloß Unverbindlichkeit und Selbstergriffenheit erzeugen. Es findet sich überdies die Aufforderung zur steten politischen Lektüre von literarischen Werken, sowie die unerbittliche Frage nach der Darstellung von Frauen und von jüdischen Figuren, auch und gerade in der kanonisierten Literatur. Und es findet sich etwas Überraschendes: Eva Geber fragt, ob die Begriffe Widerstand und Exil überhaupt auf Ruth Klüger zutreffen, denn diese war ein jüdisches Mädchen, das das Konzentrationslager überlebte — den Fakten zufolge also nicht eigentlich im Widerstand und nicht im Exil. Eva Gebers Gedanken erstaunen zunächst und vertiefen damit die Thematik. Ihre einfachen Fragen führen dazu, hier nachzudenken, und natürlich gelangt sie dahin, dass Widerstand und Exil in einem tiefen und umfassenden Sinn auf Leben und Werk von Ruth Klüger sehr genau zutreffen. Diese Gedanken von Eva Geber können uns dazu bewegen, auch in gänzlich anderen Situationen zu fragen, was Widerstand und Exil im Werk und im Leben von Schriftstellerinnen und Schriftstellern bedeuten, ohne gleich die einfache Antwort bereit zu haben. Einfach ist es allerdings, eine Abgrenzung vorzunehmen, denn angesichts der heuer zu Ehrenden, Eva Geber und Richard Schuberth, lässt sich festhalten, dass diese sich unmissverständlich von einer mit allerlei Floskeln garnierten Pose des Widerstands abheben, wie sie immer wieder im österreichischen Kulturbetrieb auftaucht. Wir finden diese in vielerlei Variationen, etwa bei Theaterdirektoren, die in Interviews und Reden gerne ihren Mut bekunden und sich doch nur den jeweils herrschenden Mächten andienen. Aber heute ist von ihrem Gegenteil zu sprechen. Die Autorin und Publizistin Eva Geber war über 35 Jahre Redakteurin der Zeitschrift AUF. Eine Frauenzeitschrift, der wesentlichen Zeitschrift der Wiener Frauenbewegung. Fine stets neu gefundene und erfüllte Verbindung von Autorin und Herausgeberin ist für viele ihrer Bücher bestimmend, bei denen es immer um die Befreiung der Frauen geht, indem unbeugsam feministisch bestimmte Berichte und Dokumentationen über Leben und Werk hervorragender Frauen aus der Geschichte geboten werden. Dazu zählen Eva Gebers Veröffentlichungen über Rosa Mayreder, der Schriftstellerin, Publizistin, Librettistin und Kämpferin für die Rechte der Frauen, etwa das Lesebuch Zivilisation und Geschlecht (2010), ebenso wie das Buch zur Publizistin und Lyrikerin Betty Paoli Was hat der Geist denn wohl gemein mit dem Geschlecht? (2002). Die Form des Schreibens verändert sich mit dem Inhalt, und dies kann vom historischen Bericht zur Literatur führen. Das erweist sich bei Eva Gebers Roman über Luise Michel, der französischen Revolutionärin, Sozialistin, Anarchistin, Lehrerin, Kämpferin für die Rechte der Frauen, die am Kampf der Pariser Kommune 1871 teilnahm, und deren Leben von politischer Aktivität, Haft, Deportation, Verbannung und Exil geprägt war. Louise Michel. Die Anarchistin und die Menschenfresser (2018) lautet der Titel, bei dem die Autorin das Leben der Protagonistin in Ichform erzählt, diese also als reale und literarische Figur über sich und mit uns sprechen lässt. Dieser Roman in autobiografischer Form — das „Ich“ schafft ebenso Nähe wie Distanz - ist auch ein Buch über die höchste Möglichkeit einer Lehrerin, jemand der lehrt und gleichzeitig von den Schülerinnen und Schülern lernt, jemand der lehrend an einer Veränderung der Gesellschaft arbeitet. Nach Neukaledonien deportiert und verbannt, wurde Louise Michel aus eigenem Entschluss zur Lehrerin der indigenen Bevölkerung, von der sie ihrerseits lernte, deren Sprache, deren Kultur, deren Wünsche. Eva Geber hat bei der Thematik überdies neuerlich das Genre gewechselt, ist Dezember 2021 11