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jüdischen Flüchtlinge gekümmert hat. Es wurde nötig, sich um möglichst rasche Repatriierung zu bemühen. Die Berichterstattung wollte daher die Darstellung „arbeitsamer, zielstrebiger und gut versorgter DPs“ mit glücklichen Gesichtern voll Zukunftsfreude, in Schulungen „überwacht oder unterrichtet von Mitarbeitern der UNRRA.“ Dementsprechend galt die Auswahl der Fotos weniger deren Qualität als dem Demonstrieren der Efhzienz der Flüchtlingsarbeit der Organisationen. Diesen Vorgaben entsprechen die Fotos von d’Ora kaum. Auf einigen ihrer Kontaktbögen sehen wir, dass sie in Verwaltungsgebäuden des amerikanischen Militärs fotografierte. Darunter findet sich das Porträt eines IRO-Angestellten in seinem Büro. In schmucker Uniform, die Zigarette in der Hand, selbstsicher und zufrieden, steht er vor einer Wandmalerei: Diese zeigt einen gut angezogenen Beamten an einem Schreibtisch, der mit den Flaggen Amerikas und Großbritannien drapiert ist, neben ihm die ärmlichen, ausgemergelten Silhouetten eines Paares in Bittstellerhaltung. Seltsam dabei die betonte Nase des Mannes. D’Oras Komposition entspricht einer Karikatur dieser Refugee-Politik. Auf ihren Flüchtlingsfotos ließ sich „kein Anhaltspunkt für die Hilfeleistung der IRO finden“. Ihre Fotos wurden nicht gekauft. Wie gerne hätte ich dieses Bild Ruth geschickt: Ihre Genauigkeit, ihre Unbestechlichkeit — wir haben sie ja gelesen, gehört: Damals am 5. Mai 2011 im Parlament: „Ich rede jetzt einmal ausdrücklich Richard Schuberth Was bedeutet Widerstand? Gesprochen, Niederhollabrunn 10.9.2021 Die Nachricht über diesen Preis hat mich völlig unerwartet und unverhofft ereilt. Im Mai, glaube ich, war es, als ich einen Anruf von Peter Roessler erhielt. Ich weiß nicht, wie er meine Reaktion aufgefasst hat, aber ich habe weder zu jauchzen begonnen noch habe ich Rührung gezeigt. Es kann sein, und vielleicht ist es nur die Furcht vor dem Eindruck, den ich zu vermitteln glaubte, dass ich etwas zu gefasst, vielleicht sogar gleichgültig gewirkt habe. So als überbrächte man mir jede Woche solch eine Nachricht. Falls dem so war, bitte ich, keine falschen Schlüsse daraus zu ziehen. Ich saß ja nicht in der Oscar-Gala und zitterte mit drei Konkurrenten um die finale Entscheidung. Ich hatte schlicht weder eine Ahnung noch eine Erwartung, was Konstantin Kaiser da hinter meinem Rücken durch seinen Vorschlag ausgeheckt hatte. Es brauchte einige Minuten, bis ich erkannte, dass dies einer der wenigen erhaltenen Preise ist, auf die ich stolz sein kann. Und kurz darauf begriff ich, dass es derjenige ist, auf den ich am stolzesten bin. Ich brauche für manche Sachen halt ein bisschen länger als andere. Umso mehr freut es mich, mit Eva Geber eine so verdiente und engagierte Mitjubilarin gefunden zu haben. Doch zurück zum Mai dieses Jahres. Ich zerbrach mir also einige Minuten den Kopf darüber, warum gerade mir diese Ehre widerfuhr. Den Theodor Kramer Preis hatte ich als eine Würdigung in Erinnerung, die schreibenden und denkenden Menschen zusteht, die gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen und sich den Chancen und Fährnissen des Exils auszusetzen, und assoziierte ihn natürlich mit Leuten, denen die Flucht vorm Nationalsozialismus gelungen 16 _ZWISCHENWELT nicht von Juden oder Zigeunern, sondern von Opfern, die in die unerhörte Kategorie,unnütze Esser‘ eingestuft wurden“, und dem Euthanasie-Programm zum Opfer fielen. Ruth hat weder Entlastung noch angenehmes Wohlfühlen geboten, als hier der Zeitzeugin großzügig die Bühne des schönen Reichsratsaals überlassen wurde. Das Foto der Mme d’Ora hätte ihr gefallen und ich hätte mich „diebisch“, wie Ruth gerne sagte, auf einen scharfen Essay von ihr freuen können. Empathie und Gerechtigkeit, Kritik und Ermutigung, Freundschaft und Lebenslust, das alles habe ich mit Ruth erlebt. Als sie vom Tod einer Bekannten hört, schreibt sie mir: „Sowas ist ein Riss, die geistige Landschaft ändert sich für immer, wenn einer daraus weg ist.“ In ihren letzten Mails an mich schrieb sie: Freitag, 20. Dezember 2019: Betreff: visit Vienna? Dear Eva, Mein Heimweh wird immer größer. Ich möchte auf jeden Fall Wien zwei Wochen lang wiedersehen. Hättest Du Platz für mich? Im Mail 2 Tage später: Ich bin nach langem Nachdenken überzeugt, dass ich den Rest meines Lebens dort verbringen will, wo ich herkomme, nämlich in Wien, bei Euch, bei uns und brauche im Grund nur einen Schreibtisch und Freundschaft. war. Zwar sind immer weniger dieser Generation am Leben, doch sorgen neue, andere Formen internationaler Barbarei dafür, dass es an Exilanten und Exilantinnen nicht mangelt, auch wenn ihnen, wie das Beispiel Afghanistans zeigt, von den selbsternannten Besitzstandswahrern der Aufklärung und Zivilisation zunehmend das Exil verweigert wird. Doch gab es da noch einen Begriff, der die Vergabe des Theodor Kramer Preises rechtfertigt, und der heißt Widerstand. Das muss wohl der Grund gewesen sein, dass ich diesen Preis, wie gesagt, unerwartet und unverhofft erhalte. Man kann sich ja Preise nicht aussuchen, ich habe keine Ahnung vom Ranking des Prestiges, das bestimmten Würdigungen beigemessen wird, weiß nur, das ich mich für Preise, die nach Heinrich Heine, Georg Büchner oder Rosa Luxemburg benannt sind, nicht zu schämen bräuchte, und für einen nach Theodor Kramer benannten schon gar nicht, obwohl ich gestehen muss, dass ich dessen Werk noch zu wenig kenne, was sich aber bald ändern wird. Aber ich musste schon einmal einen nach Hans Weigel benannten entgegennehmen, und so sche ich den Theodor Kramer Preis auch als eine gewisse Entschädigung dafür. Was aber bedeutet Widerstand — für mich? Wem und was soll man widerstehen? So simpel diese Frage klingen mag, so schwierig ist ihre Beantwortung, sobald die zu bekämpfenden Missstände einander in die Quere kommen und man in eine Motivblockade gerät. Hier spätestens geht der Sprit aus, so er nur aus Empörung und humanistischer Rechtschaffenheit besteht, und der eigene Widerstandsjeep bleibt stehen. An diesem Punkt bieten sich zwei Möglichkeiten: Entweder man macht aus seiner Not eine Tugend, aus seiner Spritlosigkeit einen Akt freier Wahl, schlägt an Ort und Stelle Wurzeln, baut weltanschauliche und identitäre Zäune und betreibt um das allmählich rostende Gefährt herum Urban Gardening. — Oder man versucht sich zur nächsten Tankstelle zu schleppen, wo immer die sein mag. Hier beginnt kritisches Denken, ohne das diese Widersprüche nicht zu bewältigen sind.