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Worauf man sich mit den meisten aktuellen und potenziellen Weggefährtinnen und -gefährten relativ schnell einigen kann, ist der unbedingte Widerstand gegen Inhumanität, Faschismus, Rechtsruck, Misogynie, Sexismus, Behindertenfeindlichkeit, Trans- und Homophobie, Rassismus, Antisemitismus, Neoliberalismus, Sozialabbau, Antibyziklismus, das Bienensterben sowie die Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Ein nicht geringer Teil der Widerstandsfront aber sagt Adieu, gibt einem ein Bussi und geht nachhause, sobald man zum Widerstand gegen den Kapitalismus aufruft. Und nicht die Forderungen mitträgt nach bloß kosmetischen Veränderungen durch minimale Verringerung der Arm-Reich-Schere und nationale Alleingänge der höheren Kapitalbesteuerung. Ich meine auch nicht das kitschige Absingen von Arbeiterliedern oder das Retropathos proletarischer Entschlossenheit, sondern bloß die nüchterne Einsicht, dass dieses destruktive und irrationale System, das, völlig unabhängig davon, ob es uns mit den Gesichtern von Heini Staudinger und Hans-Peter Haselsteiner freundlich anlächelt, oder die bösen Fratzen globalistischer Multis trägt, dass dieses auch autodestruktive System ohne permanentes Wachstum und den Verschleiß natürlicher und menschlicher Ressourcen nicht zu haben ist und nicht das Ende der einst hoffnungsvollen Menschheitsgeschichte markieren darf, an dem es unablässig arbeitet. Von der am meisten verdrängten Demütigung, dem Zwang zur Lohnarbeit, gar nicht zu reden, von dessen Ausbeutung sich die Maschine ernährt wie der Schimmelpilz vom Zucker und der die Menschen durch Abermillionen sinnlose Zeitverschwendungen zur Produktion ihres obsoleszenten Plunders nach ihrer Funktionalität sortiert. Gerade jeder noch so friedfertige Ökoaktivist müsste doch einsehen, dass, fernab von revolutionären Kodierungen, sowjetischen Geistergeschichten und Winterpalaiserstürmungen, das sofortige Stoppen dieses irren Systems oberstes Gebot sein müsste und der Dominoeffekt sich überschlagender sozialer und ökologischer Katastrophen durch eine grüne Marktwirtschaft wohl nicht gestoppt werden kann. Doch auch darin erschöpft sich der Widerstand nicht, der zu leisten wäre, und die verbliebenen Partisaninnen ließen einen erwartungsgemäß in Stich, sobald man seinen Widerstand auf die Bewusstseinsindustrie ausdehnte, auf den Umstand, dass wir lange, bevor wir uns ein widerständiges Bewusstsein downgeloadet haben, über unser Bedürfnis nach Meinung, Adabeisein, Identität und Zerstreuung für den Markt und seine Sensationen präformiert und selber zu Waren gemacht wurden, ganz gleich, ob wir in jener totalen Shoppingmall, zu der wir keine Alternative mehr denken können, ob wir dort also in der Mainstream- oder in der Undergroundabteilung shoppen — ansonsten wir draufkommen würden, dass uns für einen Großteil dessen, was uns als Kultur, aber auch Gegenkultur vorgesetzt wird, gar keine vernünftigen Kriterien der Beurteilung zu Verfügung stehen, und das mitgelieferte PR-Paket aus Image, Feeling, Schein, Expertenmeinungen und anderem Blödsinn zum Surrogat unseres Urteils machen und wir unsere Götzen mit denselben vorgestanzten Gefühlslagen cool finden wie die wählen dürfende Mehrheit ihren Sebastian und die Zivilgesellschaft am Heldenplatz einst ihren Führer. Widerstand heißt aber auch Sprachkritik, und spätestens dort verlassen einen die allerletzten widerständigen Weggefährten, -gefährtinnen. Hingegen findet man sich plötzlich in Gesellschaft einiger Konservativer und Kulturpessimisten wieder, die man dann auch noch loswerden muss. Sprachkritik als die denkbar härteste Arbeit an der Form, als Widerstand gegen Floskel, Phrase, Jargon, an deren Zurichtung sich die Zugerichtetheit der Sprecher erkennen lässt, da Sprache nicht bloß Werkzeug der Mitteilung ist, sondern deren lebendiges Fleisch, lebendiges Fleisch das sich die selbst Unterworfenen glauben unterwerfen zu können. Wer die Sprache aus den Käfigen der Käfigmenschen befreit, befreit sich selbst daraus. Und das ist nicht, man kann es nicht oft genug wiederholen, bloße Stilkritik. Dass einem ein Großteil der angesagten Text- und Kulturproduktion nach solch einer Selbstbefreiung nichts mehr zu sagen hat, ist nur ein Gewinn. Denn wer selbst was zu sagen hat, lässt sich nichts mehr ansagen. Widerstand aber wäre ein Honiglecken, wenn es sich auf genannte Punkte beschränkte. Widerstand heißt, politisches Denken nicht mit Politexpertentum zu verwechseln, und bei der ganzen Polit-Farce mitzumachen durch klügelnde Wählerstromanalysen, Politikerpsychogramme und Prognosen. Widerstand hiefe, wenn es sein muss, auch kindische, destruktive und geschmacklose Sabotage jeglicher professionalistischen Seriosität, hinter der sich Opportunismus zu verstecken pflegt. Widerstand hiefe, gegen Mikroaggressionen zu opponieren, indem man sich die Kunst der gewitzten Makroaggression zurückerobert. Hier mag sich der eine oder die andere denken: Du glaubst wohl, du hast die Wahrheit midm Löffel gfressen, du arrogante Sau, und der Einwand überrascht nicht, denn so schallt es einem seit Kindestagen entgegen. Nein, hat man als Generalsonderbeauftragter für Widerstand zu antworten: Ich bin nicht so vermessen, die Wahrheit zu kennen, ich hab bloß nicht eure Wahrheit von eurem Löffel gefressen, weil ich ihren Nährstoffgehalt zuvor analysiert habe. Widerstand bedeutet: bestimmte Negativität. Widerstand bedeutet aber auch, aus Liebe zur Wahrheit keine Kompromisse mit der Unwahrheit der eigenen Kreise zu schließen und sich in keine falschen Einheitsfronten einzureihen. Widerstand heißt konkret auch, den erbärmlich dummen Auswüchsen der Identitätspolitik mit toxischem Spott zu begegnen, und deren emanzipatorischen Gehalt dennoch nicht an den bürgerlichen Mainstreamdreck zu verraten; Widerstand heißt, die aus allen Poren der Sozialen Medien und des neuen Aktivismus trensende und triefende Selbstgefälligkeit und Wichtigmacherei mit allen zu Verfügung stehenden Mitteln zu verspotten, auch und vor allem die eigene, und dem sich überall in der Linken einnistenden Pfaffenton der verbindlichen Positivität mit mephistophelischer Negativität zu trotzen, dem Spießergeist, der es sich im bloßen Gestus der Widerständigkeit gemütlich machen will, den Fairtrade-Ieppich unter den Füßen wegzuziehen und das Weihwasser zu vergiften. Widerstand ist absolute Individualität im Dienst der Gesellschaft und nicht jener egoistische Individualismus, der sich hinter Gemeinschaft versteckt. Widerstand bedeutet in weiterer Folge den Kampf gegen Puritanismus, die Moralisierung des Systemischen, die neue Sittlichkeit, gegen alle, welche Ambivalenz mit unreflektierten Regeln und Normen zuasphaltieren wollen, gegen das Bedürfnis nach Religion, Heimat, Nation und die anderen wärmenden Lügen. Widerstand heißt produktive Skepsis an allen Fronten, Resistance gegen alle fertigen und verkrusteten Gewissheiten außer gegen jene eine und einzige, dass mit der bestehenden falschen Ordnung kein Kompromiss einzugehen ist. Widerstand bedeutet das großräumige Herausschneiden des Krebsgeschwürs (und zwar ohne Narkose, damit sich das System endlich auch einmal spürt) und nicht, sich im Scheinwerferlicht zur Akkumulation von Likes und Herzerln ein Leben lang beim Pickelausdrücken auf dem Karzinom zu gefallen. Dezember 2021 17