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Widerstand ist Hedonismus, Freude und Lust an der lebensbejahenden Zerstörung. Widerstand muss ein fieser Renaissance-Satyr sein, der uns unsere Ich-Prothesen zerschmettert, damit wir Ich werden, ein Dudelsack spielender Faun, der zu dionysischen Orgien der totalen Nonkonformität einlädt. Der den Paulus umdreht, indem er zur Maxime sich macht: Sei den Christen ein Jude, den Juden ein Heide, den Heiden ein Christ, oder an die Adresse unserer Genossen und Genossinnen: Sei den Anarchisten ein Kommunist, den Kommunisten ein Décadent, und den Clowns der feigen Mitte ein Anarchist. Tja, wogegen sich alles Widerstand leisten lässt. Die tragische, aber dann dennoch komische Pointe: Am Ende steht man verdammt, verdammt alleine da, und alle, die diesen Weg aus Angst vor Verlust persönlicher Vorteile nicht mitgehen wollten, werfen dir Egoismus vor, die, welche nur an ihr eigenes Brot denken, Eigenbrötlerei, die, denen Gesellschaft zu wenig sie selbst angeht, mangelnden Gemeinschaftssinn. Und jetzt zum Schluss, als wäre all das Genannte nicht schwierig genug, zum schwierigsten Teil des Widerstandes, den Widerstand gegen sich selbst, die eigene Feigheit, gegen das eigene Oszillieren zwischen falscher Bescheidenheit und falschen Größenfantasien. Gegen das Bedürfnis, Wahrheit an soziale Anerkennung zu verraten. Gegen das dauerpubertäre Hinundherschwanken zwischen großsprecherischem rebel spirit und dem sich ins falsche Ganze fügenden schlechten Gewissen darüber, den Mund zu voll zu nehmen. „Eitel“, sagt Karl Kraus, „ist bloß die Zufriedenheit, die nie zum Werk zurückkehrt“. Eitel selbst ist der Widerstand gegen die eigene Eitelkeit, wenn man sie, anstatt als Surfwelle des Widerstands zu nutzen, kleinlaut in eben jene falsche Bescheidenheit transformiert, ins Büßergewand der Feiglinge hüllt. Widerstand gegen die eigene gesellschaftliche Zurichtung, von der man sich nachweislich erst in dem Augenblick zu befreien beginnt, da man weiß, in welchen Situationen der Mut zur Entschlossenheit, in welchen der zur Unentschlossenheit angebracht ist. Nonkonformität um ihrer selbst willen, als bloße individualanarchistische Attitüde, ist lächerlich und verwerflich, nein, sie legitimiert sich nur durch ihre geistige Begründung. Doch nichts verzeihen die Mitbarbaren, die linken wie die rechten, weniger, als eine Radikalität, die nicht nur sexy Pose ist, sondern weiß, was sie tut, und sie in jeder ihrer Nuancen zu begründen weiß. Vergessen wir nicht: We all live in a shallow shopping mall. Wie Mänaden werden sich die Nazis, Liberalen und Linken von hinten auf jede und jeden stürzen, der oder die in letzter Auferbietung der Kräfte zum Vorschlaghammer greift und die Wände der geliebMichael Baiculescu, Veronika Berger ten Einkaufszone einschlägt. Das Sonnenlicht wird die nur wohliges Neonlicht Gewöhnten zunächst fauchend zurückweichen lassen, ehe sie sich erneut über ihren Befreier, ihre Befreierin stürzen und ihn oder sie bis an die Knochen abnagen. Ihre Kinder aber werden durch das Loch kriechen — und ein Reich der Möglichkeiten sich erschließen, das sich ihre pseudoprogressiven Eltern nie erträumt hätten, und es wird bei ihnen, mit den Worten des Ober-Satyrs Karl Marx, „der Reichtum der subjektiven menschlichen Sinnlichkeit, ein musikalisches Ohr“ herausbilden, „ein Auge für die Schönheit der Form, (...) dann werden erst menschlicher Genüsse fähige Sinne, welche als menschliche Wesenskräfte sich betätigen, teils erst ausgebildet, teils erst erzeugt.“ Ich weiß, diese protzige Ansprache mag auf Sie eigenartig adoleszent wirken, doch wenn die Adoleszenz der letzte Lebensabschnitt vor der eigenen Nutzbarmachung ist, also dem eigenen Tod unter Aufrechterhaltung der vitalen Körperfunktionen, dann ist es wohl das Schlechteste nicht, diese Entwicklungsphase so lang wie möglich hinauszuzögern. Die Jahre verfliegen schnell, unversehens wird man vom young angry rebel zum verschrobenen alten weißen Mann. Dabei gäbe es noch so vieles, dem es zu widerstehen lohnte. Ich kann nicht beurteilen, ob die Theodor Kramer Gesellschaft, selbst ein solides Basislager gesellschaftskritischer Reflexion und Tankstelle widerständiger Energie, mit mir den Richtigen geehrt hat, wohl aber kann ich beurteilen, dass sie es zur richtigen Zeit tat. Denn meine Widerstandsbatterien waren schon ziemlich entladen, und ich hatte mich bereits mit dem Gedanken angefreundet, selbstgefällig im Fauteuil der Resignation zu versinken. Doch kaum könnte es gemütlich werden im Bauch des Wals, naht Entsatz, in Form eines Auftrags, eines liebevollen Arschtritts. Das Geld hab ich längst verprasst, doch die Hypothek lastet an mir wie die geflügelten Schuhe des Hermes. Die Theodor Kramer Gesellschaft ist mir also — unverhofft — ideelle Tankstelle im geistigen Niemandsland. Und so bleibt mir nichts, als das zu tun, was ich eigentlich immer mache, die zwei Imperative meiner geistigen Eckpunkte, einen gesellschaftlichen und einen individualistischen, weiter auszutarieren, den einen von Karl Marx, nämlich dafür zu kämpfen, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ und folgenden von Karl Kraus: „Jung sein vor der Kunst, heißt mit unverminderter Frische und Ablehnungsfähigkeit, dem Maß hoher Erlebnisse treu, Unwesen und Unzulänglichkeit an sich nicht herankommen lassen. Alt sein, heißt mithatschen.“ Eine Doppelconference Gesprochen, ESRA, Wien, 4. Oktober 2021 I. Michael Baiculescu Guten Abend liebe Anwesende, zuerst möchten wir uns kurz vorstellen und erklären, warum gerade wir beide eine Laudatio auf Eva Geber halten dürfen. Ich bin einer ihrer Verleger, viele von ihr herausgegebenen Bücher sind in den letzten 25 Jahren bei uns 18 _ ZWISCHENWELT im Verlag erschienen, und es war immer eine große Freude, ein neues Manuskript von ihr in der Hand zu halten und zu schen, wie sorgsam und liebevoll dieses zusammengestellt war. Und beim Lesen festzustellen, dass sie wieder einen neuen Schatz gehoben hatte. Ich kenne Eva aber schon aus den Zeiten, als wir gemeinsam in der Druckerei in den 80er Jahren gearbeitet hatten und sie die „AUF