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Michael Baiculescu, geboren 1957 in Bukarest, arbeitete mehrere Jahre als Grafiker und Buchhersteller und gründete 1997 den Mandelbaum Verlag, der 2004 den Bruno-Kreisky-Sonderpreis erhielt. Im Mandelbaum Verlag gab er zusammen mit Veronika Berger Alexandre Dumas’ „Großes Wörterbuch der Kochkunst“ (2019) heraus. Sama Maani Veronika Berger, geboren 1960 in Oslo, Norwegen, verbrachte ihre Kindheit mal hier, mal dort, unter anderem im Senegal, in Jugoslawien und Großbritannien. Studierte Germanistik und Romanistik, was sie zur Deutsch- und Französischlehrerin befähigte. Übersetzungen vom Englischen und vom Französischen ins Deutsche. Darunter Dumas’ „Großes Wörterbuch der Kochkunst“ und „Die Commune“ von Louise Michel. Gesprochen, ESRA, Wien, 4. Oktober 2021 Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Festgäste, lieber Richard! Es ist nicht das erste Mal, dass ich eine Laudatio auf Richard Schuberth halte. Beim ersten Mal, vor gut zwei Jahren, hatte ich ein Problem. Es war mir zwar klar, dass es alles andere als schwer ist, eine Laudatio auf Richard Schuberth zu halten, herrscht doch an Lobenswertem im Leben und in den Werken Schuberths kein Mangel. Aber: Eine Laudatio auf Richard Schuberth in sieben Minuten zu halten (das war damals mein Zeitrahmen), war allerdings eine Herausforderung, weil ich wichtige Aspekte von Richard Schuberths Werken und Wirken unter den Tisch fallen lassen musste. Diesmal wurde mir mitgeteilt — und ich habe diese Mitteilung mit großer Dankbarkeit aufgenommen — dass ich zehn Minuten Zeit hätte. Es wäre allerdings nicht Richard Schuberth, wenn er in diesen zwei Jahren nicht gleich zwei neue Bücher publiziert hätte: Den Roman Bus nach Bingöl und Lord Byrons letzte Fahrt. Zwei Bücher, von denen jedes einzelne es verdient hätte, dass man mehr als zehn Minuten darüber spricht. Ich versuche mich dennoch kurz zu fassen. Erlauben Sie mir die Laudatio mit einer persönlichen Bemerkung zu beginnen. Richard Schuberth ist es gelungen, mich von einer fixen Idee zu befreien. Ich hatte (und habe) die Angewohnheit, meine literarischen Texte Freunden zum Lesen zu geben und ihnen, wenn sie diese Texte lobten, niemals zu glauben — war ich doch der Überzeugung, dass sie meine Texte einzig aus Gründen der Freundschaft und der Höflichkeit lobten. Als ich dann Richard Schuberth kennenlernte und wir Freunde wurden und ich seine Texte zu lesen begann, habe ich die überraschende Erfahrung gemacht, dass man Texte von Freunden tatsächlich gut finden und genießen kann. Mehr noch: Ich konnte bei der Lektüre von Richards Texten — und das gilt nicht nur für die literarischen, sondern auch für seine essayistischen Texte — so etwas wie Glück empfinden. Warum es mir umgekehrt nicht gelungen ist, Richard von seiner fixen Idee zu befreien, dass ich seine Texte immer nur aus Gründen der Freundschaft und der Höflichkeit lobe, ist eine andere Geschichte, die ich Ihnen im geselligen Teil des Abends bei Interesse gerne erzähle. Mal sehen, wie er meine heutige Lobrede aufnehmen wird, die ich mit seinem erwähnten jüngsten Roman Bus nach Bingöl fortsetzen will. Bus nach Bingöl — und das spürt man, auch wenn man Richard Schuberth nicht als jenes political animal kennt, das er ist — atmet den Geist des politischen Engagements. Ohne aber — und das ist eine Leistung, die man ihm nicht hoch genug anrechnen kann — dem Geist des Romans untreu zu werden, der sich, mit Milan Kundera zu sprechen, einfachen Antworten, die der Frage vorausgehen, verweigert und „weder Anna noch Karenin Recht gibt“. Den Spagat zwischen politischer Prinzipientreue und der Treue zum Prinzip des Romans vollzieht Schuberth etwa in der Art wie er mit Ahmet Arslan der Hauptfigur des Romans umgeht. Man vermeint, die große Sympathie des Autors für Arslan zu spüren, einem in Wien lebenden ehemaligen Widerstandskämpfer, der nach Jahren in sein kurdisches Heimatdorf in der Türkei zurückkehrt. Eine lückenlose Identifikation mit Arslan gelingt der Leserin oder dem Leser schon deshalb nicht, weil Arslan selbst nicht mit sich identifiziert ist. In Dialogen mit sich selbst und den Bewohnern seiner alten Heimat, allem voran mit seinem Bruder Kerim (Dialoge, die mitunter an jene Platons erinnern) stellt er vergangene und aktuelle Überzeugungen mit vernichtender Radikalität in Frage. Richard Schuberth ist unter anderem Historiker, Schriftsteller und Ideologiekritiker. Drei Qualifikationen, die alle in seinem bisher letzten Buch Lord Byrons letzte Fahrt zur Geltung kommen. Lord Byrons letzte Fahrt erzählt die Geschichte der Geburt der griechischen Nation als Tragikomödie. Als lokalen Krieg, den Schuberth einen ideologischen Weltkrieg nennt, weil in diesem Unabhängigkeitskrieg viele Ideologien und Themen der Gegenwart wie Nationalismus, humanitärer Interventionismus aber auch die Medienpropaganda ihren ersten historischen Auftritt hatten. Lord Byron, dem das Buch seinen Titel verdankt, der literarische Popstar im damaligen Europa, war einer der vielen europäischen Intellektuellen, der sogenannten Philhellenen, die es nach Griechenland in den Krieg zog. Und von dem sich Schuberth auf faszinierende Art fasziniert zeigt. Byron, der, so Schuberth, von Anfang an wusste, dass diese seine letzte Reise ein sinnloser Gang sein wird, diesen Byron charakterisiert Schuberth als faszinierend, lächerlich, selbstironisch, selbstgefällig und selbstlos. Von all den philhellenischen Romantikern hatte er den nüchternsten Blick auf die griechischen Verhältnisse, weder idealisierend noch abwertend. Obwohl er die Romantiker eigentlich hasste, war er als moderner Don Quichotte dann doch wieder eine zutiefst romantische Figur. Mehr möchte ich hier nicht verraten, gehe ich doch davon aus, dass Sie alle, falls Sie, das Buch nicht ohnehin schon gelesen haben, es nach der Veranstaltung bei ihrem Buchhändler käuflich erwerben werden. Ich muss, um wieder etwas Persönliches zu sagen, gestehen, dass ich, vor meiner Begegnung mit Richard Schuberth, kaum etwas von ihm gelesen hatte, obwohl wir bei DRAVA Verlagskollegen sind. Als wir uns dann persönlich begegneten und Freunde wurden, las ich zunächst seine Essays — und war unangenehm überDezember 2021 21