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rascht. Unangenehm, weil ich feststellen musste, dass Richard, vieles von dem, was ich über Themen wie Identitatspolitik, Kulturalismus, kulturellen Rassismus u.Ä. veröffentlicht habe, schon Jahre zuvor zu Papier gebracht hat — mit einem Witz und in einem Stil, die ihresgleichen suchen. Der Untertitel des ersten Bandes von Schuberths Essaysammlung Rost und Säure heißt etwa: Kultur und wie man sich davor schützt. Angenehm überrascht war ich beim Lesen der Theaterstücke Schuberths, wie etwa Freitag in Sarajevo, Wartet nur bis Captain Flint kommt oder Wie Branka sich nach oben putzte. Es gibt ja einige wenige Menschen, die das Glück haben, Theaterstücke beim bloßen Lesen im Kopf zum Leben erwecken zu können und daher schon beim Lesen eines Dramas einen weit größeren Genuss empfinden als die Mehrheit von uns. Für die Dramen Richard Schuberths gilt aber, dass sie auch uns gewöhnlichen Lesern, die wir diese Fähigkeit der Inszenierung im Kopf nicht besitzen, beim bloßen Lesen großes Vergnügen bereiten. Mir ging es jedenfalls so und ich denke, dass diese Qualität viel mit Schuberths (Wort-)Witz und der sprachlichen Dramaturgie seiner Stücke zu tun hat. Neben Theaterstücken schreibt Schuberth auch Drehbücher, für die er im Rahmen der Grazer Diagonale gleich dreimal einen Preis erhalten hat. Das einzige Schuberth‘sche Drehbuch, das keinen Drehbuchpreis erhalten hat, ist wiederum als einziges verfilmt worden. Es handelt sich um den TV-Film Aguanitis. Im geselligen Teil der Veranstaltung können wir uns bei Bedarf gerne über Schuberths wunderbaren ersten Roman Chronik einer fröhlichen Verschwörung oder seine Essays zu Karl Kraus unterhalten. Oder über sein Wirken als Ethnomusikologe, als Zeichner von gesellschaftskritischen Cartoons, als Songwriter und als Gründer des Musikfestivals Balkan Fever. Werke und Aspekte des Wirkens von Richard Schuberth, auf die ich aus Zeitgründen leider nicht näher eingehen kann. Abschließend aber zu einem meiner Lieblingsbücher aus der Feder Schuberths: Narzissmus und Konformität. In diesem Buch vermeidet er es klugerweise, uns mit der Frage zu quälen, was es mit dem widersprüchlich verwendeten Begriff Narzissmus nun tatsächlich auf sich haben mag. Stattdessen konfrontiert er sich und uns mit der weit interessanteren Frage, was uns unsere obsessive Beschäftigung mit dem Ihema Narzissmus über uns sagen mag. Es ist ihm, anders gesagt, um die gesellschaftliche Dimension des Narzissmus zu tun. Aber auch um die narzisstische Dimension der gegenwärtigen Gesellschaft. Dabei macht er auf jenen historischen Moment aufmerksam, als das bürgerliche Bewusstsein das private, „authentische“ Ich absolut setzte und dessen gesellschaftliche Verankerung leugnete. Die theatralische Dimension des öffentlichen Lebens, die im aristokratisch geprägten 18. Jahrhundert dominiert hatte, und in der man zwischen der privaten Person und ihrer öffentlichen Rolle klar zu unterscheiden wusste, geriet im bürgerlichen 19. Jahrhundert in Misskredit. Angesagt waren nunmehr Ernsthaftigkeit, Innerlichkeit und eben Authentizität. Heute begegnen wir den Nachwirkungen dieses Paradigmenwechsels in zutiefst narzisstischen Imperativen wie: „Sei du selbst!“, „Sei authentisch!“, „Verwirkliche dich selbst!“ usw. Paradoxerweise wittern die Vertreter eben dieser narzisstischen Ideologien, die etwa in Kunst und Kultur einer „demokratischen Verständlichkeit“ das Wort reden, hinter der sich nichts als Marktgängigkeit versteckt, den Narzissmus nun nicht bei sich, sondern gerade in jenen Tendenzen, die 22 _ ZWISCHENWELT heute dem kollektiven Narzissmus entgegenwirken. Alles künstlerisch Verspielte oder intellektuell Anspruchsvolle, jede Rollenflexibilität, jede, mit Hegel zu sprechen, „Anstrengung des Begriffs“ steht heute unter dringendem Narzissmus-Verdacht. „Eine Frage der Zeit nur“, schreibt Schuberth, „bis die seelische Kränkung, die durch das Unverständnis eines Textes erfahren wird und die nichts als eine narzisstische ist, klagbar wird und sprachliche Brillanz als sozial schädliches Verhalten gerichtliche Verfolgung oder Zwangstherapie nach sich zieht“. Oder eben: Den Vorwurf des Narzissmus. Woraus folgt: Mit seinen geistreichen, verspielten und ungemein aufschlussreichen Büchern wird Schuberth dem Vorwurf des Narzissmus mit Sicherheit nicht entgehen. Sama Maani, geboren in Graz, aufgewachsen in Österreich, Deutschland und dem Iran. Studium der Medizin in Wien und der Philosophie in Zürich. Ausbildung zum Psychiater und Psychoanalytiker in Graz. Lebt heute als Schriftsteller in Wien. 2004 Literaturpreis „schreiben zwischen den kulturen“, 2007 Österreichisches Staatsstipendium für das Romanprojekt „Ungläubig“ (erschienen 2014 bei Drava). Weitere Veröffentlichungen: „Respektverweigerung: Warum wir fremde Kulturen nicht respektieren sollten. Und die eigene auch nicht“ (Essayband 2015 bei Drava), , Der Heiligenscheinorgasmus und andere Erzählungen“ (2016 bei Drava), „Teheran Wunderland“ (Roman 2018 bei Drava), „Warum wir Linke über den Islam nicht reden können“ (Essayband 2019 bei Drava), „Worüber man als Jude nicht schreiben sollte“ (Essayband 2020 bei Drava). Zuletzt erschien sein Roman „Zizek in Teheran” (2021 bei Drava).