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Wie einfach ein Sandwich kaufen! In Bibliotheken leben! (Durch Supermarkets laufen!) Dem Subway-Mob vergeben! Wie gut sich herum zu treiben (wie Lifts aneinander reiben Im Geschlechtsverkehr von cultures) Wie gut deine kalte Schulter. Das Gedicht ist in Ton und Gestus optimistisch und skizziert das Bild eines unlängst Angekommenen. Die Stadt ist der Adressat einer lyrischen Persona, die sich nur einmal explizit im Reflexivpronomen in der Zeile ,Wie gut sich herum zu treiben“ manifestiert, aber ansonsten mit der Stadt und ihrem Getriebe verschmilzt. Liest man das Exil als Kontext mit, ist es befreiend, nach einem traumatischen Erlebnis durch die Metropole zu schlendern. Das Leben scheint einfach, und die Haufung von Ausrufezeichen mag der oft beschriebenen und ironisierten superlativen Größe und Fülle New Yorks entsprechen. Scheinbarer Einfachheit zum Trotz verdichtet das Gedicht komplexe Gefühlsstrukturen und vermittelt Leichtigkeit gepaart mit Witz. Die lyrische Persona sieht und durchwandert die Stadt, die sich selbst in der Morgensonne in ihren Fenstern, Glas- und Stahlfassaden widerspiegelt. Die zweite und dritte Strophe enthalten eine Reihe von englischen, oder speziell amerikanischen Ausdrücken, somit wird die Darstellung des Ankommens, der Multiethnizität New Yorks entsprechend, translingual. Erleichterung, der Verfolgung entgangen zu sein, durchdringt das Gedicht. Es ist einfach, einzukaufen und unbemerkt durch die Straßen zu schlendern, selbst New Yorks „kalte Schulter“, ihre Anonymität ist willkommen. Das markante Bild vom „Geschlechtsverkehr von cultures“ zeigt, auch auf der doppelsprachigen semantischen Ebene die ethnische und kulturelle Vielfalt New Yorks, die einst auch für Wien charakteristischer war. Das Loblied auf New York ist, ex negativo, ein Klagelied über Wien, die Stadt, die ihren jüdischen Bürger*innen nicht nur die essentiellen Freiheiten, die das Gedicht benennt, entzogen hat, sondern jegliche Lebensgrundlage und Sicherheit. Ein späteres Gedicht, Dyckman Street El-Stop ‘84 wurde erstmals 1988 in englischer Fassung in einer Anthologie von Gedichten deutschsprachiger Autoren im Ausland veröffentlicht und kann auch als Echo der Klassen-Übungen gelesen werden: Dyckman Street El-Stop 8 A girl worked on her window gleam high in a railroad flat... An old man sat beside a dream. A dark child hugged a cat. Soft April dusk lit up as tin; gone trains purred from afar. And though you may have felt akin to all on this shrunk star — you never had a lonelier time: No poem you wrote made sense, where parallel lines burned to rhyme for audiences immense. 24 ZWISCHENWELT Fed ik? : 4 stelle! ee | che if l " j Na | Sn (yf oe” ; © VA GRUEN GILDE BRIKEN BIEL Sey Die Dyckman Street Station war Teil der inzwischen aufgelassenen Hochbahn zwischen Manhattan und der Bronx. Die lyrische Persona ist nun ein alter Mann und das Gedicht nimmt die Form eines Selbstgesprächs an. In der ersten Strophe beobachtet das „du“ des Gedichts Menschen in „railroad flats“, die vom vorbeifahrenden Waggon aus zu sehen sind. Ein alter Mann sitzt, wie das lyrische „Du“ selbst, still, „beside a dream“; ein Kind umarmt eine Katze. Das Frührot des ersten Gedichts korrespondiert mit der weichen Aprildämmerung, die wieder die spiegelnden Flächen der Stadt auf leuchten lässt, und entfernte Züge „schnurren“ in einem synästhetischen Echo der Katze, die im Fenster sichtbar ist. Auf halbem Weg durch das Gedicht wechselt die Stimmung von Kontemplation zu einer ambivalenten Melancholie. Das „Du“ fühlt sich zwar der Menschheit verbunden, aber unverstanden, vielleicht weil die eine Sprache und das begrenzte Publikum durch die Doppelsprachigkeit und das immense Publikum ersetzt wurden. Die Zeile „No poem you wrote made sense“ knüpft aber auch an die österreichische Tradition der Sprachkritik an und hebt sich gerade im Akt des Zursprachebringens auf. Wien in New York Brainin hat Dyckman Street El-Stop "84 für die deutschsprachige Gedichtsammlung selbst übertragen und mit dem Titel Das siebte Wien und dem Untertitel (Jamaica, Queens) versehen: