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wuchs in die Gefahren der Waldarbeit hinein wie in eine Gymnastik zur Körperertüchtigung.“ (Am Taubenmarki) Später ist er in vielen seiner Erzählungen den historischen Würgmalen im Inneren Salzkammergut, wo er aufwuchs, nachgegangen, den verfilzten und verflixten allzumenschlichen Umständen in Zusammenhang mit politischen Konstellationen und Katastrophen, denn der Makrokosmos der Weltgeschichte hat auch Auswirkung auf die hintersten Winkel dieses Erdballs. Und sie machen auch nicht halt vor der Schwelle der noch so kleinen Hütte. Wenn, lauthals propagiert, große Zeiten ausbrachen, dann hieß dies meist nichts Gutes für „den kleinen Mann“, den zuletzt die österreichische Rechtsaußenpartei mit ihrer Phraseologie so emsig und erfolgreich umworben und zugleich verraten hat, auch wenn ihre Wählerinnen und Wähler diese Verlogenheit noch immer nicht bemerkt haben. Kain stand als junger Mann selber vor der Entscheidung: Anpassung, sich ducken oder Widerstand. Wir wissen, welchen Weg er gewählt hat, nicht zuletzt ist in seinem großen Erinnerungsbuch Am Taubenmarkt davon zu lesen. Berlin, Herbst 2020: Fahre mit der Linie M 10 bis zur Haltestelle Arnswalder Platz in der Danziger Straße. Als wir durch die Bernauer Straße rollen, wo die Mauer stand, werde ich unwillkürlich, als ich den Namen der Straße lese, an die Erzählung Romeo und Julia an der Bernauer Straße von Franz Kain erinnert. Kain hat einige Jahre in Berlin gelebt, ich kann mich nur noch dunkel an Schilderungen in seiner Biographie erinnern. Ich werde jedenfalls auch den Mont Klamott in Friedrichshain aufsuchen; diesem monumentalen, mittlerweile bewachsenen Schuttberg hat er darin ein ganzes Kapitel gewidmet. Wieder zuhause nehme ich Am Taubenmarkt zur Hand, um über seine Berliner Jahre nachzulesen. Das Buch aufschlagend fallen mir zwei Fotos in die Hände, die ich vor Jahren von ihm während einer Lesung im Atelier des Malers und Mineraliensammlers Hermann Haider im Meierhof Pulgarn angefertigt habe. Ich habe damals als Redaktionsmitglied der Mühlviertler Kulturzeitschrift und als Mitglied der Mühlviertler Künstlergilde, der auch Franz Kain angehörte, im genannten Atelier Lesungen organisiert, die gut besucht waren. Ich wende die Fotos und lese das Datum: Herbst 1988. Ich blättere, lese, blättere und lese mich fest: Ich hatte längst vergessen, dass er schon als Jugendlicher, nach einer längeren Haft in Linz, nach Berlin transportiert worden war, um am Volksgerichtshof verhört zu werden. Nach einer „halben Zimmermannslehre“ (aus politischen Gründen vorbestraft musste er die Lehre beenden), hatte er als Holzknecht gearbeitet und war wegen seines politischen Engagements für die Kommunistische Partei im Spätwinter 1940/41 verhaftet worden. Von Linz wurde er in mehreren Etappen, wobei er, abgesehen von Demütigungen und schlechter Verpflegung, Gefängnisse in Prag und Dresden kennenlernen durfte, im Frühling 1942 nach Berlin verfrachtet: Das Gefängnis, aus dem die Häftlinge zur Verhandlung vor dem Volksgerichtshof gebracht wurden, lag in Moabit. Hinter dieser Namensgebung verbarg sich die einstige Vorliebe der Protestanten und Hugenotten fir das Alte Testament. Das Gefängnis war ein riesenhafier, sternformig angelegter Bau. Damasus war in einem Flügel mit der Bezeichnung ‚G IV“ untergebracht. (...) Als der Kalfaktor herausgefunden hatte, dass Damasus ein Politischer war, flüsterte er 28 — ZWISCHENWELT ihm zu, dass im selben Stockwerk des Gefängnisses längere Zeit auch der Vorsitzende der KPD, Ernst Thälmann, eingekerkert war. (Am Taubenmarkt) Der Oberösterreicher Franz Kain war mit einigen anderen Kameraden in jenem Gefängnis gesessen, von dem heute nur noch der Grundriss zu sehen ist und über dessen Gelände ich mit Florian Neuner geschritten war. Er hatte ein Buch zur Geschichte von Moabit mitgebracht, in dem eine historische Darstellung des ehemaligen Gefängnisses — heute „Geschichtspark Ehemaliges Zellengefängnis Moabit“ — abgebildet ist und Abläufe wie die Rundgänge der Gefangenen veranschaulicht. Teile des Gefängnisses nutzten ab 1940 die Wehrmacht, nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 auch die Gestapo. Je weiter man eindringt in die Geschichte dieses Ortes, umso haarsträubender die Fakten. In den Sinn kommt mir wieder einmal ein Satz von Wolfgang Borchert: „Wie die Fliegen kleben die Toten an den Wänden dieses Jahrhunderts.“ In der Nacht vom 22. auf den 23. April 1945 wurden 16 Häftlinge unter dem Vorwand der Freilassung auf das nahegelegene ULAP-Gelände geführt und auf Anordnung von Heinrich Müller ermordet. Die Exekutionen wurden durch 30 SS-Männer per Genickschuss vollzogen. Unter den Ermordeten befanden sich Klaus Bonhoeffer und Albrecht Haushofer, bei dessen Leiche einige der im Gefängnis entstandenen Moabiter Sonette gefunden wurden. Die von Haushofer in der Haft angefertigte Durchschrift der Sonette bekam der Historiker Friedrich Wilhelm Euler in die Hand, der Albrecht Haushofer gekannt hatte. Seine amerikanischen Vorgesetzten waren so beeindruckt, dass sie einen Privatdruck veranlassten. Einige dieser Sonette sind Teil der Installation auf dem Gelände, und zwar wurde eine Betonkammer in der Größe einer Einzelzelle auf freiem Gelände errichtet. Betritt man diese, dringen überraschend aus einem unter der Betonpritsche angebrachten Lautsprecher Verse des leider allzu unbekannten Geographen, Schriftstellers und Widerstandskämpfers Haushofer. Franz Kain wurde einem Verhör unterzogen, jedoch nicht gefoltert. Zwei Tage nach der Verhandlung erfuhr er, dass er und zwei weitere Angeklagte wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu Zuchthausstrafen verurteilt worden seien. Er selber bekam drei Jahre aufgebrummt (sein Klassenbewusstsein, seine politische Haltung, auf Erfahrung gegründet, wurde ihm von manchen bis zu seinem Tod angekreidet).