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jene Holzarbeiterjahre zurück. Adalbert Stifter, so sagte Kain, der in der oberösterreichischen Literaturszene mit einiger Ironie als der „rote Stifter“ bezeichnet wurde, beschreibe die Bäume als Maler, er hingegen als Holzknecht.? Auch während der Nazizeit setzte Kain, bei den „Reichsforsten“ tätig, die Untergrundarbeit im kommunistischen Widerstand fort. Einer der Genossen, Raimund Zimpernik, verfasste Flugblätter mit Parolen wie: „Soldaten, ihr müsst die Gewehre drehn und ren Henkern zuleibe gehn!“ Zweite Verhaftung und die Folgen Als Neunzehnjähriger wurde Kain am 1. März 1941 zum zweiten Mal verhaftet, als die Widerstandsgruppe von der Gestapo ausgehoben worden war. Er wurde ein Jahr später durch den „Volksgerichtshof“ zu drei Jahren Zuchthaus sowie drei Jahren Ehrverlust verurteilt: wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“, im „Bestreben, die Ostmark vom Reiche loszureißen“. Wechselnde Gefängnisaufenthalte im ganzen Reichsgebiet, schließlich im November 1942 Einberufung zur berüchtigten „Strafdivision 999“. Die bisher vom Dienst in der Wehrmacht ausgeschlossen gewesenen „bedingt Wehrunwürdigen“ (dazu gehörten die, die wie Kain zu einer Zuchthausstrafe verurteilt worden waren) sollten dem totalen Krieg zugeführt werden: die Überlebenschancen bei einem solchen „Himmelfahrtskommando“ galten als minimal, aber da Kain und Genossen vor die Wahl KZ oder Strafkommando gestellt wurden, war letzteres noch vorzuziehen. Nach Ausbildung auf der Schwäbischen Alb, Besatzungseinsätzen in Belgien und Frankreich wurde Kains Regiment schließlich nach Nordafrika überstellt, Kain war mittlerweile 21 Jahre. Anfang Mai 1943 geriet er nahe Tunis in amerikanische Kriegsgefangenschaft. In seinem autobiographischen Roman Am Taubenmarkt (1991) beschreibt er die Szene der Gefangennahme als das Erlebnis einer Befreiung: Die schussbereiten Gewehre der US-Soldaten im Rücken, fingen „nach etwa fünfzig Metern [...] die beiden Gefangenen zu lachen an, und es überkam sie eine derartige Fröhlichkeit, dass sie förmlich geschüttelt wurden von der Erkenntnis, dass mit dieser Gefangennahme nach Jahren der Haft und der Bedrohung für sie die Freiheit angebrochen war.“"! Danach drei Jahre Kriegsgefangener in Lagern in Alabama, Mississippi, Massachusetts, New Hampshire und Virginia. Er arbeitete dortan Zeitungen der Emigration und am Halbmonatsblatt deutscher Kriegsgefangener „PW“!? mit. |“ Im Zeichen politischer Kontinuität, nunmehr „lega Franz Kain war gleich 1946, nach seiner Rückkehr nach Österreich, diesmal „legal“, wieder politisch tätig geworden; es war übrigens der Schriftsteller Arnolt Bronnen, kurzzeitig Bürgermeister von Bad Goisern, der ihn als Journalisten zur kommunistischen Neuen Zeit holte, deren Chefredakteur er bis zu seiner Pensionierung 1982 blieb. Von 1953 bis 1956 war er Korrespondent der Volksstimme in Berlin/DDR. Rückblickend hielt er fest: Die frühen fünfziger Jahre waren — trotz 17. Juni 1953 — auch Jahre der großen Hoffnung auf radikale Erneuerung. [...] Die Stagnation kam später, ich gehöre zu denen, die auch die Hoffnung erlebt haben. [...] Ich werde es keineswegs verdrängen, dass mir die DDR zum erstenmal literarisch Obdach gegeben hat, ganz im Gegensatz zu dem von wütender Gegenreformation gegen alles Fortschrittliche gebeutelten Heimatland." Doch nicht nur als Journalist stand Kain in Diensten der KPÖ, sondern auch in zahlreichen politischen Funktionen: von 1969 bis 1983 war er Mitglied des Zentralkomitees der KPÖ und von 1977 bis 1986 deren einziger Mandatar im Linzer Gemeinderat, wo er den Etablierten als unbequemer Stachel in seinem Aufzeigen von Missständen galt. Dieses kommunistische Lebensengagement mag dazu beigetragen haben, dass der österreichische Literaturbetrieb Franz Kain, solange es ging — und es ging allzu lange! — totschwieg. Erik Adam stellte hierzu ganz zutreffend fest: Ist der Literaturbetrieb auch großzügig gegenüber allem, was dem Bestehenden nicht wirklich weh tut, denn ‚nur an seinen Wunden zu kratzen, schafft ihm sogar einiges Wohlbehagen, weil dadurch der chronische Juckreiz der Fäulnis gedämpft wird‘ [dabei Franz Kain zitierend, Anm. PH], so hört sich bei einem kommunistischen Schriftsteller, der den Dingen schonungslos auf den Grund geht und sie in der ganz konkreten, einfachen Sprache von Geschichten darstellt, die Großzügigkeit auf.“ Der in der Heimat totgeschwiegene, in der DDR hochanerkannte Autor Judith Gruber-Rizy, die (damals noch als Judith Gruber) die erste umfassende wissenschaftliche Monographie in Gestalt einer Dissertation über Franz Kain schreiben sollte’, stieß bei ihrem Themenvorschlag auf ein unwissendes „Franz Kain? Den kenne ich nicht!“ seitens ihrer Professorin.!° Das war bezeichnend für die Situation in der Heimat. Der Autor hatte sich freundlicherweise bereit erklärt, die Dissertantin mit detailliertesten Auskiinften über sein Leben und mit jedwedem Material über sein Werk zu versorgen: 35 Stunden umfassten allein die Tonbandprotokolle ihrer Gespräche." In Österreich war das Werk nur schwer und in Bruchstücken zugänglich: erst ab 1989 begann der kleine Verlag Bibliothek der Provinz systematisch seine wichtigsten Bücher herauszubringen. Es war dem Kalten Krieg und dem Antikommunismus, aber auch dem durch lange Jahre praktizierten Verschweigen des antifaschistischen Widerstands und der Verdrängung der „ostmärkischen“ Kollaboration mit den Nazis und der Mittäterschaft von Österreichern im Dritten Reich geschuldet, dass die heimischen Verlage die davon ausführlich handelnden Romane und Erzählungen von Franz Kain ohne jede weitere Begründung bis dahin abgelehnt hatten. Der ORF boykottierte ihn durch rund 30 Jahre. „Franz Kain fiel dem ideologischen Vorurteil zum Opfer, er sei ein Ideologe. Das ist ein schlechter Witz: jede einzelne seiner Geschichten beweist das Gegenteil — nämlich Kains Fähigkeit, unbeirrt vom Konkreten auszugehen und aufs Konkrete zurückzukommen“, so die Süddeutsche Zeitung im Jahre 1989." Inwieweit er in der Bundesrepublik Deutschland oder gar in der Schweiz wahrgenommen wurde, ist die Frage’; in der DDR hingegen waren viele seiner Bücher veröffentlicht worden, und er gehörte dort, was nicht allein einer Parteilichkeit geschuldet war, unbestritten zu den Großen. Persönliche Kontakte hatte er unter anderem zu Bertolt Brecht, Anna Seghers, Arnold Zweig, Johannes R. Becher, Ludwig Renn und dem Lyriker Peter Huchel sowie zu Brigitte Reimann?’ geknüpft. Er fand 1988, ein Jahr vor der Dezember 2021 31