OCR
von solider Arbeit und Methode und von einem gestalterisch überraschend subjektiven Zugriff, erwiesen sich als Produktionen einer geistigen Hochkultur. In der Begegnung mit diesen Werken und Persönlichkeiten war ich von einem neuen, so vorher noch nie gekannten Lernwillen erfasst worden. In diese Zeit fällt meine erste Lektüre von Werken Franz Kains. Besonders dessen Roman Der Föhn bricht ein hatte es mir angetan, und ich hätte mir gewünscht, ein solches Werk im Besitz aller österreichischen Schulabsolvent*innen statt eines sogenannten „Jungbürgerbuches“ zu wissen. Franz Kain empfand ich in jenen Jahren als einen meiner Lieblingsschriftsteller, und ich warb unter meinen österreichischen Bekannten dringend für ihn. Durch einen Zufall lernte ich in Linz wenig später seine Tochter Eugenie, seine Enkelin Katharina sowie die Witwe Margit Kain kennen. Fugenie Kain, selbst eine beachtete Autorin geworden, fand meine erste Frage, für mich zwar brennend interessant, als die leider ihr nur zu bekannte: ob sie seine Tochter sei.“ Und dann musste meine Bewunderung fiir ihren Vater heraus. Es blieb und bleibt mir die Diskrepanz lebendig und unabgegolten, seinen Namen in einem in der DDR erschienenen, vergilbten, längst vergriffenen Lexikon der Weltliteratur (!) angeblättert zu haben, um dann zu sehen, wie er in Linz zwar eine bekannte Größe, doch letztlich eher nur eine lokale, darstellte: immerhin ist in Urfahr seit 1999 ein Weg nach ihm benannt‘. Karl-Markus Gauß indessen war der Ansicht, Kain verdiene „zu den Klassikern der Nachkriegsliteratur, zu Lebert, Fritsch, Drach gestellt“? zu werden. „Über das schmähliche Ende der DDR“, schrieb Kain an Gauß Ende 1992, „kann ich keine Befriedigung, geschweige denn Schadenfreude empfinden. Als Österreicher, der im Kampf gegen das Dritte Reich seine junge Haut zu Markte getragen hat, nehme ich mir das Recht, gegenüber einem ‚Vierten‘ Reich Misstrauen und Grauen zu empfinden.““ Die meisten Angehörigen der Nachkriegsgeneration hatten mit der Rolle ihrer eigenen Eltern und Großeltern zu kämpfen, mit dieser Mauer des Schweigens und Verdrängens, mit deren häufig unerfreulichen, zu keiner Identifikation animierenden Rolle im Dritten Reich — sei es als Erduldende, Hinnehmende, Wegschauende, als angepasste Mitläufer, Opportunisten, Mit- oder Haupttäter. Die Nachkommen hatten daran zu nagen, haderten damit, wenn nicht gar ein intergenerationell übertragenes Trauma sie psychisch vergiftete. Und hier war in Franz Kain einer, der der Generation meines Vaters angehört hatte, bloß zwei Jahre älter als er, der ohne höhere Schulqualifikation und ohne sich verbiegen oder brechen zu lassen, ohne zu verstummen oder zu resignieren, unbeirrbar seinen Weg gegangen war und mit Glück überlebt hatte: einen abenteuerlicheren und an Erlebnissen sowie an Produktivität gewiss reicheren Weg. Und ohne diesen Stachel der Schuld. „Kain gehört [...] zu der Generation von Männern, die am stärksten dezimiert wurde. Allerdings unterscheidet sich seine Biographie, nicht nur was die Kriegsjahre anbelangt, gravierend von der der meisten österreichischen Männer dieser Generation.“® Weiterwirken Dem 1997 Verstorbenen waren um die Jahrtausendwende mehrere in Zwischenwelt dokumentierte Kolloquien gewidmet, initiiert von Erich Hackl, Margit Kain, Konstantin Kaiser und Walter Wippersberg, die sich, um Aktualität bemüht, auf die Themenfelder „Möglichkeiten und Grenzen des Schreibens gegen den Faschismus 34 ZWISCHENWELT ‚einst‘ und ‚jetzt‘“ (Wien, 1999), „Das Mitleid — seine Abwesenheit und Gegenwart in der Literatur“ (Linz, 2000)“ und „Die Ohnmacht in der Literatur“ (Innsbruck, 2001) konzentrierten. Teilnehmer*innen waren außer den Initiatoren: Hans Augustin, Siglinde Bolbecher, Eugenie Kain, Wulf Kirsten, Walter Kohl, Anna Mitgutsch, Barbara Neuwirth, Vladimir Vertlib, Elisabeth Reichart, Andreas Tiefenbacher, Richard Wall, Erika Wimmer. Im Rückblick erstaunt es nur, wie schwer es damals vor 20 Jahren war und wie unzeitgemäß es wirkte, dem Mitleid eine Bresche — und sei es zur Empathie modernisiert und zur Solidarität in Widerstandsbereitschaft gebracht — zu schlagen; selbst die Auseinandersetzung mit dem Faschismus schien eigens einer Rechtfertigung zu bedürfen, so sehr blies uns ein übermächtiger Gegenwind, sogar in der Kunst- und Literaturszene, entgegen. „Und trotzdem schreiben wir, immer am Rande des Verstummens“, so Erich Hackl.‘ Und Konstantin Kaiser bekannte, ganz im Geiste Franz Kains und Theodor Kramers, er suche, ,,immer mit dem Faschismus im Nacken, als Lyriker einen Weg, die Zerkliiftung unserer Welt zu zeigen, ohne gleich alle Aussicht zu nehmen und ohne diese Zerklüf tung auch noch zu inszenieren. Ich will mich nicht aufführen wie ein ... hysterischer Heiland, / der kommt zu retten oder zu toten.“* Gegen das Schwarze Loch des Vergessens anschreiben, den Wärmestrom des Erinnerns gegen die Kälte und Unpersönlichkeit oder gar die Affırmation des Verschwindens setzen, heißt, in den Worten des Kunsthistorikers Max Raphael (1889 — 1952), „sich die Welt nicht zerbrechen zu lassen“. Peter Hodina, geboren am 1.1.1963, lebt und arbeitet in Salzburg und Berlin. Buchveröffentlichungen: Steine und Bausteine 1-3 (Trilogie; Berlin: Avinus Verlag, 2009-2014); Sternschnuppen über Hyrkanien (St. Wolfgang/Wien: Edition Art Science, 2012); Spalier der Farne. Notate (Wien: Edition fabrik.transit, 2022). Anmerkungen 1 Laut Peter Kraft aus dem Jahre 1970: „Kain liebt den Ort, wo die Dorfgeschichte in die Weltgeschichte übergeht.“ (Zit. in: Wulf Kirsten: Ein simplicianischer Lebenslauf. In: Zwischenwelt, 19. Jg., Nr. 4/2003, S. 4348, S. 44.) 2 Über Adalbert Stifter hieß es übrigens in einem zeitgenössischen Künstlerlexikon noch 1847, in Verkennung von dessen Hauptbegabung: „Stifter, Adalbert, Maler zu Wien [...] ist auch als belletristischer Schriftsteller bekannt“. Nach Klaus Brath in: http://www.aerztezeitung.de/Panorama/ Ein-Arztroman-gilt-als-Stifters-persoenlichstes-Werk-377063.html [abgerufen am 18.09.2021]. 3 Vgl. Wolfgang Quatember: Franz Kain — ein widerstandiges Leben. In: Klaus Kienesberger (u.a.) [Hg.]: unSICHTBAR. widerstandiges im salzkammergut, Wien: Czernin, 2008, S. 110-117. 4 Christian Dirninger/Thomas Hellmuth/Anton Thuswaldner: Salzkammergut schauen. Ein Blick ins Ungewisse, Wien [u.a.]: Böhlau, 2015, S. 156. 5 Alfred Pittertschatscher: FK - Eine Befragung. In: Die Rampe. Hefte für Literatur, Sonderband 1994, Porträt Franz Kain, $. 51-59, S. 55. 6 Quatember, a.a.O., S. 110. 7 ‚Wer Holzverstand hat, weiß es ohnehin längst: die astreichen und schadhaften Stellen des Stammes sagen mehr über die Beschaffenheit eines Waldes aus als schön ausgeformte Längen“, heißt es etwa in seiner Erzählung Der Weg zum Ödensee (Berlin/Weimar: Aufbau, 1974, S. 187). 8 Franz Kain: Manuskript einer Rede in Salzburg/Nonntal 1994, S. 6, (Archiv Zeitgeschichte Museum Ebensee [ZME)). 9 „Wie intensiv er als Wäldner gelebt hat, bringt er für mich in einer scheinbar nur nebensächlichen Beobachtung zum Ausdruck, die er als politischer Häftling in seiner Zelle macht: Aus der Maserung der Dielen las er den