OCR
noch Ehre zu erweisen, hier ein Gedicht, das klingt als wärs von heute „Die verpestete Freiheit“ (Aus „Die letzten Lieder der Griechen“) Was schreit das Pharisäervolk so ängstlich durch die Länder, Die Häupter dick mit Staub bestreut, zerrissen die Gewänder? Sie schreien: „Sperrt die Häfen zu, umzieht mit Quarantänen Die Grenzen und die Ufer schnell vor Schiffen und vor Kähnen! Die Pest ist unter ihrer Schar. Da seht die Strafgerichte, Damit des Herrn gerechte Hand Empörer macht zunichte! Die Freiheit selber, wie es heißt, ist von der Pest befallen Und flüchtet sich nach Westen nun mit ihren Jüngern allen; O seht euch vor, daß in das Land die Freiheit euch nicht schleiche Und der gesunden Völker Herz mit ihrem Hauch erreiche! Sie kleidet sich zu dieser Zeit in vielerlei Gestalten: Bald Weib, bald Mann, bald nur ein Kind, bald hat sie greise Falten. Drum lasset keinen Flüchtling ein, der kommt vom Griechenlande, Daß nicht die Freiheit ihre Pest bring in die guten Lande!“ Nun, dafür sorgen womöglich Kapitäninnen unserer Zeit, die ich hier auf keinen Fall unerwähnt lassen möchte. Es sind mutige deutsche Frauen, Pia Klemp und Carola Rackete, ehemals Kämpferinnen für den Naturschutz in den Meeren, jetzt Kapitäninnen auf dem Mittelmeer, um Flüchtlinge zu retten. DAS ENDE Nun aber will ich den Bogen unsrer Geschichte schließen. Wie kam es, dass 1832 ein Bayer Griechenlands König werden konnte? Nun, dieser vorerwähnte Streit der Parteien im jungen, demokratisch verfassten Griechenland schwächte das Militär und neuerlich wurden die Peleponnes besetzt durch die Osmanen, es halfen dabei 30000 ägyptische Soldaten, grausamer, blutiger als je zuvor. In dieser Not stimmten die zerstrittenen Parteien der Hilfe zu, die Russland, England und Frankreich militärisch boten, um den Preis der Demokratie. Diese war den drei Hilfsmächten unerwünscht. Die Monarchie wurde beschlossen — doch da im übrigen die drei einander feindlich waren - und Griechenland nur zur Befestigung ihrer Handelsund Machtinteressen brauchten gegen das Großreich der Osmanen - einigten sie sich auf einen König aus neutralem Land. Es fiel die Wahl auf Bayerns Otto, der diese annahm und mit seinen gerade erst mal 17 Jahren 1832 in Nafplion an Land ging. Er wurde ein neoabsolutistischer Monarch, es gab keine Verfassung, und kein Grieche, keine Griechin waren im königlichen Kabinett vertreten . 46 ZWISCHENWELT So waren denn all diese Kämpfe vertan? Um Freiheit? Selbstbestimmung? Alles vertan? Müßige Frage — Geschichte endet nicht. © Michaela Steinbrück, mischisteinbrueck@yahoo.de Anmerkungen 1 Kleine Entstehungsgeschichte — Bereits vor etlichen Jahren, als ich mit der griechischen Journalistin und Historikerin Vivi Papanayotou eine Rundfunksendung über das Bild der Frauen im griechischen Volkslied gemacht habe, stießen wir auf die „Tsavelena“, ein epirotisches Lied über eine mutige Kämpferin an vorderster Front. Vivi erstellte eine Liste der Frauen, die in die Überlieferung eingegangen waren, und da hörte ich zum ersten Mal von den “kapetanisses“. Dann, vor wenigen Jahren, elektrisierte mich die Lektüre des Artikels „Wie aus Räubern Helden wurden. Griechischer Freiheitskampf, Philhellenismus und die Entdeckung der griechischen Volkslieder um das Jahr 1825“ von Regine Quak-Manoussakis in HELLENIKA. Der von mir überaus geschätzte, romantische deutsche Dichter Wilhelm Müller war einer der Übersetzer jener „kleftika“, jener Räuber- und Heldenlieder, die mich als Sängerin sehr interessierten. In der Österreichischen Nationalbibliothek fand ich sein Buch „Neue Griechische Lieder“ und darin eins über „Die Souliotin“, einer Frau, die leidenschaftlich darum wirbt, mit ihrem Mann gegen den Feind kämpfen zu können. Da erinnerte ich mich an die „kapetanisses“ und begab mich auf die Suche. Griechisch Wikipedia half mir dabei. Und was ich da las, wurde schließlich die zündende Grundlage für meine Portraits der drei großen KAPITÄNINNEN; allerdings auch für meine Kritik an der frauenvergessenden Geschichtsschreibung. Zuletzt war ich überzeugt, dass ein altes, sehr bekanntes, heute noch oft gesungenes, österreichisches Volkslied, das befremdlicherweise einen Aufbruch nach Griechenland besingt, das Abschiedslied eines Mannes ist, der den Freiheitskampf der Griechen unterstützen wollte. Im Wiener Volksliedarchiv war es leicht, das „Wachauer Schifferlied“ und seine Geschichte zu finden. Allerdings enttäuschte mich diese: Es war kein österreichischer Freiheitskämpfer, der da Abschied nahm, sondern ein Söldner, der als Soldat in der Schutzmacht des bayrischen Prinzen Otto nach Griechenland fuhr, wo dieser 1832 zum König gekrönt wurde. Und so entstand die Idee, meine Geschichte von den KAPITÄNINNEN mit dem „Schifflein“, das sich die Donau abwärts „schwingt“ beginnen zu lassen und damit das Lesepublikum, indem es gleich zu Beginn ein armes, alterndes Wachauer Dienstmädchen aus dem Jahr 1832 sprechen hört, von dessen „niedrigen“ Alltagssorgen zur „hohen“ Außergewöhnlichkeit des Freiheitskampfes finden zu lassen. 2 Das „Wachauer Schifferlied“ ist ein österreichisches Volkslied, vermutlich bayrischen Ursprungs und 1832 entstanden. 3 „Xekinai mia psaropoula“ ist ein schr bekanntes griechisches Volkslied, wird als Syrtos getanzt, sein Verfasser ist Dimitris Gogos. 4 „San pethano sto karavi“ ist ein Rebetiko, Musik und Text sind von Babis Bakalis, seine berühmteste Interpretin war die Sängerin Sotitia Bellou. Das ist deshalb bemerkenswert, weil der Protagonist des Liedes ein Seemann ist, der seinen Tod beschwört und sein Leben in dynamischem Pathos als gelungen rühmt. 5 „Varia Mesanichta“, ebenfalls ein Rebetiko, Text von Kostas Manesis, Musik von Takis Lavidas. Es ist das Klagelied einer Frau, die den Tod erwartet. Also das genaue Gegenteil des vorangegangenen Liedes. Die Interpretin auch Sotiria Bellou. 6 „Poulaki pothen erchesai“, ein von mir bisher nie gehörtes griechisches Volkslied. Es erinnert an byzantinische Kirchenmusik und ist eine Hymne auf Domna Wiswisi.