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nen und Krankenpflegeorganisationen von christlicher Seite unterstellt wurde, sie würden sich „Kongregationseinrichtungen entnommene Kleidungen und Titulierungen“ aneignen. Insbesondere die Praxis weltlicher Krankenpflegerinnen, sich „Schwester“ zu nennen, wurde in dieser Debatte in Frage gestellt. Die zunehmende Verbreitung ausgebildeter KrankenpflegerInnen sowohl in den jüdischen Spitälern des Deutschen Reichs als auch in nichtjüdischen Spitälern Österreich-Ungarns schien jedoch auch als Ansporn für jüdische Einrichtungen in Österreich-Ungarn gewirkt zu haben. Schließlich sollten jüdische Spitäler nicht die letzte Zuflucht schlecht qualifizierter WärterInnen werden, wie in einem anonymen Zeitungsartikel in der Budapester „Jüdischen Wochenschrift“ im Jahr 1897 befürchtet wurde. Antisemitismus gegenüber jüdischen Frauen auf dem Arbeitsmarkt als Argument für die Schaffung jüdischer Krankenpflegeschulen hingegen wurde nur einmal ausdrücklich thematisiert und zwar im Zusammenhang mit der Erweiterung des Wiener Rothschildspitals. Der Versuch, Frauen aus bürgerlichen Familien für den Krankenpflegeberuf zu interessieren erwies sich in Österreich-Ungarn als nicht sehr erfolgreich. Dies hatte mehrere Gründe. Das stark christlich geprägte Berufsbild dürfte mit der Erwartung, das ganze Leben einem Beruf zu weihen, eine cher abschreckende Wirkung gehabt haben. Angehörige von Henriette Weiss, die sich engagierte, in Wien eine jüdische Krankenpflegeschule zu schaffen, bezeichneten diesen Lebensstil als „lebendig begraben sein“. Ein weiterer Grund war die real vorhandene Ansteckungsgefahr im Krankenhaus. Viele WärterInnen und geistliche Pflegerinnen erkrankten und starben z.B. an Tuberkulose sodass die Lebenserwartung geistlicher Schwestern zum Teil bedeutend unter jener der weiblichen Bevölkerung im Allgemeinen lag. Eine weitere Frage, die immer wieder thematisiert wurde, war die vermutete schwache Konstitution jüdischer Mädchen. So wie in der innerjüdischen Debatte um jüdische Dienstbotinnen schwang auch hier die Sorge mit, dass jüdische Frauen dem anstrengenden Beruf der Krankenpflegerin körperlich nicht gewachsen sein könnten.!? Dass es sich dabei um ein Vorurteil und eine Klischeevorstellung handelte, zeigt das deutsche Beispiel. Dort wurden bis zum Ersten Weltkrieg zwischen 300 und 400 Krankenschwestern an jüdischen Krankenpflegeschulen ausgebildet, bis zum Jahr 1927 waren es bereits über 1.000." Allerdings waren dort auch die Lebens-, Arbeits- und Entlohnungsbedingungen viel besser als in Österreich-Ungarn. Ausgebildeten jüdischen Krankenpflegerinnen wurde dort ein gutes Gehalt und eine gute soziale Absicherung geboten. In Österreich-Ungarn hingegen trug nicht zuletzt die Hierarchie im Krankenhaus und die Weigerung von Seiten der Ärzte, der Spitalsleitung und der IKG, weibliche Initiativen bei der Schaffung jüdischer Schulen zur Krankenpflegeausbildung zu unterstützen dazu bei, dass sich engagierte Frauen und Frauenvereine entweder zurückzogen oder sich — sofern sie über genügend Ausdauer und die nötigen finanziellen Mittel verfügten -, in einem Bereich engagierten, in dem sie ihr Tätigkeitsumfeld selbst gestalten konnten. Oder sie entschlossen sich von Anfang an für ein Medizinstudium, dessen Zugang sich Frauen zu diesem Zeitpunkt eben erst erkämpft hatten. Anmerkungen Mehrere Kommentare zu Aspekten jüdischer Krankenpflege in Österreich finden sich in: Sylvelyn Hähner-Rombach (Hg.): Quellensammlung zur Geschichte der Krankenpflege (mit CD-Rom). Frankfurt am Main: Mabuse 2008 (1. Aufl), 2019 5. Aufl.) Zum Bericht einer jüdischen Krankenpflegerin, die in Wien während der NS-Zeit arbeitete, siehe: Mignon Langnas: Tagebücher und Briefe 19381949. Hg. von Elisabeth Fraller und Heinrich Langnas. Innsbruck: Haymon 2013. 1 Dieser Artikel basiert auf einer von der Robert Bosch-Stiftung in Stuttgart geförderten Studie: Elisabeth Malleier:Jüdische Spitäler, Krankenunterstützungsvereine und Krankenpflegeschulen in Österreich-Ungarn (1867-1918). Forschungsbericht. Wien 2007 und daraus erfolgten Publikationen. 2 E. Malleier: Jüdische Spitäler in Österreich-Ungarn um 1900. In: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden. Hg. von Hans Otto Horch, Robert Jütte, Markus J. Wenninger in Verbindung mit Salomon Ludwig Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte. Bd. 18-19, Heft 1. Berlin, New York: Walter der Gruyter 2009, S. 207-241. 3 E. Malleier: Professionalisierungsbestrebungen in der Krankenpflege in jüdischen Spitälern Österreich-Ungarns um 1900. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte. Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung Bd. 27. Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2008, S. 111-132. 4 Zu jüdischen Studentinnen in Wien siehe: Waltraud Heindl und Marina Tichy (Hg.): „Durch Erkenntnis zu Freiheit und Glück ...“ Frauen an der Universität Wien (ab 1897) Schriftenreihe es Universitätsarchivs Universitat Wien Bd. 5, Wien: WUV-Universitatsverlag 1990. 5 Claudia Prestel: Erschließung neuer Erwerbszweige für die jüdische Frau. Das Beispiel der Krankenschwester: Apologetik oder effektive Maßnahme? In: metis. Zeitschrift für historische Frauenforschung und feministische Praxis. 1992, Nr. 2, S. 41-62. GE. Malleier Beiträge zur Organisation von Krankenpflege in der jüdischen Gemeinde in Prag im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In: Judaica Bohemiae. Zidovsk& Muzeum v Praze, Praha 2009, Jg. 44, Nr. 1, S. 83-103. 7 E. Malleier: Alltag im Krankenhaus — Normen und Konflikte am Beispiel des Wiener ,,Rothschild-Spitals* um 1900. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte. Jahrbuch des Instituts fiir Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung. Bd. 32, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2014, S. 51-68. 8 Zum Themenkomplex Assimilation und Dissimilation siehe: Volkov, Shulamit: Die Dynamik der Dissimilation: Deutsche Juden und die ostjüdischen Einwanderer. In: S. Volkov: Antisemitismus als kultureller Code. Miinchen: Beck’sche Reihe 2000, S. 166-180. 9 E. Malleier: Jüdische Krankenpflegerinnen im Rudolfinerhaus 18821906. Eine In(tro)spektion. In: Rückblick für die Zukunft. Beiträge zur historischen Pflegeforschung. Hg. von Elisabeth Seidl und Ilsemarie Walter. Wien, München, Bern: Verlag Wilhelm Maudrich 1998, S. 180207, S. 189. 10 E. Malleier: Das Kaiserin Elisabeth-Institut für israelitische Krankenpflegerinnen im Wiener Rothschild-Spital. In: Wiener Geschichtsblätter. Verein für Geschichte der Stadt Wien (Hg.), Jg. 53, 1998, Heft 4, S. 249-269. Siehe auch: Michael Heindl und Ruth Koblizek (Hg.): 125 Jahre Rothschild-Spital. Donnerskirchen 1998. 11 Ausführlicher dazu: E. Malleier in: Seidl / Walter, 1998, S. 180-207. 12 Zur „Dienstmädchendebatte“ in der Wiener jüdischen Gemeinde siehe: E. Malleier: Jüdische Frauen in Wien. Wien: Mandelbaum 2003. siehe auch: Alison Rose: Jewish Women in Fin de siecle Vienna. Austin 2008. 13 Steppe, Hilde: „Den Kranken zum Troste und dem Judentum zur Ehre“. Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Frankfurt/M. 1997, S. 267. Dezember 2021 5/7