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Ralf Georg Czapla Zum 75. Todestag Hans Leifhelms Wer 75 Jahre nach dem Tod des Dichters, Fachschriftstellers und Ubersetzers Hans Leifhelm nach Lebensspuren von ihm sucht, der tut dies zumeist vergebens.! Sein Elternhaus auf der Rheydter Straße in Mönchengladbach, in dem er am 2. Februar 1891 als Sohn eines drei Jahre zuvor aus dem Westfälischen zugewanderten Fassbinders das Licht der Welt erblickte, wurde Anfang der 1970er-Jahre im Zuge einer Neuplanung der Straßenführung abgerissen; das Stiftische Humanistische Gymnasium am Abteiberg, das er, vorbereitet durch Privatunterricht bei Rudolf Wahlen, dem Kaplan seiner Heimatpfarrei St. Josef, von 1905 bis zu seinem Abitur 1911 besuchte, wurde im Zweiten Weltkrieg bei alliierten Luftangriffen zerstört und später durch einen Neubau ersetzt; das Ospedale Civile in Riva del Garda, in dem er sich vom 29. Juni 1942 bis zu seinem Tod am 1. März 1947 zur Behandlung eines postenzephalitischen Parkinsonismus aufhielt, wurde 2014 zugunsten eines modernen Klinikums in Arco geschleift; sein Grab schließlich, das sich an der Nordwestseite des Gemeindefriedhofs befand, wurde eingeebnet, als man diesen 2009 teils in einen Park zum Gedenken an die Märtyrer des antifaschistischen Widerstands (Parco della Libertä), teils in einen Parkplatz für Autoreisende verwandelte. Inzwischen gibt es im Stadtrat von Riva Überlegungen, das gesamte Gelände für den Bau eines Parkhauses freizugeben. Mit der Fallung von rund 70 Zypressen, die 1882 gepflanzt wurden, verschwände das Letzte, was noch an die ursprüngliche Bestimmung des Ortes erinnerte. Zudem kämen die Ausschachtung des Areals und die Entsorgung des mit den sterblichen Überresten unzähliger Bürgerinnen und Bürger gesättigten Erdreichs einem fast beispiellosen Affront gleich. Geblieben sind mit dem Rosenhof, einem wenige Kilometer von Graz entfernt liegenden ehemaligen Edelhof aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, und mit dem Wohnhaus in der Rechbauerstraße 11 zwei Orte, die an eine für Hans Leifhelm und seine Familie vergleichsweise glückliche Zeit erinnern. 1915 hatte er in Düsseldorf Sophie Malvina Hennicke, die Tochter eines Grazer Universitätshistologen, kennen und lieben gelernt, als diese auf einer Bildungs- und Kunstreise mit Freunden das Rheinland besuchte. 1923, sechs Jahre nach der Hochzeit in Köln und der Geburt der gemeinsamen Tochter Elfriede, ließ sich das Paar in Graz nieder, wo Leifhelm, der 1918 an der Universität Heidelberg zum Nationalökonom promoviert worden war, beim Steirischen Arbeitsnachweis den Aufbau der seinerzeit noch in den Anfängen steckenden Berufsberatung übernahm. Zwischen der Eheschließung und der Gründung des gemeinsamen Hausstandes hatte er in Berlin die Zeitschrift des Eisenbahnersyndikats und in München das Literatur- und Kunstmagazin Wieland redaktionell betreut.” Da sich nicht absehen ließ, welche beruflichen Perspektiven diese Tätigkeiten böten, waren Frau und Tochter in Graz verblieben. Leifhelms Grab in Riva war lange Zeit sowohl ein Anziehungspunkt für deutsche und österreichische Touristen als auch — in Ermangelung eines geeigneteren Erinnerungsortes — Zielpunkt des Totengedächtnisses.” Don Enrico Betta, der am Nachmittag 58 ZWISCHENWELT des 3. Marz 1947 in S. Maria Assunta die Totenmesse für Leifhelm gelesen hatte,‘ führte noch in den frühen 1960er-Jahren Reisende gelegentlich dorthin. Er hatte den schwerkranken Dichter seelsorgerisch betreut, ihn auf Spaziergängen durch den Park des Krankenhauses begleitet’ und bei ihm am Bett gewacht, als Lähmungen des Bewegungsapparates ihm das Verlassen des Krankenzimmers unmöglich machten. Dass Leifhelm den Sonnengesang des hl. Franz von Assisi ins Deutsche übersetzt hatte‘ und selbst noch in Momenten tiefster Verzweiflung die Schönheit der göttlichen Schöpfung lobte, sicherte ihm einen festen Platz im Gedächtnis des Priesters.’ Zu den wenigen Trauergästen, die Leifhelms Sarg folgten, gehörten Karin Hellström, in deren Gästehaus im Val di Sogno bei Malcesine® Leifhelm im Juni 1942 zunächst untergekommen war, ehe die Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes eine stationäre Auf nahme in Riva nötig machte, sowie Giuseppina „Beppina“ Mazzi, eine alte Gewerbeschullehrerin, die für Leifhelm die Korrespondenz mit Freunden und Angehörigen erledigt hatte, da sie des Deutschen mächtig war. Von der Familie war niemand nach Riva gekommen: Leifhelms erste Frau — Sophie und er hatten sich 1934 getrennt — war im Dezember 1943 als Kommunistin verhaftet und im März 1945 im KZ Ravensbrück, wohin man sie deportiert hatte, ermordet worden,’ mit seiner zweiten Frau Fernande, geb. Prise, die er am 30. Juni 1936 im Evangelischen Pfarramt Graz geheiratet hatte, weil eine Wiederverheiratung nach katholischem Recht ausgeschlossen war, hatte er sich überworfen. Für Tochter Elfriede, die den Vater 1939 während einer Urlaubsreise in Kärnten zum letzten Mal gesehen hatte,!? Schwester Sibille und Halbbruder Franz war die kurzfristige Anreise aus Wien, Mönchengladbach und Erkelenz nicht möglich gewesen, da infolge des Bombenkriegs immer noch weite Teile des Schienennetzes zerstört waren. Zudem war der Betrieb der RAR-Schmalspurbahn, die von Rovereto über Mori und Arco nach Riva führte, bereits 1936 eingestellt worden. Paula Sack, die Witwe des Schriftstellers Gustav Sack, die seit 1939 bei Karin Hellström in der Villa Riposo wohnte, blieb den Exequien ebenfalls fern, vorgeblich weil ein Arthritis- und Rheumaschub sie an der Teilnahme hinderte, tatsächlich aber, weil die ständige Fürsorge — Sack hatte Leif helm u.a. mit Lebensmitteln, Schreibutensilien und Kleidung versorgt — und der Anblick seines Verfalls sie derart aufgerieben hatten, dass sie Abstand brauchte, wie sie Grete Janssen-Lersch einige Monate später anvertraute: Um 3 Uhr nachts sagte er [sc. Hans Leifhelm] zur Schwester, die die ganze Nacht bei ihm war: me sento murire [sic!]. Daraufhin holte man den Pfarrer. Er und die Schwester sind die ganze Nacht bei ihm gewesen. Ein eigentlicher Todeskampf ist gewiss nicht eingetreten, bei dem grossen Schwächezustand, in dem er sich seit Langem befand. Er sah oft so aus, dass man zweifeln konnte: lebt er oder ist er tot? Zumal zu gewissen Nachmittagsstunden. [...] Wenn ich nach Hause kam, war ich tot für mehrere Tage. Er blieb immer mein Freund, ich erzählte ihm viel von mir und meinen Dingen, und obwohl kaum je eine Antwort kam, so spürte man doch genau, dass jedes