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Wort verstanden und vermerkt wurde — an winzigen Zeichen in den Gesichtsmuskeln. Das Auge mit den sehr engen Pupillen (Wirkung der Medikamente) war meist starr und ohne Ausdruck, ausser dem einer nicht zu messenden Traurigkeit. Bei meinem allerletzten BeJi ge Hans Leifhelms Grab auf dem Gemeindefriedhof von Riva, um 1950. Foto: Unbekannt. StA MG, digi23001. Reproduktion nach: Ingrid Bröderer: Hans Leifhelm. Versuch einer Monographie. Diss. Wien 1961, S. 39. Dass der fast völlig mittellose Hans Leifhelm überhaupt würdevoll beigesetzt werden konnte, ist Giuseppina Mazzi zu verdanken, einer Frau, bei der ein ultramontanes Bekenntnis, die Bejahung der Monarchie und die Ablehnung des Faschismus sich zu einer Lebenshaltung verbanden. Sie war die erste, die in der Frühe des 1. März von Leifhelms Ableben erfuhr. Umgehend rief sie eine Schülerin, damit diese Leichenfotos anfertigte. Dazu ließ sie vom Gesicht des Dichters eine Totenmaske abnehmen. Um zu verhindern, dass sein Leichnam in einem anonymen Massengrab verschwände, ließ sie ihn im Grab ihrer Familie bestatten, über dem sich ein schmiedeeisernes Kreuz erhob, wie es für die Sepulkralkultur des Trentino üblich war. Auf einer hellen Marmorplatte waren Leifhelms Namen und seine Lebensdaten zu finden. Bei Besuchern aus Deutschland und Österreich sorgte das Aussehen der Grabstätte allerdings zuweilen für Irritation. Dies ist umso unverständlicher, als diejenigen, die sich ereiferten, sich weder an deren Gestaltung beteiligt hatten, noch dies in Zukunft taten. So musste Elfriede Leifhelm immer wieder Besucher am Grab ihres Vaters, die bei ihr vorstellig wurden, beschwichtigen. Ich kann Ihnen mitteilen, schrieb sie am 26. Januar 1960 der Grazerin Hilde Blank, daß mein Onkel Franz, der Bruder meines Vaters, Ende August 1959 in Riva war und das Grab frisch bepflanzt hat. Ich nehme an, daß Sie vorher dort waren. Mein Onkel sandte mir auch einige fotografische Aufnahmen, die er vom Grab gemacht hat. Sie schreiben, daß Sie erschüttert seien über das gufeiserne Grabkreuz. Dazu kann ich Ihnen nun folgendes sagen: die Grabstätte, in der u.a. auch mein Vater beerdigt ist, gehört der Familie Mazzi. Fräulein Mazzi hat sich bereit erklärt - (um zu verhindern, daf mein Vater in ein Massengrab käme!) — den Leichnam in ihrer Familiengruft beiseizen zu lassen. Die Marmortafel hat ebenfalls Frl. Mazzi errichten lassen. Das gufeiserne Kreuz gehört also den Toten, die bereits früher in dem Grab beigesetzt worden sind, man könnte es also keinesfalls ohne Erlaubnis der Familie Mazzi entfernen. Frl. Mazzi starb 1958 in einer Heilanstalt, ihre Schwester, Frau Untersteiner, kurze Zeit später. Es sollen noch Mitglieder der Familie in Genua leben. Mein Onkel hatte die Absicht, das gufeiserne Kreuz durch ein von ihm selbst geschnitztes aus Eichenholz zu ersetzen, doch wäre in diesem Klima ein Holzkreuz nicht ganz das richtige; auch finde ich in diesem ländlichen Friedhof ein Gußeisenkreuz nicht unpassend. Da der Friedhof von Riva angeblich in einigen Jahren aufgelassen werden soll, sind Bestrebungen im Gange, die sterblichen Überreste meines Vaters in seine Heimatstadt M.Gladbach zu überführen, wo auch sein Jugendfreund Hein Lersch begraben ist, doch ist das noch nicht spruchreif. Ich glaube aber nicht, daß es im Sinne von Hans Leifhelm gelegen wäre, in einem sog. ‚Ehrengrab‘ beerdigt zu sein.” Giuseppina Mazzi brachte mit ihrem Handeln eine Wertschatzung zum Ausdruck, die sie mit zahlreichen Menschen in Italien teilte und die sich aus Leifhelms politischer Haltung ebenso speiste wie aus seinem dichterischen Wirken. Obwohl Leifhelm aus derselben Region stammte wie Joseph Goebbels, hatte er allen Versuchen der Nationalsozialisten widerstanden, ihn für die ‚Bewegung; zu vereinnahmen. Selbst als seine finanziellen Mittel knapp wurden und er als freier Schriftsteller und Übersetzer oft genug am Existenzminimum lebte, hatte er seinem Freund aus Kindertagen Heinrich Lersch untersagt, seinetwegen beim gemeinsamen Landsmann im Reichspropagandaministerium vorstellig zu werden. Statt zur völkischen Ideologie bekannte sich Leifhelm zu einem Katholizismus franziskanischer Prägung, statt der NSDAP gehörte er der SDAP, der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs, an, deren Idealen er auch nach deren Verbot 1934 treu blieb. Aus der Reichsschrifttumskammer wurde er zweimal ausgeschlossen, weil er bereits 1923 die nachmalige ‚Ostmark‘ als Lebensmittelpunkt gewählt hatte und seine Publikationen jegliche Orientierung an der Parteilinie vermissen ließen. Auf der anderen Seite hatte sich Leifhelm durch seine Übersetzungen italienischer Literatur ins Deutsche als Vermittler zwischen beiden Ländern profiliert und der von Hitler und Mussolini gefeierten politischen ‚Achse‘ durch die Kunst eine wirkliche und tragfähige Basis gegeben." Seine Übertragungen moderner zeitgenössischer Lyrik (Eugenio Montale, Giuseppe Ungaretti, Ugo Betti u.a.) und Prosa (Antonio Baldini, Giovanni Papini, Bonaventura Tecchi u.a.) waren mitentscheidend dafür, dass eran den Universitäten von Palermo (1935-1937) und Padua (1939-1942) Lektorate für deutsche Sprache und Literatur erhielt. Mit Tecchi, der in der frühen Nachkriegszeit zu einem der bedeutendsten italienischen GermanisDezember 2021 59