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ten avancierte, verband ihn eine tiefe Freundschaft; auf Ignazio Silone, dem Vorsitzenden des italienischen P.E.N., wiederum ruhten die Hoffnungen von Leifhelms Angehörigen, dass er die Krankenhausverwaltung dazu bewegen könne, die Koffer mit Büchern, Manuskripten, Briefen und persönlichen Gegenständen des Verstorbenen, die sie wegen offener Rechnungen einbehalten hatte, doch noch freizugeben. Befreundete Dichter aus den USA und aus Schweden sowie der österreichische P.E.N. beglichen schließlich die Ausstände in Höhe von 94.000 Lire durch großzügige Zuwendungen.“ Ein Verkauf oder zumindest Teilverkauf der Hinterlassenschaften, wie Johann von Nepomuk Erkinger zu Schwarzenberg, der neubestellte Vertreter der österreichischen Bundesregierung in Rom, ihn angeregt hatte, konnte auf diese Weise verhindert werden.” Giuseppina Mazzi pflegte Leifhelms Grab bis wenige Jahre vor ihrem Tod. Unterstützung von städtischer Seite, sei es aus Mönchengladbach, Graz oder Riva, erhielt sie nicht. Franz Leifhelm, der als Kaufmann bei der Kornbrennerei in Erkelenz arbeitete, reiste einmal im Jahr an, um die Ruhestätte seines Halbbruders herzurichten und neu zu bepflanzen. Wie er hatten auch der Soziologe Otto Neuloh (1902-1993) und der Gymnasiallehrer Conrad Henke (1902-1999), mit denen Hans Leifhelm seit seiner kurzfristigen Beschäftigung beim Landesarbeitsamt Dortmund 1930 befreundet war, mit dem Friedhofswärter vereinbart, darauf zu achten, dass die Grabstelle über das Jahr nicht allzu sehr verwahrlose. Am 30. April 1963, 16 Jahre nach Leifhelms Beisetzung, lief die Liegefrist ab, was nicht weniger bedeutete, als dass man das Grabmal entfernte und die sterblichen Überreste, damit eine Neubelegung möglich würde, zur weiteren Aufbewahrung in ein Beinhaus brächte, falls sich niemand der Grabstätte annähme. Dass Leifhelms Grab über die genannte Frist hinaus erhalten blieb, ist dem Journalisten Richard Eduard Tristram (*1913) zuzuschreiben, einem ehemaligen, in Neuss lebenden Kunsterzieher, der die Feuilletonredaktion der Rheinischen Post in Mönchengladbach leitete. Hans Groob, der als Volontär der Erkelenzer Redaktion Tristram bei wöchentlichen Hospitationen kennen gelernt hatte, erinnert sich an einen urbanen Kollegen, der von seinem Habitus her weit eher dem Typus des Privatgelehrten als dem des Journalisten entsprach und weithin vernetzt war. Hinter Zeitungsstapeln, die sich meterhoch auf seinem Schreibtisch tiirmten, sei er bis in die 1970er-Jahre seiner journalistischen Arbeit nachgegangen." Tristram hatte bei einem Treffen mit Felix Braun in Bad Aussee erfahren, dass Leifhelms Grab die Einebnung drohe, und war daraufhin nach Riva gereist, um zu überprüfen, ob und ggf. unter welchen Umständen eine Rettung möglich sei. Zwei Wege erwiesen sich seiner Einschätzung nach als probat: Entweder könne man Leifhelms Gebeine exhumieren und in ein Ehrengrab in Mönchengladbach überführen lassen oder die Grabstelle für 55.000 Lire auf 100 Jahre erwerben. Dies entsprach damals einem Betrag von knapp 350 DM. Tristrams Artikel, in dem er am 8. September 1962 ausführlich über seine Ermittlungen, Recherchen und Gespräche vor Ort berichtete, mobilisierte die öffentliche Meinung in einem kaum vorhersehbaren Maße. Indem er darauf insistierte, dass die Heimat „dem lauteren und international anerkannten Dichter“ „Dank und Anerkennung“ schulde, zumal Mönchengladbach „nicht viele Künstler und Dichter aufzuweisen [habe], die den Namen der Vaterstadt ruhmvoll in die Welt getragen“ hätten, wies Tristram Stadtrat und 60 ZWISCHENWELT Kulturausschuss eine „Ehrenpflicht“ zu” und erhöhte damit zugleich den Druck auf zwei Gremien, die in der Vergangenheit Projekten dieser Art reserviert gegenüber gestanden hatten. So hatte die Stadt Mönchengladbach in den 1950er-Jahren etwa die finanzielle Beteiligung an der von Norbert Langer editorisch betreuten zweibändigen Leifhelm-Ausgabe abgelehnt, um die der Otto Müller Verlag nachgesucht hatte. Ein solches Geld sei „in den Dreck“ geworfen“. Man könne damit „wirklich etwas Vernünftigeres anfangen“, ließ Oberstadtdirektor Fritz Fleuster Oberbürgermeister Wilhelm Finger in einer internen Notiz wissen.'? Die Chance, über eine etwaige „Mönchengladbacher Ausgabe“ die Verbindung zwischen Leifhelm und seiner Geburtsstadt enger zu knüpfen als bislang, war damit leichtfertig vertan. Bereits am 10. September 1962 mahnte der Sozialdemokrat Heinz Pöhler in einem Eilantrag seiner Fraktion Oberbürgermeister Wilhelm Maubach, dass Leifhelms Grab „unverzüglich durch Erwerb des weiteren Nutzungsrechtes zu sichern und zu erhalten“ und dass die „erforderlichen Mittel [...] im Nachtragshaushalt bereitzustellen“ seien. Ferner solle der jährliche Haushaltsplan einen „angemessenen Betrag“ für die Gestaltung und Pflege der Grabstätte vorschen.'” Noch am selben Tag optierte auch Carl Houben, der Sprecher der Interessengemeinschaften Dahl, Hermges, Griinviertel, fiir eine Verlängerung des Nutzungsrechts, sofern sich die Überführung von Hans Leifhelms sterblichen Überresten nach Mönchengladbach, für die sich neben Elfriede Leifhelm auch der Mönchengladbacher Volksschulrektor Heinrich Retzmann aussprach,”” nicht realisieren lasse. Zwar fand sein Vorschlag, die Schule in der Brunnenstraße nach Hans Leifhelm zu benennen,” im Rat der Stadt keine Mehrheit, dafür aber wurde der Antrag der SPD mit den Stimmen von CDU und FDP verabschiedet. Am 13. September 1962 nahm der Beigeordnete Hermann Steffens in Vertretung des Oberstadtdirektors Wilhelm Elbers Kontakt mit der Friedhofsverwaltung der Gemeinde Riva sowie mit Msgr. Don Modeste Lunelli, dem Archivar der Kirche S. Maria Assunta, auf, der sich im Gespräch mit Tristram erboten hatte, die Verhandlungen mit der Friedhofsverwaltung zu führen. Dass Steffens in seinen Schreiben gegenüber beiden von einer „Ehrenpflicht“ der Stadt Mönchengladbach spricht,?? zeigt, wie sehr die Diktion des Journalisten bereits offizielle Sprachregelung der städtischen Verwaltung geworden war. Tristram hatte schon am Morgen mit einem weiteren Artikel in der Rheinischen Post nachgelegt. Darin feierte er nicht nur den Erfolg seiner Initiative, sondern versuchte auch die Mönchengladbacher Bürgerinnen und Bürger als Mitstreiter zu gewinnen, indem er deren Anteilnahme würdigte. Neben einem Männerchor, der zugesichert habe, Einnahmen aus einem Konzert für den Erhalt des Leifhelm-Grabes zur Verfügung zu stellen, erwähnt Tristram u.a. einen Lehrer, der, obwohl er nicht viel besitze, „auf eigene Kosten das Nutzungsrecht für die Grabstelle sichern wolle“, falls der Kulturausschuss nicht einspringe.”? Inzwischen hatte die Gemeinde Riva den Bestatter Umberto Casadei, der auch das Totenregister führte, mit der Bearbeitung des Vorgangs betraut. Am 28. September 1962 teilte Casadei mit, dass er eine Überführung der Gebeine Hans Leifhelms nach Deutschland mit der Bahn veranlassen könne, gab aber zu beden