OCR
Rezensionen Im Zusammenhang mit der Stadt, in der sie wirkten, wie auch den universellen Themen, mit denen sie sich auseinandersetzten, kann man sagen, dass Persönlichkeiten wie Freud, Schnitzler und Zweig an einer ‚kulturellen Utopie’ bauten, die in mitten eines ‚Wiener Laboratoriums’ entstand. Elana Shapira (übersetzt aus dem Englischen) Während es wenig anderen Exilierten gleich Sigmund Freud möglich war, sich einen vertrauten Raum mit dem Mobiliar der Heimat ins Exil hinüberzuretten, so waren Freuds Schriften — die Psychoanalyse — ein Mobiliar des Geistes fiir viele. Psychoanalyse wird in dem von Elana Shapira und Daniela Finzi in englischer Sprache herausgegebenen Buch „Freud and the Emigré“ nicht nur als kulturelles Phänomen, als psychotherapeutische Methode sondern insbesondere auch als Mittel der Selbstermächtigung beleuchtet. Psychoanalyse hält eine Sprache bereit, durch die das Fremde in uns und dadurch auch das Fremde außerhalb von uns annehmbar wird, ist in der Einleitung auf die Schrift „Fremde sind wir uns selbst“ der bulgarisch-französischen Philosophin und Psychoanalytikerin Julia Kristeva Bezug genommen. Die Psychoanalyse stand den Fxilierten in der Bewältigung der Exilerfahrung zur Verfügung und zwar über die Therapiemethode hinaus, im Sinne einer Hermeneutik, die der Psychoanalyse inhärent ist, und die darum vielen Akteur_innen — unter ihnen Ernst Kris, Stefan Zweig, Hilde Spiel, Berthold Viertel, Oskar Kokoschka, Anna Freud und Marie Jahoda, deren Wirken jeweils Kapitel in der Anthologie gewidmet sind — als Verständniswerkzeug diente. „Freud and the &migre“ ist ein dichtes und hochinformatives Kaleidoskop der Biografien und Wirkungskreise und beleuchtet den Brückenschlag des Verstehens zwischen individueller Erfahrung und gesellschaftlichen Zusammenhängen; zeigt auf, dass die Psychoanalyse, die durch Zeit, Ort und politisches Klima, in der sie erdacht und erprobt wurde, aufgeladen ist, für Exilierte eine Möglichkeit des Austarierens eines „Zwischen-Rettung-und-Fremdsein“ bedeutete. 64 ZWISCHENWELT Die autobiografische Einfärbung von Forschung ist ein zentrales Thema Marie Jahodas. So thematisiert sie die emotionale Motivation der Forschenden in ihrer Studie „Anti-semitism and emotional disorder. A psychoanalytic interpretation.“ (zusammen mit Nathan W. Ackerman) und beleuchtet dabei auch sich selbst — die Fragenstellende — kritisch. Jahodas Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse beschreibt Elana Shapira in dem Kapitel „Marie Jahoda deconstructing Freud“ zum Einen als Kritik an einer Limitiertheit der Psychologie und Jahodas Bestreben, durch die Psychoanalyse eine Erweiterung der Forschungsmöglichkeiten zu erzielen, zum Anderen spürt Jahoda dem Antisemitismus auf mehreren Ebenen nach: Auf einer Vorderbühne dem Antisemitismus in der Gesellschaft — auf der Hinterbühne zielt ihre Forschung auf die Prägungen, die die Intellektuellen durch den Antisemitismus erfahren, um letztendlich die eigene ambivalente Verstrickung zu entdecken — die Schwierigkeit den Antisemitismus als Teil der eigenen Erfahrung zu integrieren und gleichzeitig eine Auseinandersetzung, die es Marie Jahoda ermöglicht, Bezug zu nehmen, auf eine Zugehörigkeit zu Kategorien wie dem „Wienerischen“, dem „Jüdisch-sein“ und auch der Psychoanalyse. Im Juni 1938 schreibt Sigmund Freud in seinen Vorbemerkungen zu „Der Mann Moses und die monotheistische Religion“: „Ich fand die freundlichste Aufnahme in dem schönen, freien, großherzigen England. Hier lebe ich nun, ein gern gesehener Gast, atme auf, daß jener Druck von mir genommen ist und daß ich wieder reden und schreiben — bald hätte ich gesagt: denken darf, wie ich will oder muß.“ Liliana Weissberg beschreibt in ihrem Aufsatz „Ihe promised land: Freud’s dream of England“ das ambivalente Verhältnis Freuds zu England und bezicht sich auf Jacques Derridas Unterscheidung zwischen bedingter und unbedingter Gastfreundschaft. „Ihe emotional climate of these days is hard to grasp, almost indescribable. The feeling of triumph on being liberated is too strongly mixed with sorrow (...).“schrieb Freud im Juni 1938 an Max Eitingon. Das Klima, das den Emigrierten entgegenschlug, so Liliana Weissberg, war keines der unbedingten Gastfreundschaft. Und doch bot das Exil in Großbritannien den Geflüchteten vorerst Schutz. „Mitten in der Ambivalenz zwischen Dankbarkeit und Depression taucht ein Wort auf, das Freud von nun an auf seine Exilerfahrung anwenden würde. Nicht etwa ‚Exil’ oder ‚Emigration’ ist es— Freud spricht von ‚Befreiung’“, schreibt Weissberg und diese sei assoziiert mit einer politischen Freiheit, die Freud mit England verband. Erinnert sei an dieser Stelle an die Auseinandersetzung Freuds in den Jahren vor seiner Flucht, die in Korrespondenzen Niederschlag fand. So schrieb Sigmund Freud an Sandor Ferenczi am 2. April 1933: „Was nun das aktuelle Motiv Ihres Schreibens betrifft, das Fluchtmotiv, so will ich ihnen gern ankündigen, daß ich Wien nicht zu verlassen gedenke. Ich bin zu wenig beweglich, zu sehr abhängig von Behandlungen, kleinen Linderungen und Bequemlichkeiten, mag auch meinen Besitz nicht im Stich lassen, aber wahrscheinlich würde ich auch bleiben, wenn ich intakt und jugendfrisch wäre. [...] und wenn Sie das Leben in der Bedrückung für uns Juden als reichlich unbequem vermuten, so vergessen Sie doch nicht daran, wie wenig Behaglichkeit das Leben in der Fremde, sei es Schweiz oder England, den Flüchtlingen verspricht. Flucht, meine ich, wäre nur durch direkte Lebensgefahr gerechtfertigt, und übrigens, wenn sie einen erschlagen, ist es für den eine Todesart wie eine andere.“ „Das Exil ist eine Krankheit. Eine GeGeisteskrankheit, ja zuweilen eine körperliche Krankheit.“ wird Hilde Spiel zitiert. Außer Theodor Kramer habe sie aber niemanden gekannt, miitskrankheit, eine der vom Exil zerstört worden wäre. Und doch würde die Emigration die Menschen psychisch und physisch nach und nach töten. Ein andauerndes Ringen findet sich in dem Gefühl zum Judentum. Hilde Spiels Sohn Felix de Mendelssohn gab zu bedenken, dass Diskussionen zu Freuds Jüdisch-sein mehr Rückschlüsse auf die, die sie führten, zuließen, als über Freud selbst. Die katholisch erzogene Hilde Spiel, schreibt Lisa Silverman, habe