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Im Kapitel über Auschwitz schreibt Edith Bruck: „Leben und Tod, und diese Deutschen, die die grausamsten, unvorstellbarsten Arten lehrten, ihre Mitmenschen zu foltern! Ich dachte nur an Gott, an Jehova, an Moses mit seinen Zehn Geboten und an das Gesetz Gottes für sein auserwähltes Volk. Sein auserwähltes Volk!“ Edith schildert auch ihre drei Ehen; ihre ersten Ehemänner hießen Milan Grün und Dany Roth. Voller Humor schreibt sie: „Meine Lieblingsehe ist Weiß, und ich hoffe, eines Tages endlich einen Mann zu finden, der Weiß heißt.“ Die dritte Ehe mit einem Herrn Bruck war eine Scheinehe. Denn nach ihrer Entscheidung, Israel zu verlassen, konnte sie dem Militärdienst nur dadurch entgehen, dass Martin Krist sie wieder heiratete. 1965 erschien ihr Erzählband Herr Goldberg in einer Übersetzung von Susanne Hurni-Maehler im Claassen Verlag. 1999 publizierte Zwischenwelt einige Gedichte von Edith Bruck, übersetzt von Roland Walther. Im Mai 1999 organisierten Siglinde Bolbecher und Hilde Grammel in der Volkshochschule Ottakring eine Lesung aus Brucks Buch Signora Auschwitz; Roland Walther führte danach das lebhafte Gespräch mit der Autorin. Konstantin Kaiser schrieb in seinem Bericht über den Abend in Zwischenwelt, Edith Bruck spricht „ein von ferne her klingendes, nicht perfektes, aber akzentfreies Deutsch.“ Edith Bruck lebt in Rom und wurde am 3. Mai 2022 90 Jahre alt. Geht man die Breitenseer Straße im 14. Wiener Gemeindebezirk entlang, so stößt man Ecke Kendlerstraße und gegenüber der katholischen Kirche am Laurentiusplatz auf einen beeindruckenden Backsteinbau, dessen Fassade kürzlich renoviert wurde und nun in vollem Glanz erstrahlt. Wendet man den Blick am Gebäude hinauf, so entdeckt man eine verwitterte Gedenktafel, deren Inschrift nur noch mit einiger Mühe zu lesen ist. Von einem „großen vélkischen Tondichter“ namens Josef Reiter ist da die Rede, der Ende des 19. Jahrhunderts für wenige Jahre in diesem Haus wohnte. Wann wurde diese Tafel angebracht - und wer war Josef Reiter? Die „Kleine Volks-Zeitung“ vom 9. Juni 1938 kündigt in einer kleinen Spalte die Anbringung der Gedenktafel „als Zeichen der Verehrung für den großen deutschen Tondichter“ am 15. Juni, halb acht Uhr abends, an — also nur wenige Monate nach dem sogenannten „Anschluss“. Und dass diese Ehrung nicht schon früher erfolgen konnte, geht aus der Biografie Reiters hervor. Geboren wurde er 1862 in Braunau, also doch einige Jahre vor einem anderen, berühmteren Braunauer. Doch diesem Jüngeren sollte Reiter weltanschaulich bald folgen. Reiter selbst gibt über seinen Werdegang in einem Interview Auskunft, welches das „Kleine Volksblatt“ vom 22. Mai 1938 „Plauderstunde“ nennt. In dieser berichtet der „wahre deutsche Mann und Künstler aus seinem Munde über die Leiden der Vergangenheit und die Freuden der Gegenwart“. Stolz spricht er darüber, dass er „schon im Jahre 1929 Wahlkandidat der NSDAP“ war und aus seinem „deutschen Herzen keine Mördergrube“ gemacht habe. Er brüstet sich damit, illegalen, österreichischen Nationalsozialisten von seinem Haus in Großgmain aus über die österreichisch-deutsche Grenze geholfen zu haben. Doch 1933 übersiedelt — oder eher flüchtet — er auch in sein geliebtes Deutschland, nach Bayerisch-Gmain. Bald darauf wird Reiter wegen seiner bekannten politischen Gesinnung ausgebürgert, und das, wie er beklagt, obwohl er „Ehrenbürger von Braunau und sogar von Wien war“. Oft blickt er von Bayerisch-Gmain „in die Berge“ seiner Heimat und weiß, „der Tag wird kommen und er kam“. Doch vorher empfängt ihn der andere große Braunauer zu Ostern 1933 in seinem Domizil am Berghof bei Berchtesgaden. Dort bekennt Reiter vor dem großen Braunauer, dass er „sein engerer Landsmann sei“. „Wissen Sie, sagte ich, in Braunau wurde ich wohl geboren, geimpft haben sie mich aber in Simbach [d.h. in Deutschland, Anm. M.K.]. Da muss schon meine Liebe zum großen Deutschen Reich mitgeimpft worden sein!“ Doch lange kann er diese Liebe nicht mehr genießen, denn etwas mehr als ein Jahr nach dieser „Plauderstunde“ stirb Reiter am 2. Juni 1939. Am 7. Juni findet im Wiener Konzerthaus eine große Trauerfeier statt, über die das „Neue Wiener Tagblatt“ am Folgetag berichtet. „Vor dem Podium war der mit einer Hakenkreuzfahne bedeckte Sarg aufgebahrt. SA hielt die Ehrenwache“ für den „frühen Mitkämpfer des Führers“ und Träger des goldenen Parteiabzeichens der NSDAP „Die Gedächtnisrede hielt der Leiter des Kulturamtes der Stadt Wien, SS-Standartenführer Ingenieur Blaschke“, und „nach der Trauerrede sprach der Verstorbene selbst zu uns durch den zweiten Satz der dem Führer gewidmeten Goethe-Symphonie“, dargebracht von den Wiener Symphonikern. Ingenieur Blaschke wird noch Karriere machen und es zum SS-Brigadeführer und Bürgermeister von Groß-Wien bringen. Über Reiter sagt er, dass dieser noch „die Krönung seines Glaubens mit der Heimkehr der Ostmark miterleben konnte.“ Denn „wir leben, um zu hinterlassen“. Und nun prangt auch über 80 Jahre später diese Hinterlassenschaft an einem Haus in Wien. Dass nicht unweit von dieser Stelle, und zwar in der Matznergasse 18, bei einer Fassadenrenovierung die Gedenktafel für den Widerstandskämpfer und Mitglied des geheimen Widerstandes im KZ Auschwitz, Ernst Burger, verschwunden ist, schmerzt um so mehr. Ernst Burger wurde gemeinsam mit Rudolf Friemel, Ludwig Wesely und zwei polnischen Mitgefangenen am 30. Dezember 1944 am Appellplatz vor den angetretenen sogenannten „KZ-Häftlingen“ gehängt. Von ihnen gibt es kein Grab, Josef Reiter wurde am Zentralfriedhof in einem Ehrengrab der Stadt Wien bestattet. Immerhin wurde 2004 dieser Ehrengrabstatus aberkannt. Das unreflektierte Wiederanbringen der Reiter-Gedenktafel verwundert! MONIKA HORSKY (Hg) Man muß darüber reden Schüler fragen KZ-Häftlinge August 2022 7