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Evelyn Adunka Guy Stern, mit John Spalek (1928 — 2021) einer der Gründer der Gesellschaft ftir Exilforschung in Deutschland, feierte am 14. Janner 2022 seinen 100. Geburtstag. Das Deutsche Exilarchiv 1933-1945 und das PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, dessen Präsident Stern seit 2018 (in der Nachfolge von Günter Kunert) ist, organisierten am 18. Jänner eine virtuelle Geburtstagsfeier, die von rund 400 Personen weltweit gesehen und gehört wurde. Die gesammelten Aufsätze Sterns sind in den zwei Bänden Literatur im Exil (1989) und Literarische Kultur im Exil (1998) nachzulesen. Ein weiterer wichtiger Aufsatz Sterns erschien 2000 in der Festschrift für Ursula E. Koch. Er ist eine sehr schöne Würdigung des orthodoxen jüdischen Journalisten und Historikers Hermann Schwab (1879 — 1962), dessen Nachlass im Leo Baeck Institut archiviert wird und dessen vielseitiges Werk heute vergessen ist. 2016 schrieb Stern das Vorwort für das von ihm mitinitiierte, von Petra Weckel herausgegebene Buch Stephen S. Kayser. Fluchtlinien. Interview von Sybil D. Hast über den exilierten deutschen Kunsthistoriker, der ab 1947 als Direktor des Jewish Museum in New York 80 Ausstellungen kuratierte und ab 1966 an der University of Judaism in Los Angeles lehrte. Im Buch schildert Kayser auch seine Nebentätigkeit als Musikkritiker, die ihn in Kontakt zu Richard Strauss und Ernst Toch brachte, und die Arbeit seiner Frau, der Künstlerin Louise Kayser Darmstädter. Pünktlich zur Geburtstagsfeier lag auch die deutsche Übersetzung von Sterns Autobiografie Invisible Ink. A Memoir, die 2020 in der Wayne State University Press erschienen war, vor. Der Titel bezieht sich darauf, dass der Vater Julius Stern seinen beiden Söhnen einschärfte, „dass wir unauffällig bleiben sollten“: ‚Ihr müsst wie unsichtbare Tinte sein.“ Stern beschreibt eine glückliche Kindheit als ältester Sohn eines kleinen Versandhändlers in Hildesheim. Die Armut und Dürftigkeit der von seiner Mutter zubereiteten Speisen störte ihn nicht: „Mit Liebe schmeckt alles.“ Günther, wie er damals hieß, war Mitglied zweier jüdischer Jugendbewegungen und half 1933 aus Angst vor den Übergriffen der Nazis, Bücher der jüdischen Gemeindebibliothek zu verbrennen. Der Jugendleiter war der Kantor der Synagoge Joseph Cysner (1912 — 1961), dessen Eltern vor ihrer Weiterwanderung nach Bamberg in Wien lebten und der 1939 nach Manila und weiter in die USA flüchten konnte. Benno Silberberg, der Bruder von Sterns Mutter, lebte als Bäcker in St. Louis. Er wurde mit seiner Frau Ethel und mit den Mitgliedern seiner Gewerkschaft, die ihm das Geld fiir das Affidavit borgten, und dem wohlwollenden amerikanischen Generalkonsul Malcolm C. Burke in Hamburg 1937 zu einem der Retter von Günthers. Erst 2011 erfuhr Stern, dass auch das Engagement der German Jewish Children’s Aid für seine Rettung verantwortlich war. Zu den bittersten Passagen seiner Erinnerungen gehört allerdings die Beschreibung des Scheiterns seiner Bemühungen, seine Familie aus NS-Deutschland herauszubringen. Es gelang ihm nicht, in St. Louis wohlhabende Bürgen zu finden, um seine Eltern, seinen vier Jahre jüngeren Bruder Werner und seine 1933 geborene Schwester Eleonore zu retten. Die Familie wurde deportiert und ermordet. 1942 meldete sich Stern freiwillig zum amerikanischen Militärdienst. Er absolvierte eine Spezialausbildung im berühmten Camp Ritchie in Maryland, wurde 1943 amerikanischer Staatsbürger und 1944 in Frankreich als Vernehmungsoffizier deutscher Kriegsgefangener eingesetzt. Mit seinem Kameraden Fred Howard (geboren als 8 _ ZWISCHENWELT Manfred Ehrlich) fuhr er zu einer Show mit Marlene Dietrich; danach brachten sie den Star in ihr Kriegsgefangenenlager und wieder zurück. Seine Erfahrungen als Ritchie Boy gab Stern 2004 in einem Dokumentarfilm von Christian Bauer und 2005 in dem Buch Die Ritchie Boys von C. Bauer und Rebekka Göpfert weiter. Stern lobt in seinen Erinnerungen seine Schule in St.Louis und sein Studium an der St.Louis und der Columbia University. Über die Wahl seines Studienfachs Germanistik und seines Spezialgebiets schreibt er: Er wollte das deutsch-jüdische Erbe bewahren und „die Werke deutsch-jüdischer Schriftsteller der Vergangenheit verbreiten helfen und über sie forschen und lehren. [...] Exil- und Holocaust-Literatur sollten Kern meines Fachgebiets werden.“ An der Denison University in Granville, Ohio entdeckte Stern ein Vorbild in Paul Tillich, „Theologe, Philosoph, Historiker, Kunsthistoriker und Humanist“, der „den ganzen Campus in seinen Bann“ zog. Er erkannte. „Guter Unterricht besteht darin, die Schüler zu erheben und auf diese Weise zu inspirieren. In all den Jahren danach habe ich dieses Ziel zumindest angestrebt.“ Stern beschreibt auch ausführlich sein privates Leben, seine gescheiterte erste Ehe mit der Österreicherin Margith Langweiler, den Tod seines Adoptivsohns Mark, und seine zweite Frau Judith Owens, „ein Juwel; eine entschlossene Frau, doch mit unendlicher Freundlichkeit und Menschlichkeit“, die 2003 an Krebs starb. Seit 2006 ist er mit der 1963 in Beuthen geborenen Schriftstellerin Susanna Piontek verheiratet. Stern hatte mehrere Gastprofessuren an deutschen Universitäten, war Mitbegründer und Präsident der Lessing-Society, die sich dem Werk des klassischen Dichters widmet, sowie Sekretär und Vizepräsident der Kurt Weill Foundation. Er war auch Mitglied des wissenschaftlichen Beirats und Interimsdirektor des Holocaust Memorial Center in Farmington Hills bei Detroit, dem ersten Holocaust Museum in den USA; bis heute ist er Direktor des Institute of the Righteous des Centers. Die Wahl Donald Trumps veranlasste ihn, die deutsche Staatsbürgerschaft wiederanzunehmen, die er 2019 bei einer Feier in der Reformsynagoge Shir Shalom in West Bloomfield verlichen bekam. Neben der Autobiografie erschien auch ein Sammelband über Guy Stern und seine Heimatstadt Hildesheim, in die er seit vielen Jahren regelmässig zurückkehrt. Hartmut Häger vom Verein der Ehemaligen und Freunde des Scharnhostgymnasiums beschreibt, wie Sterns Mutter Hedwig ihren Sohn durch die Stadt führte „wie durch ein aufgeschlagenes Buch“. Die Familie besuchte auch Theater- und Opernaufführungen, nur Brechts Dreigroschenoper hielten die Eltern für zu vulgär. In Hildesheim wurde 2012 eine Gedenktafel am ehemaligen Wohnhaus der Familie angebracht. Im gleichen Jahr erhielt Stern die Ehrenbürgerschaft der Stadt; 2020 folgte die Ehrendoktorwürde der Universität Hildesheim. Der Turnverein Eintracht, der Stern in seiner Jugend ausgeschlossen hatte, verlieh ihm 2012 die Ehrenmitgliedschaft. Die imponierende Festschrift Von der Exilerfahrung zur Exilforschung enthält viele bewegende Beschreibungen über Begegnungen und Erfahrungen mit dem Geehrten. Als Beispiel sei die Regisseurin Astrid Vehstedt zitiert: Sie beschreibt Stern mit den Worten: „ein Mensch mit einzigartigem Humor, einem enzyklopädischen Wissen und von großer Aufrichtigkeit. [...] Von den unterschiedlichsten Menschen gleichermaßen geliebt und verehrt: