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Konstantin Kaiser Das Übelste ist das, das niemandem auffallen will Jüdische Studenten und Studentinnen sowie Personen aus Politik, Kultur und Wissenschaft hatten in einem offenen Brief eine Neubesetzung des Innenministeriums gefordert. Als Grund gaben sie die als antisemitisch einzustufenden Aussagen des neuen Innenministers Gerhard Karner (ÖVP) in einem Landtagswahlkampf an. Karner soll der Sozialdemokratischen Partei (SPÖ) damals vorgeworfen haben, „mit Herren aus Amerika und Israel gegen das Land“ zu arbeiten und „Klimavergifter“ zu sein, wofür sich Karner entschuldigt hat. Das Entschuldigungs-Ritual geht etwa so: Man nimmt die Schuld und wirft sie von sich. Das geht ganz ohne irgendjemanden, den man um Entschuldigung bittet. Eine Meldung des ORF vom 18. Dezember 2021 legte indessen nahe, daß der Schuld damit nicht Genüge getan war. Gerhard Karner (ÖVP), hieß es nun, sei weiterhin bemüht, die gegen ihn erhobenen Antisemitismus-Vorwürfe zu entkräften. Bei einem Treffen mit Oskar Deutsch, dem Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG), sei es am Vortag zu versöhnlichen Tönen gekommen. „Dass der Minister seine problematischen Aussagen als solche erkannt, bedauert und um Entschuldigung gebeten hat, ist ein ganz wichtiges Zeichen“, meinte Deutsch danach. Dem Kultuspräsidenten ist wohl nichts anderes übriggeblieben, als dem Innenminister namens der Betroffenen die Absolution zu erteilen. Gesprochen wurde bei der Gelegenheit auch über Verbesserungen der Sicherheitsvorkehrungen für die Kultusgemeinde und deren Mitglieder. Wer aber wurde wirklich beleidigt durch die “antisemitischen” Andeutungen des Ministers? Zuerst einmal die SPÖ, der Karner unterstellte, mit den Juden gegen Österreich zu arbeiten, zum Schaden des Landes. Schlimm genug. Hat Karner aber nicht explizit gesagt und sich entschuldigt. Sodann Amerika und Israel, die als Ausgangspunkte von gegen Österreich gerichteten Aktionen genannt wurden. Da wären vielleicht Entschuldigungen von den Botschaftern dieser Länder zu erbitten gewesen. Hat Karner unterlassen. Karner wird hoffentlich die Gefährdungen, die nach seiner Ansicht von diesen Ländern ausgehen, künftig mit seiner braven Polizei zu unterbinden wissen. Wenn er aber gemeint hat, dass “die Juden” gegen Österreich arbeiten, dann hat er sie nicht beleidigt, dann hat er gegen sie gehetzt. Und das wäre strafbar. Doch er hat es nur angedeutet, nur durchblicken lassen. Bleiben die, die er wirklich schwer beleidigt hat und bei denen er sich entschuldigen müßte, auch wenn er es in tausend Jahren nicht versteht: Das sind die Menschen, das Publilum, das ihm zugehört hat und dem er unterstellte, sich durch seine antisemitischen Reminiszenzen angesprochen zu fühlen. Die Deutsche Presseagentur meldet am 2. Mai 2022, 9:50 Uhr: Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat mit einem Nazi-Vergleich in Bezug auf den Krieg gegen die Ukraine in Israel für Empörung gesorgt. Die Regierung in Jerusalem verlangte eine Entschuldigung und bestellte den russischen Botschafter zum Gespräch ein. Lawrow hatte gestern Abend im italienischen Fernsehen Rete4 die russische Kriegsbegründung wiederholt, in der Ukraine seien Nazis am Werk. Dagegen wurde eingewandt: “Wie kann es eine Nazifizierung geben, wenn der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Jude ist?” Darauf Lawrow: “Ich kann mich irren. Aber Adolf Hitler hatte auch jüdisches Blut. Das heißt überhaupt nichts. Das weise jüdische Volk sagt, dass die eifrigsten Antisemiten in der Regel Juden sind.” In der weiteren Berichterstattung des Österreichischen Rundfunks verwandelte sich das jüdische “Blut” Hitlers in dessen “jüdische Herkunft”. Das macht einen gewaltigen Unterschied, ist aber außer mir, fürchte ich, niemandem aufgefallen. Man hat sich allzusehr daran gewöhnt, empörtes Getu mit politischer Aufklärung zu verwechseln. Die verfehlten Wörter verraten nicht nur Unbewußtes, sie beschönigen zudem in diesem Fall den dumpfen Blut-Rassismus eines Lawrow. Doch bei wem hätte sich Lawrow eigentlich entschuldigen müssen, auch wenn er in tausend Jahren nicht darauf kommt? Natürlich bei den ItalienerInnen und Italienern, die die Sendung verfolgten, deren Menschenverstand, ob gesund oder nicht, er mit seinen unverschämten Lügen und seinem abstrusen Irrationalismus beleidigte! Aus gegebenem Anlaß sei noch an den anderen Blut-Antisemiten Erdogan erinnert, der Frauen keinen Stuhl anbieten kann und sich jetzt erbötig macht, zu günstigem Tarif das von Russland in der Ukraine gestohlene Getreide weiß zu waschen auf dem Weg in Drittländer. Präsident Erdogan erklärte am 19. Mai 2021 öffentlich, daß Terrorismus in der Natur der Israelis liege. “Sie sind Mörder, töten Kinder, die fünf oder sechs Jahre alt sind. Sie sind erst zufrieden, wenn sie ihr Blut aussaugen.” In Nordostsyrien schießen die Soldaten dieses wohlfeilen Wohltäters der Menschheit vorsätzlich die Getreidefelder in Brand, um den Menschen in dieser Kornkammer Syriens die Lebensgrundlage zu entziehen. Bleibt die Frage offen, bei wem sich Erdogan entschuldigen könnte. Zu hoffen wäre, daß er niemanden findet, der seine Entschuldigung annähme. Wollte man indes definieren, was Terror ist, böten die Aktivitäten des türkischen Staates selbst geeignetes Anschauungsmaterial. Doch von dem türkischen Despoten läßt sich die Europäische Union am Nasenring führen. August 2022 17