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ohne Texte, ohne Literatur sein“. Und der Sohn Pétur Urbancic schrieb über sie: „Sie liebte Poesie — sie behauptete, bis zu 2000 Gedichte auswendig rezitieren zu können, und ich glaubte ihr das ohne Weiteres“. Schon als Kind habe sie, wenn ihr der Unterricht zu langweilig gewesen war, heimlich unter der Bank gedichtet. Als sie dabei einmal erwischt wurde, habe der Lehrer mit einem eigenen Gedicht auf ihr Gedicht geantwortet. Später in der Gymnasialzeit förderte ihre Deutschlehrerin Martha Fabian die literarischen Interessen Melittas und ihrer Freundin Erika Mitterer sehr. Ein Gedicht aus ihrer Schulzeit lautet: Abendschatten fallen schräge, stiller wird die Zeit. Dann verlöschen auch die Wege in der Dunkelheit. Und wie ihre grossen Wellen Welten aus den Fugen heben, stürzen Maass und Sinn — tausendfach vom Licht betrogen, liegt in Rätseln alles Leben wie vor Anbeginn”® Ihr gesamtes Leben über war Melitta Urbancic das Schreiben eine absolute Notwendigkeit, Medizin und „Überlebensstrategie“”’ in schweren Zeiten. Fehlt nun in den leizten Zeilen strengem Maass die Silbe wieder ? Urteil nicht zu übereilen, ‚prüf es strenger noch die Lieder: Denn der Klang im Reime endet mit dem Vers an früherm Ziel, wenn der Pfeil des Worts, entsendet, in des Sinnes Scheibe fiel — Leicht auch hat aus zartem Bogen, zitternd in erregter Hand, er die Grenzen überflogen, wenn zu straff die Sehne spannt — So, fürs Meisterstück der Schützen, üb ich ruhig Zug um Zug, meine schwere Kunst zu nützen leicht im ziel-entbundnen Flug — So auch sing ich meine Lieder dem und jenem sing ich sie Bringt das Echo eins nicht wieder, weiss ich: Es verklingt auch nie-— — * Es ist eine zart vibrierende Stimme, von Gedicht zu Gedicht weitergereicht, die uns in Melitta Urbancics Poesie begegnet. Die Verfasserin dieses kleinen Porträts hofft dazu beizutragen, dass sie nicht ohne Echo verklingt. Astrid Nischkauer*, geb. 1989 in Wien. Studierte Germanistik und Komparatistik. Gedichte und Übersetzungen, zuletzt: /du Wun26 ZWISCHENWELT dergecko. Gedichte./ (Köln: parasitenpresse 202); Olalla Castro: Wir Frauen, im Hinterhof eines sehr großen Hauses / Nosotras, en el patio de atrds de una casa muy grande. Heidelberg: hochroth 2020). Literaturkritikerin und Herausgeberin der "Literarischen Selbstgespräche". (Wien: Klever Verlag 2021). Lebt zwischen Bücherbergen und in Wien. In Zusammenarbeit mit Agneta Hauber bereitet sie einen Melitta Urbancic-Band fiir die Buchreihe "Nadelstiche"vor. Dr. Melitta Urbancic, geb. Grünbaum (1902 Wien — 1984, Reykjavtk). Promovierte Philosophin, Sprachwissenschafilerin, Schauspielerin, Bildhauerin, Imkerin und — lebenslang— Dichterin. Eltern: Ilma, geb. Mauthner, und Dr. Alfred Griinbaum, Rechtsanwalt. Studium: Universitäten Wien und Heidelberg, Professoren Carl Jaspers, Max von Waldberg, Friedrich Gundolf. Schauspiel bei Max Reinhardt. Theaterengagements: Baden-Baden, Konstanz, Koblenz. Künstlername Makarska. Ehe mit Dr. Victor Urbancic. Vier Kinder. Wegen jüdischer Herkunft Auswanderung 1933 von Mainz nach Wien, 1938 von Graz nach Reykjavik. Anmerkungen Zitierung der Gedichte nach den Originaltyposkripten im Nachlass und deren von der Autorin praktizierten Interpunktion und Schreibweise. Dr. Melitta Urbantschitsch (später Urbancic) in den 1930er Jahren. 1 Melitta Grünbaum: Begegnungen mit Gundolf. Hg. von Gunilla Eschenbach. Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft, 2012 (= Aus dem Archiv, Heft 5), S.40. 2 Melitta Urbancic: Frä hjara veraldar. Vom Rand der Welt. Hg. von Gauti Kristmannsson. Universitätsverlag der Universität von Island, Institut Vigdis Finnbogadottir, Reykjavik 2014. $.121. 3 Begegnungen mit Gundolf, S.41. 4 Rudolf Habringer: Emigration an den Rand der Welt. Die Geschichte des Musikers Victor Urbancic. In: Zwischenwelt Nr. 3/2003. 5 Aus dem Nachlass. 6 Vom Rand der Welt, S.177. 7 Vom Rand der Welt, S.137. 8 Agneta Hauber: Melitta Urbancic. Lyrik am Rand der Welt. Exil und Integration in Island. Eine Analyse. Dissertation, Universitat Wien, 2021, S.4. 9 Peter Stenberg: „Ihe Saga of Melitta Urbancic“. In: SCANDINAVIAN-CANADIAN STUDIES/ETUDES SCANDINAVES AU CANADA. Vol. 24 (2017) S.210-225. 10 Begegnungen mit Gundolf, S.49. 11 Thomas Borgstedt: Topik des Sonetts. Gattungstheorie und Gattungsgeschichte. Tübingen: Max Niemeyer Verlag 2009 (= Frühe Neuzeit Band 138), S.120.