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gewundert, fast kam es mir vor als würde es ihn bei diesem Gedanken schaudern. Da war für mich klar, meine Geschichte lass ich mir nicht einfach so stehlen. In der Zwischenzeit ist aus dem mein langsam ein unser geworden. In der Zwischenzeit gibt es nicht wenige in der Stadt, denen die gesamte Geschichte wichtig ist und die einsehen, dass die Stadt auch Verantwortung für die Geschichte übernehmen muss. Es gibt eine Reihe von Initiativen, die ich anregen konnte: Namensbenennungen, Zusatztafeln, Gedenkräume in einem Gasthaus zum Beispiel. Es gibt einen HistorikerInnen-Beirat und es gibt ein großes Projekt unter dem Titel „Eine Stadt (er) trägt Geschichte“, ein Rundgang durch die Zeitgeschichte der Stadt. Ohne Übertreibung kann ich sagen: Es gibt nicht viele Städte, wo so lückenlos die Zeitgeschichte sichtbar gemacht werden wird. Die Geschichte und die Verbrechen der NS-Zeit zu leugnen, das geht heute nicht mehr, das schafft heute nicht mehr eine Partei, die sich aus Ehemaligen konstituiert hat. Aber es gibt noch immer Menschen, die meinen, das hat es zwar alles gegeben, aber müssen wir das auch herzeigen, das ist doch schädlich für die Wirtschaft und den Fremdenverkehr. Dass es einen brennenden Wunsch nach Geschichte gibt, einen Wunsch jenen Ort zu besuchen, der für Familienangehörige gezwungenermaßen wichtig war, kommt dieser Personengruppe, die sich um unseren guten Ruf und den Fremdenverkehr sorgt, nicht in den Sinn. Sie können sich nicht vorstellen, dass es Menschen mit diesem Wunsch gibt, die nicht hier geboren wurden, die aber hier für einige mörderische Jahre leben mussten. Es gibt Amerikaner, Franzosen, Russen, Italiener, Belgier, Bosnier, Serben und es gibt Nachkommen von Bürgern dieser Stadt, die heute in Israel oder sonst wo leben, die den Ort aufsuchen, wo ihre Großväter oder Großmütter gefangen waren, zur Zwangsarbeit verurteilt waren. In vielen Familien wurde über die Geschichte nicht viel gesprochen und nicht selten passiert es, wenn keine Fragen mehr gestellt werden können, dann bleibt oft nur mehr eine Reise zu diesem Ort, nach Krems. Ich bin und bleibe ein grenzenloser Optimist und ich träume noch immer. Im Jahr 2025 ist wieder so ein Jahr, wo Krems eine Einladung aussprechen könnte an die Nachkommen all jener, die hier gezwungen waren zu leben. Wenn jetzt eine Studie gemacht werden würde, welches Tier zu mir als Historiker passen würde, ich kenne das Ergebnis: Ein Elefant, denn der hat ein unglaubliches Gedächtnis. Ich habe leider ein langes Gedächtnis und ich weiß noch wie das war, als ich zum ersten Mal nach Israel fuhr, um alle Jüdinnen und Juden zu besuchen. Ich dachte ich reise in einer offiziellen Mission. Während fast alle Parteien mir Grußadressen mitgaben, konnte sich der Bürgermeister dazu nicht durchringen. Es wäre ein unanständiges Angebot gewesen zu fragen, ob wir nicht die Überlebenden einladen könnten, damals 1988. Einer durfte dann kommen. Die Verhandlungen wie viele Übernachtungen die Stadt zahlt - eine oder zwei -, diese Feilscherei kann ich nicht vergessen, zum Glück hat Abraham Nemschitz davon nichts mitbekommen. Keine Angst, wir werden nicht hundert Flugtickets für Amerika, Frankreich, Zugtickets aus Polen, Russland und Bosnien anfordern, aber eine Einladung auszusprechen mit einem besonderen Angebot, einer kostenlosen Stadtführung, einem Empfang beim Bürgermeister, rund um den 8. Mai 2025. Ich denke das könnte tatsächlich passieren und wir könnten unsere Stadt präsentieren, so wie sie ist, so schön, so freundlich und mit einem langen Gedächtnis, das sich nicht nur an den Fassaden, sondern auch in unserem Handeln und in unserem Blick auf die Vergangenheit wiederfindet und wo nichts vergessen wird, das Gute ebenso wenig wie das Böse. Ich habe jetzt lange gesprochen und ich brauche eine kurze Erfrischung. Nein ich trinke jetzt keinen Wein, denn das Thema hatten wir schon, denn wir wissen alle, dass die berühmteste Weinriede aus Krems in jüdischem Besitz war, und die Gründung des heute größte Weinbaubetrieb Österreichs, die Winzergenossenschaft Krems mit einer „Arisierung“ begann. Diese Geschichte ist nach Anlaufschwierigkeit gut dokumentiert und ich freue mich gemeinsam mit meinem Co-Autor, dass die Winzer Krems nun zu ihrer Geschichte stehen. Also erfrische ich mich jetzt nicht einem Schluck Wein, sondern... Beginnt jetzt das große Zittern, wer ist jetzt dran? Was wird jetzt enthüllt? Ich könnte es nicht besser erfinden, aber immer, wenn wir genauer hinschen, dann finden wir eine vergessene, verdrängte Geschichte, hinter den Marmeladengläsern. Und Marmelade, das ist bei uns Marillenmarmelade. Wir sind in der Wachau und Marillen gehören einfach zu unserer Identität und wenn ich sie jetzt frage, wer den Marillen-Likör erfunden hat, so werden sie den Namen nicht wissen, aber sie werden ahnen, dass, wenn ich so frage, es nur eine „jüdische Erfindung“ sein kann. Und so ist es. Oskar Wasservogel hat geglaubt, wenn er seinen Namen ändert, dann würde man vielleicht nicht an seine Herkunft denken. Doch auch Oskar Wolters Betrieb wurde „arisiert“ er hat sich mit Marillen-Likör in den 30er Jahren schon einen Namen gemacht und bei der Herbstmesse 1935 oder 1936 hat ein anderer Kremser, Bundespräsident Miklas, sich ein Gläschen von einer Wachauerin einschenken lassen und verkostet. Oskar Wolter hat die Verfolgung mit Glück überlebt, seine Geschichte ist vergessen, aber nicht mehr lange. Den ersten Marillen-Likör in Krems und Österreich hat Oskar Wolter produziert und vermarktet bis zum 12. März 1938. Wohl bekomms. Sie sehen, ein Ende ist nicht abzusehen, vieles wird noch zum Vorschein kommen, noch immer. So bleibt mir Danke zu sagen, mich zu bedanken bei meiner Familie, die in Krems lebt und für die es nach manchen Aktionen und Büchern von mir nicht immer ganz leicht war. Danke an meine Frau und meine Tochter, die mit mir und meinen Geschichten leben und nicht zuletzt danke an jene in Krems, die nicht der Meinung sind, dass Vergessen das Tor zur Zukunft ist. Als kleines Dankeschön für diesen Abend habe ich ein kleines Geschenk mitgebracht für jeden von Ihnen, sie finden auf ihrem Platz eine Postkarte. Griechinnen in Krems. Geschichte zum Nachhören in 10 Teilen. Ein Podcast mit der Geschichte von zwei Griechinnen, die in Krems im Gefängnis auf die Befreiung gewartet haben. August 2022 31