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Elisabeth Lebensaft / Christoph Mentschl Eric Sanders 1919 — 2021 bald 102 Jahre alt. Sein Leben umspannte nicht nur mehr als ein Jahrhundert mit all seinen politischen Umbriichen, sondern auch eine Vielzahl persönlicher Facetten: Er war Jude, Exilant, britischer Soldat und SOE-Agent, Pädagoge, Schriftsteller, Musiker, um nur einiges zu nennen. Er war ein Familienmensch, aber darüber hinaus auch ein durch und durch politischer Mensch. So viele Facetten, dass sie in einem kurzen Nachruf nicht Platz finden können. Man müsste ein ganzes Buch darüber schreiben — wenn es das nicht schon gäbe: 2008 veröffentlichte Sanders im Czernin Verlag seine Autobiografie mit dem programmatischen Titel „Emigration ins Leben. Wien — London und nicht mehr retour“ mit Unterstützung und herausgegeben von Peter Pirker. Und um vorweg ein wenig Werbung dafür zu machen: humorvoll, lebendig und spannend geschrieben.! Geboren wurde Sanders am 12. Dezember 1919 in Wien als Ignaz Erich Schwarz, älterer Sohn von Gitel und Hermann Schwarz. Gemeinsam mit seinem drei Jahre jüngeren Bruder Alfred (Fredi) verbrachte er seine Kindheit im 15. Wiener Gemeindebezirk, ehe seine Eltern nach Hietzing zogen, wo sie ein Lebensmittelgeschäft eröffneten und den Söhnen eine weiterführende Schulbildung ermöglichen konnten. Die Schule, in Erics Fall die Hauptschule in Ober St. Veit, dann die Realschule in der Astgasse (heute Goethegymnasium), fesselte ihn aber eher wenig, galt doch seine besondere Leidenschaft schon in seinen Jugendjahren der Musik. Es gelang ihm sogar, das Theater an der Wien fiir einige seiner Lieder und Texte zu interessieren. Der „Anschluss“ Österreichs an das Dritte Reich bereitete der Hoffnung auf eine musikalische Karriere jedoch ein jähes Ende und bedeutete einen ersten Bruch in seinem Leben. Nachdem sein Bruder schon im Mai 1938 mit einem illegalen Transport Richtung Palästina aufgebrochen war und die Mutter kurz danach mit einem Dienstmädchen-Permit nach England gelangte (der Vater schaffte es erst als letzter und viel später nach Großbritannien), konnte sich auch Eric im August mit Hilfe eines Ausbildungsvisums nach England in Sicherheit bringen. Dort meldete er sich im Februar 1940 zur britischen Armee und wurde, da die kämpfenden Einheiten für die enemy aliens zu diesem Zeitpunkt nicht zugänglich waren, dem Auxiliary Military Pioneer Corps zugeteilt. Mit der 88 Company wurde er nach Frankreich verlegt, um im Rahmen der British Expeditionary Force Verladearbeiten im Hafen von Le Havre zu verrichten, während die deutsche Armee immer weiter Richtung Kanal vorrückte. Sein Glück blieb Eric treu: im Rahmen der Evakuierung der britischen Truppen wurde er mit seiner Einheit auf dem letzten Schiff nach England zurückgebracht. Nach ihrer Rückkehr wurde die 88 Coy in England und Wales verwendet, etwa für die Beseitigung von Bombenschäden nach den Luftangriffen auf London. Eric nützte die Zeit aber auch für seine Weiterbildung und belegte Fernkurse an der University of London, die eine wichtige Grundlage für sein Berufsleben nach dem Krieg bilden sollten. Und auch seine musikalischen Ambitionen kamen in dieser Zeit nicht zu kurz, konnte er doch als Pianist in der Musikkapelle der Kompanie mitwirken. Alle diese Aktivitäten halfen allerdings nicht gegen die Enttäuschung, dass ihnen der bewaffnete Kampf gegen die Nazis verwehrt war, die Eric mit vielen der geflüchteten Österreicher und Deutschen teilte. Eine Wendung brachte erst das Jahr 1943, als endlich auch kämpfende Einheiten für die refugees geöffnet wurden. Eric wurde von dem militärischen Geheimdienst Special Operations Executive (SOE) angeworben, den Churchill mit den Worten „Now set Europe ablaze“ im Juli 1940 initiiert hatte und der hinter den feindlichen Linien hauptsächlich zur und mit Unterstützung lokaler Widerstandsgruppen operieren sollte. Aufgrund ihrer Sprach- und Ortskenntnisse waren vor allem Flüchtlinge vom Kontinent wichtig, die dazu angehalten wurden, zu ihrem Schutz für den Fall einer Gefangennahme ihre Namen zu ändern. So wurde aus Ignaz Erich Schwarz nunmehr Eric Ian Sanders. Die lange und intensive Ausbildung für diese Einsätze umfasste eine geheimdienstliche und paramilitärische Schulung sowie Nahkampf- und Fallschirmtraining, mussten doch die zukünftigen Agenten mit einem Absprung über ihrer ehemaligen Heimat rechnen. Besonderes Geschick entwickelte Eric im Morsen, das in einem speziellen Kurs gelehrt wurde. Im Herbst 1944 wurden die Männer nach Süditalien transferiert. Von dort sollte ihr Einsatz in Österreich erfolgen, zu dem es allerdings in Erics Fall infolge des Kriegsendes nicht mehr kommen sollte. Der Aufenthalt in Italien war jedoch von einem für Eric tragischen Ereignis, dem Verlust seines Bruders, überschattet. Dieser war im Rahmen der jüdischen Brigade in der britischen Armee gleichfalls in Italien stationiert und kam auf der Fahrt zu einem Treffen mit Eric, den er seit seiner Abreise nach Palästina nicht mehr gesehen hatte, im Oktober 1944 bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Das Ende des Krieges bedeutete nicht automatisch das Ende von Sanders‘ Dienstzeit. Er wurde nach England zurückbeordert und als Dolmetsch bei der Reeducation deutscher Kriegsgefangener eingesetzt. Ab Juni 1946 war er in dem von den Alliierten besetzten Wien in der Rechtsabteilung der Allied Commission for Austria (British Element), wo er vor allem zur Übersetzung österreichischer Gesetzesvorlagen herangezogen wurde. In dieser Zeit engagierte er sich auch in der Austro-British Society. Trotz Bestrebungen, ihn für die österreichischen Sozialisten zu gewinnen, kam eine endgültige Rückkehr nach Österreich für Eric nicht in Frage. Er kehrte nach England zurück und wurde im Mai 1947 als Warrant Officer, 1“ Class, aus der britischen Armee entlassen. Bereits Anfang dieses Jahres hatte er die britische Staatsbürgerschaft erhalten. Er setzte nun seine während des Militärdiensts begonnenen Studien fort mit dem Ziel, den Lehrberufzu ergreifen. Dies wurde auch insofern für seine weiteren Lebensumstände bestimmend, als er während August 2022 35