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des Studiums seine Frau Margret — auch sie wurde Lehrerin — kennenlernte und 1950 heiratete. Zwei Söhne, Paul und Richard, sind aus der Ehe hervorgegangen. 1949 begann Eric seine pädagogische Karriere, und, obwohl seinerzeit in Wien kein begeisterter Schüler, wurde er nun zum fortschrittlichen und ambitionierten Geschichtslehrer. Speziell das Projekt Gesamtschule war ihm ein wichtiges Anliegen, sah er doch darin die Möglichkeit zur individuellen Förderung für unterprivilegierte Schüler. Auch für fächerübergreifendes Arbeiten zeigte er sich offen. Ferner organisierte er Klassenreisen nach Österreich und andere europäische Länder, die sich großer Beliebtheit erfreuten. 1981 zog er sich Sanders aus dem Schuldienst zurück und begann mit dem neuen Lebensabschnitt eine neue Karriere als Schriftsteller, dem das Schreiben zur Leidenschaft wurde. Er verfasste Prosa und Theaterstücke, die erwähnte Autobiografie (in deutscher und englischer Sprache), politische Beiträge und sogar das Drehbuch zu einem Film über den ägyptischen Staatschef Nasser, in dem er auch selbst eine kleine Rolle übernahm. Noch im hohen Alter versuchte er sich am Genre des Agentenromans. Eine Zeitlang war er auch Sekretär der Theatre Writers’ Union. Eric Sanders war ein politisch aktiver Mensch. Er hatte zwar ein Angebot, bei der neuformierten SPÖ mitzuarbeiten, abgelehnt, engagierte sich aber dann, auch unter dem Einfluss seiner Frau, in England bei der Labour Party als populärer Funktionär in seinem Londoner Wohnbezirk Hammersmith. Seine Kandidatur für einen Sitz im Europäischen Parlament 1979 war allerdings erfolglos. In den 1990er-Jahren trat er einer Organisation „Links Europe“ bei und begann ferner die Politik Jörg Haiders für eine Fernsehdokumentation zu recherchieren. Seine Wertschätzung durch die Labour Party ist daran abzulesen, dass bei seinem Begräbnis ein Labour-Parlamentarier und eine Labour-Vertreterin des Bezirks Hammersmith Erics gedachten. Seinen Ruhestand (in seinem Fall eher ein „Unruhestand) nutzte er neben seinen politischen und literarischen Ambitionen für ausgedehnte Reisen mit seiner Frau. Auch nach Österreich kehrte er zurück, nicht nur privat, sondern zunehmend auch als Zeitzeuge. In seinem letzten Lebensabschnitt erhielt Eric, der 2018 die österreichische Staatsbürgerschaft neben der britischen wiedererlangt hatte, Richard Wall mehrere Auszeichnungen und Anerkennungen, unter anderem ist neben der Ehrenmitgliedschaft der Osterreichischen Gesellschaft fiir Exilforschung vor allem die Verleihung des Osterreichischen Ehrenkreuzes fiir Wissenschaft und Kunst hervorzuheben. Anlässlich seines 100. Geburtstags wurde er von Bundespräsident Van der Bellen in der Wiener Hofburg empfangen. (Eine noch von dem 101-jährigen geplante Präsentation seiner Agententhriller in Wien wurde leider durch die Covid-Pandemie verhindert). Mit Eric Sanders ist ein wichtiger Zeitzeuge von uns gegangen: Lange Jahre förderte er den Zusammenhalt und Kontakt unter den ehemaligen deutschen und österreichischen SOE-Agenten als Sekretär der „Iwelve Force“ und gab seine Erfahrungen sowohl in schriftlicher Form (Autobiografie, Zeitungsartikel, Blogs etc.) als auch in zahlreichen Interviews und öffentlichen Auftritten weiter. Besonders bereitwillig sprach er, der ja selbst lange Lehrer gewesen war, vor den Schülern und Schülerinnen seiner ehemaligen Schule in der Astgasse unter dem Motto: „Ich hielt es und halte es für wichtig und notwendig, dass jede Generation auch die schlimmen Seiten der Vergangenheit ihrer Gesellschaft erfährt und zu gleicher Zeit nicht fühlt, dass sie für die Sünden der Vorfahren verantwortlich ist. Mitverantwortlich werden nur jene, die von den Sünden wissen und versuchen, sie mit Lügen und Schweigen zu überdecken.“ Und ebenso stellte er seine Materialien und Erinnerungen befreundeten Forschern bereitwillig zur Verfügung und wurde nie überdrüssig, ihre Fragen zu beantworten. So haben auch die Verfasser Eric zu danken: für seine Freundschaft und für seine Bereitschaft, unsere Arbeit jederzeit zu unterstützen und sein Wissen und seine Materialien selbstlos mit uns zu teilen. Seine bis zuletzt positive Lebenseinstellung zeigt sich in dem Resümee, das Eric Sanders in seiner Autobiografie zieht: „Der Zweite Welikrieg hat einen ungeheuren Einfluss auf mein Leben ausgeübt, und was die Gewalt der Nationalsozialisten und ihre Folgen meinen Eltern, meiner Familie, meinen Freunden und Freundinnen angetan haben, übersteigt meine Formulierungsgabe. Es schmerzt, allein daran zu denken. Ich weiß, dass Abertausende mehr litten. Im Vergleich hatte ich es gut. 1 Vgl. dazu die Rezension in „Zwischenwelt“ 26. Jg., Nr.1/2, 2009. Mir war der Name der Künstlerin und Kunstpädagogin in Prag, wo ich Anfang der 1990er Jahre die Ausstellung der Kinderzeichnungen aus Iheresienstadt im jüdischen Viertel gesehen habe, bereits aufgefallen. Zudem hatte ich einige Bilder von ihr gesehen, von der Vielfalt ihrer künstlerischen und kunsthandwerklichen Tätigkeit hatte ich jedoch höchstens eine Ahnung. Als ich den Großen Saal im 1. Stock des Lentos betrat, wurde ich gepackt von der Bandbreite des Schaffens von Friedl-Dicker-Brandeis. Gesteigert wurde der Eindruck noch durch die Gestaltung und Größe der Ausstellung, die einerseits chronologisch angelegt ist, andererseits in Werkgruppen eine Verdichtung erfährt. Der Kuratorin Brigitte Reutner-Doneus und dem Ausstellungsgestalter Georg Schrom gelang eine Schau, die Maßstäbe setzt in der Würdigung einer lange vergessenen und politisch hellwachen Künstlerin der Avantgarde. Aus Privatbesitz, Museen und Archiven werden Studien, Zeichnungen, Collagen, Graphiken, Malereien, Webereien, Haus- und 36 ZWISCHENWELT