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Richard Wall Es friert die Rose im Schnee Ossip Mandelstam I Lüge und Vertrauensbruch, wenn auch nur beobachtet und aus zweiter Hand genügen, im ganzen Körper dieses Gefühl zu wecken, nie dagewesen, aber jetzt kehrt es wieder bis in die Träume hinein, fühlst du das Übel nah. Körper leblos, verstümmelt, zerfetzt — nichts Neues, wie immer, wenn an Masken abprallt die Bitte, die Frage und von allen guten Geistern verlassen die Waffen sprechen, Sprache ohne Worte. Wo sind nun Wege, auf denen, vor einem Ziel, das es, wie es scheint, noch nicht gibt, das Herz sich der Schläge erwehren kann, sich das Schlagen erhält? II Ein wenig, nein lange, war Friede hier, fast nie im Siiden, im Siidosten, das haben wir aus der Ferne zur Kenntnis genommen durch all die Jahre wie den Wetterbericht, gefiltert durch Ideologien und Medien. Rudi Burda Widerstand Nun reckt, ganz in der Nahe, in einer Engführung von Geschichte, sinnlos ein Schrecken sein Haupt, ihm eingeschnitten die Grimasse des Gräuels, des Gemetzels, weil ein Sturkopf, humorlos, dem Wahnsinn verfallen, wie ein kleines Kind, dem ein anderes ein Teil von einem Puzzle vorenthält, Taten befiehlt, die nichts bringen außer hunderttausendfach Not und Tod und Zerstörung von Hab und Gut. Ich zähle die Tage seit Kriegsbeginn. Es gibt kein Austreten aus der Geschichte, kein Davonschleichen. Eine neue Zeitrechnung hat begonnen. An Gräben, die man begonnen hat, einzuebnen, wird wieder gegraben. Diesen Tyrannen zu beseitigen obliegt niemand geringerem als jenem Volk, das Poetinnen wie Marina Zwetajewa, Anna Achmatova, Künstler wie Alexander Rodtschenko, Architekten wie Konstantin Melnikov hervorgebracht hat, dem so duldsamen, so oft betrogenen russischen Volk, dem meine Liebe gilt. 27. Februar 22 Von Richard Wall ist zuletzt in ZW Nr. 4/2022, S. 27-30, erschienen: Franz Kain. Wider die Arschkräuler” und Sumperer”. Einnerungen, Anmerkungen und Gedanken beim Wiederlesen einiger seiner Schriften”. 1 Jaja, der Titel ist in seiner Formulierung schon eine Anmaßung. Aber er deutet an, was mich derzeit - rund um den 100. Geburtstag von Franz Kain — an ihn denken lässt in Zeiten, wo jede Menge Unausgegorenes, Fremdenfeindliches, Antisemitisches, Esoterisch-Reaktionäres zynisch unter der Marke ‚Widerstand‘ daher segelt und ‚Wir sind das Volk‘ brüllend durch unsere Straßen zieht. Erinnerung 1: In einem unserer Gespräche, vielleicht in den späten 1970ern, ging es um die wichtige Unterscheidung zwischen Rebellentum und Widerstand. Ersteres, so habe ich Kains Aussage in Erinnerung, kann Voraussetzung zu Letzterem sein. Aber nur wenn der Gegner klar erkannt und benannt wird, und nur wenn zur Empörung auch gezieltes Handeln im Interesse der sogenannten ‚kleinen Leut‘ kommt, wollte er von Widerstand sprechen. Jeder, der Kain kennen lernen durfte, wird bestätigen, dass er als kommunistischer Journalist, Parteifunktionär, Gemeinderat, Autor, Mensch, die Entscheidung zum Widerstand verinnerlicht hatte und konsequent lebte. Natürlich gehörte für ihn zu diesem Leben auch die Verwurzelung im sozialen Umfeld, in der Region mit ihrer Geschichte und ihren Geschichten. Nicht zufällig ist mir neben Kains klarem Standpunkt auch der Ort des Gesprächs in Erinnerung, eine Gaststube (in Attnang?). Vermutlich haben wir dabei Bier oder Most getrunken, aber ich verfüge nicht über das von ihm als Segen wie als Last empfundene Elefantengedächtnis, also bestehe ich nicht auf diesem Detail. Erinnerung 2: In den 1970ern und 1980ern gab es mehrmals (von der Kommunistischen Jugend Österreichs und dem Kommunistischen Studentenverband organisierte) ‚Rote Jugendwochen‘. Zu einigen August 2022 53