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mein Lächeln wurde zu Tode gesteinigt Nahm der Talisman des Daseins Gestalt an Ich starb mit dem was ich erschuf Ich war eine Frau Ich war viele Ich war nicht Meral Meral Simsek Meral Simsek ist eine türkisch-kurdische Schriftstellerin und Dichterin aus Amed (Kurdisch fiir Diyarbakyr), geb. 1980, und Mutter zweier Kinder. Sie wurde neun Mal international ausgezeichnet, darunter für ihre Gedichtbände: “Mülteci Düsler” (Flüchtlingsträume); (Wolken im Feuer) und “Yncir Karasy” (Schwarze Feige). 2017 erschien ihr autobiographischer Roman “Nar Lekesi” (Granatapfelfleck). 2022 erschien ihr fünftes Buch: Arzela. Kurzgeschichte. Sanci Yayinlari, Istanbul. Sie ist Mitglied des Kurdischen PEN, dem sie 2020 beitrat, des Kurdischen Literaturvereins und der Vereinigung Kurdischer SchrifistellerInnen Mesopotamiens. Ein Jahr, nachdem Meral Simsek in der Türkei entführt und zur Mitarbeit im Geheimdienst zu nötigen versucht wurde, indem man ihr androhte, andernfalls ihr Leben als Autorin zu zerstören, wurde sie am 9. Dezember 2020 in der Provinz Meleti (Malatya) festgenommen, mit einem Ausreiseverbot belegt und im Januar 2021 wegen “Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung” (Artikel 31412 des türkischen Strafgesetzbuchs) und “terroristischer Propaganda” (Artikel 7/2 des Anti-Terror-Gesetzes Nr. 3713) angeklagt. Die Anklageschrift führt ihre Literatur an, ihre literarische Mitgliedschaft, ihr Gedicht für ihren Bruder, ihre vom Englischen PEN ausgezeichnete Kurzgeschichte Arzela”, die in der Anthologie Kurdistan + 100 erscheinen wird. In dieser Anthologie entwerfen zwölf zeitgenössische kurdische SchriftstellerInnen Szenarien einer Zukunft, in der Kurdin und Kurde sein ohne Verfolgung möglich ist. “Und sogar meine Antwort auf die Frage eines Lesers auf einer Veranstaltung in Batman gilt als Straftat. Auf die Frage, warum ich nicht auf Kurdisch schreibe, hatte ich geantwortet, dass ich mich schäme, nicht in meiner Muttersprache schreiben zu können. Das ist in der Anklageschrift aufgeführt. Es ist derartig tragikomisch.” (Meral Simsek, ANF News, 18.9.2021). Konstantin Kaiser Meral Simsek ist mit 13 Jahren so schwer sexuell gefoltert worden, dass sie an der Gebärmutter operiert werden musste und an einem Nierenschaden leidet. Sie befindet sich in ständiger medizinischer Behandlung. Ihre Schwester und ihr Bruder sind im Abstand von drei Jahren getötet worden. Im Juni 2021 flüchtete Meral Simsek nach Griechenland. Die griechische Polizei griff sie auf, nahm ihr Dokumente und Telefon ab, misshandelte sie, warf sie in der Mitte des Grenzflusses Evros ins Wasser, am Ufer, wohin sich Meral Simsek, die nicht schwimmen kann, mit Hilfe ihrer Freundin retten konnte, nahm sie das türkische Militär fest. Ihr droht nun weitere Strafverfolgung mit bis zu fünf Jahren Haft wegen Betretens von militärischem Sperrgebeiet. Von dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung mit einer Strafandrohung von über zwanzig Jahren wurde sie inzwischen freigesprochen, im Oktober 2021 aber wegen Verbreitung terroristischer Propaganda zu einer Haftstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Das Berufungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. PEN International ist der Überzeugung, dass Meral Simsek für ihre Literatur verfolgt wird und hat wiederholt dazu aufgerufen, sich für sie einzusetzen, zuletzt in seinem Aufruf am Internationalen Frauentag 2022. “Kurdistan + 100” erscheint im August 2022 im Verlag commapress. Meral Simseks Lyrik und Prosa ist eindringlich, konkret, schonungslos und trotz allem voller Hoffnung. In ihrem autobiographischen Roman” Nar Lekesi” erzählt die Autorin von systematischer Verfolgung, Folter und Ermordung, aber auch vom Willen, weiterzuleben und weiter zu schreiben. Nachwort zu Regina Hilbers Super Songs Delight Es ist eine Sprachreise durch eine zerklüftete, verrätselte Welt der (Im)Ponderabilien. Zyklisch voranschreitend mäandert sie in den Great Planes in Nord Dakota, erreicht über New York City den Golf von Mexico, verhält im oberösterreichischen Steyr und lässt sich von der Bora, dem bösen Fallwind, der den Himmel aufreißt, nach Triest tragen, verweilt schließlich in Czernowitz. Eine empirische Poesie, die ihre Tatkraft an Ort und Stelle prüft, mit Zitat und Innuendo, die mit körperlichem Einsatz und Reflexion ankämpft gegen das immer neue Zuwachsen der Wirklichkeit (einschließlich des Erschreckens über die aufgescheuchte Klapperschlange), und gegen die Erschöpfung eines langen Marsches. 62 — ZWISCHENWELT Die Entfremdung geht in der Welt um, es gilt, ihr zu widerstehen, nicht sie zu beklagen. Den ungleichen Kampf mit ihr muss das Gedicht aufnehmen. „Was ist schon Sprache allein auf einem Feld“, fragt die Poetin und ruft Verbündete auf, um Dissonanzen auszuloten: einen Ettore Schmitz in Triest, eine Dora Dunkl in Steyr, wo das Tanzen aus der Reihe schon Tat ist; die Erbauer der Brooklyn Bridge, Arbeiter, für die die Brücke noch Teil ihrer Welt war und nicht bloß Mobiliar in der Kulisse vorweg enteigneten Lebens. Literarische Persönlichkeiten aus der Lyrikwelt werden zur Mitwirkung gebeten: Der amerikanische Lyriker Hart Crane, Verfasser von The Bridge, im Golf von Mexico verschollen, sowie die Dadaistin Elsa von Freytag-Loringhoven, um nur zwei von ihnen zu nennen.