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Olenas Rede im US-Kongress: Waffen! “Nach Butscha begriffen wir”, sagt Olena Selenska zu Rachel Donadio, “dass sie uns vernichten wollen”. Die mit einem Preis ausgezeichnete Politikwissenschaftlerin zeiht mich prompt der Dummheit, als ich das Interview des Präsidentenpaares in der Vogue kontextualisiere. Auf ihrer Facebook-Seite ist die Kritik an die Selenskyjs das erste Posting überhaupt zum Krieg. Seit dem 24.2.: nichts. Nichts, nach fünfeinhalb Monaten Vernichtungskrieg, außer: Kritik wegen Vogue. Wie funktioniert Distanzierung? Mir ist nicht klar, warum man in Österreich Fußballhelden und Skihelden und Filmhelden bejubeln darf, aber ein Volk im Widerstand keine Helden haben soll, warum man sich distanzieren muss, immer auf der Hut, ob sich der Selenskyj nicht doch als großer Scharlatan herausstellt? Was steckt hinter dieser Vorsicht? Wäre es nicht gut, Jugendliche hätten WiderstandskämpferInnen zum Vorbild? Wovor fürchtet man sich? Da ist Widerstand, und wir schreien: Wehret dem Heldentum! Sonderbar. Am 8. Juli 2022 sprach der ukrainisch-jüdische Präsident Wolodymyr Selenskyj im slowenischen Parlament, es war das 24. EU-Mitglied. Drei fehlen. Österreich ist eines davon. Österreich leistet heroischen Widerstand gegen eine Parlamentsrede des ukrainischen Präsidenten. An vorderster Front: FPÖ mit SPÖ. Die ÖVP dankbar im Schlepptau. Raiffeisen ist weiter in Russland tätig: Raiffeisen sichere “wichtige Arbeitsplätze” nicht nur in Russland, sondern “auch in der Ukraine”, sagte der österreichische Bundeskanzler Nehammer bei seinem Besuch in Kyjiw. Was er vor Ort sah, hat wenig Spuren hinterlassen. Am 21.3.2022 zitierte der Dokumentarfilmregisseur Marcus Welsch den ukrainischen Schriftsteller Sergiji Zhadan, mit dem er oft durch den Osten der Ukraine gefahren ist: “Ihr habt zu lange und zu unverschämt mit den Tätern dieses Krieges verhandelt. Ihr habt lange zwischen Euren Prinzipien und Eurer Bequemlichkeit geschwankt und dabei alle Verpflichtungen der Partnerschaft vergessen.” (Salonkolumnisten, Verzweifeln am Nationalpazifismus) Sean Penn plante vor der Coronapandemie einen Dokumentarfilm über den ukrainischen Präsidenten und die Ukraine. Aufgrund der Verschiebungen durch die Pandemie reiste er erst im Winter 2021/2022. Am Tag des russländischen Überfalls befand er sich in Kyjiw, erlebte den Präsidenten aus nächster Nähe. Er sagte im Interview mit Lawrence O’Donnell am 6. April: “What makes him so particularly: in that courage he is the face of so many Ukrainians. If you cannot acknowledge that than I do not know where we fall in the legacy of life.” Sean Penn war im November 2021 in Mariupol. Er ist tiberzeugt, dass die Ukraine gewinnen wird, die Frage sei nur: zu welchem Preis. Der Preis, sagt Penn, hänge von uns ab. Er erinnert sich an Butscha, die Reaktion von Selenskyj: wie kann man nur, all diese Folterungen, so viele Menschen, er war fassungslos und zeigte das. Penn sagt: “Ihe tenderness of his humanity is present.” Penn sagt: Wenn wir schon nicht diesen Mut aufbringen, diese Einheit in der Vielfalt, die die Ukraine schafft, dann sollen wir zumindest ihren Widerstand anerkennen und die Ressourcen geben. Was an den Reden des ukrainischen Präsidenten, die Nacht für Nacht bestätigen, dass er noch lebt (!), so fasziniert, ist die von ihm vermittelte Zuversicht. Widerstand braucht Zuversicht. Ohne Zuversicht droht Verzweiflung, droht Suizid. Manche nervt genau das: Da hört einer nicht auf, Hilfe zu fordern! Konzentrierte Zuversicht, trotz allem, und ich meine, man hört das antifaschistische Gedächtnis eines Menschen, der sich am Widerstand orientiert, nicht an Verwirrungen der Erinnerungskultur, die alle zu Nazis erklären. Österreich, so neuerdings die quasi-ofhizielle Definition, war nicht 1. Opfer. Die Deutschen nicht einmarschiert, “nur”, weil Österreich keinen militärischen Widerstand gegen den Einmarsch leistete? Wurden die deutschen Soldaten denn nach Österreich eingeladen? Gab es keinen Widerstand, keinen Prominententransport? Müssen wir jetzt die Moskauer Deklaration umschreiben? Vielleicht könnten Kickl und Melenchon und Sarah Wagenknecht gemeinsam nach Moskau reisen! Wenn alle Nazis waren, alle Tater, wenn es keine Opfer gab, braucht man nicht trauern, braucht den Widerstand nicht kennen, braucht sich keine Namen merken, es reicht “Nazi” zu können. Vor kurzem wieder, in dieser Woche, Anfang Juli 2022: Ein zweiseitiges Interview mit dem Mauthausen-Komitee. Es kommt vor: Opfermythos. Es kommt nicht vor: Ukraine. Kein Wort zu Schizofaschismus. Kein Wort von Völkermord. Kein Wort vom nach dem Angriffskrieg gegründeten Raphael-Lemkin-Zentrum für die Dokumentation von russischen Verbrechen in der Ukraine. Ein Blick auf die Homepage lohnt sich: https://berlin.instytutpileckiego.pl/de/ news/raphael-lemkin-center-for-documenting-russian-crimes-in Das Instytut Pileckiego ersucht um Spenden fiir Scanner zur Sicherung ukrainischer Archive. Ein Vélkermord in Europa und wir reden über “Opfermythos” und “Zivilcourage”? Wer kennt die Namen fünf ukrainischer SchriftstellerInnen? Wer in der allgemeinen Bevölkerung kennt die Namen fünf österreichischer WiderständlerInnen? Wem ist bewusst, dass auch der Widerstand in Österreich ein nationaler war, einer um die Befreiung Österreichs! “Nazi!” Das kann jeder. Es droht zum beliebigen Schimpfwort zu werden, das jederzeit zum Zwecke des “Empowerment” umgedreht werden kann. Als meine Oma schon alt war und ich gerade zur strammen Linken herangereift war, löcherte ich sie mit Fragen zu ihren Erlebnissen während des Nationalsozialismus. Sie strich sich mit der Hand über den rechten Oberschenkel, immer wieder. Bis ich verstand: Sie war ein junges Mädchen. Was wollte ich hören? In meiner inneren Welt saß bis zum 24.2.2022 Schuschniggs Wir-weichender-Gewalt. Dabei hatte auch beim Einmarsch in Österreich die Hitlerdeutsche Armee geblufft: Panzer blieben wegen fehlendem Treibstoffs liegen, wurden mit dem Zug abtransportiert, und so weiter. Österreich, alleine: “Selbstmérderisch”, so der Sohn von Schuschnigg, wäre militärischer Widerstand gewesen, seinen Vater zitierend. Aber: Er hätte aufhalten können. Andere Länder hätten früher ihre Appeasement-Politik in Frage gestellt. Er hätAugust 2022 71