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so weit zurück in die Vergangenheit, wie das Erinnern es noch möglich macht. Es ist das Leben von Kleinhäuslern und Bergbauern, von Hunger und Armut, von Schinderei und Ausbeutung, auch davon, dass Kinder als Arbeitskraft an Bauern „verliehen“ wurden, notgedrungen. Onkel Robert erzählt auch von Hoffnungen und Erwartungen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. Es war der kurze Traum von einer Revolution wie in Russland. Aber in der Heimat tobte die reale Existenzvernichtung, Zwangsversteigerungen, Delogierungen. Groß sind der Schock und dann die Trauer, als eines Sommers Onkel Robert nicht mehr da ist. Gestorben an Wunden, die ihm die Nazis in der Haft zugefügt haben. Er hatte ein ähnliches Schicksal wie der Großteil der Familie Renes: Gestapo, Gefängnis, KZ. Nach Onkel Roberts Tod ist es Renes Großvater, der Eisenbahner, der von der politischen Arbeit des Proletariats in der ersten Republik, vom Kampf um soziale Gerechtigkeit, vom politischen Widerstand in allen seinen Formen und Möglichkeiten erzählt. Diese Geschichten von und über seine Familie prägen den jungen Rene. Sie verlassen ihn nicht mehr. Zu den absoluten Stärken des Romans gehören Milieuschilderungen, zum Beispiel der schweren und gefährlichen Arbeit der Eisenbahner. Die Beschreibungen des sozialen und politischen Lebens im Umfeld dieser österreichischen Familie wirken, als ob der Autor Selbsterlebtes wiedergäbe. Es gibt Biographien, wissenschaftliche Arbeiten und Romane, in denen genau beschrieben wird, wie einzelne Personen oder ganze Familien durch ihren Kampf um soziale Gerechtigkeit, um politische Anerkennung, Gleichberechtigung, um menschenwiirdige Lebensbedingungen letztendlich sozialistische und kommunistische Positionen beziehen. Diese Protagonisten kommen meist aus dem proletarischen, aber oft auch aus dem kleinbürgerlichen oder sogar aus dem großbürgerlichen Milieu. Ganz selten aber und ganz selten so ausführlich findet sich die Beschreibung einer solchen Entwicklung aus dem bäuerlichen Milieu heraus. Auch das macht dieses Buch so wertvoll. Mitten im Roman ein harter dramaturgischer Schnitt. Wir treffen Rene in einer Gefängniszelle in London. Es ist das Jahr 1967. Der Vietnamkrieg wühlt die Seelen der Jugendlichen auf. Rene nimmt in London an einer Demonstration teil, wird verhaftet und mit anderen ins Gefängnis geworfen. Er lernt die Brutalität britischer Gefängniswächter kennen und unmenschliche Haftbedingungen. Er hat Glück: Quäker, mit denen seine Mutter in der Friedensbewegung aktiv ist, helfen ihm: Es tritt eine „Fee im Bentley“ auf, er kommt frei, muss aber bis zur Gerichtsverhandlung im Land bleiben und wird bei einer katholischen irischen Arbeiterfamilie mit sechs Kindern untergebracht und dort mit ihm bisher unbekanntem Elend konfrontiert: „Er war noch nie in einem Haus, in einer Wohnung, in der die Armut aus allen Kleidern, aus allen Ritzen und Löchern so zum Vorschein kommt, dass es zum Gotterbarmen ist.“ (S. 137) Er unterstützt den Familienvater bei dessen Arbeit. Mit den streng katholischen Familienriten kommt er nur mühsam zurecht. Zurück in Österreich wieder Schule und neue Interessen: Rene sucht den Kontakt zu Schriftstellern, Künstlern, schrägen Figuren am Rande der Gesellschaft. Auf den Stufen des Künstlerhauses trifft er sie, im Cafe Sport; im OK und schließlich auch im berühmten Hawelka, das ihm später zu bürgerlich ist. Der Dichter Hermann Schürrer öffnet Rene einen Zugang zur modernen Lyrik. Rene sitzt mit Joe Berger an einem Tisch, der in seinem Beisein über Literatur sinniert — gleichsam Renes Ritterschlag. Doch dafür bleibt letztendlich wenig Zeit. Die Weltpolitik überschlägt sich: Faschistischer Putsch in Griechenland, Ermordung von B. Ohnesorg, 6-Tage-Krieg. Ermordung Che Guevaras. Tet-Offensive in Vietnam. Rene beteiligt sich an Demonstrationen, am Verteilen von Flugzetteln. Sein letztes Schuljahr. Mai 1968. Revolutionäres Brodeln an den Universitäten. Es reißt ihn hin und her, aber er hält sich an die Worte seines Großvaters: „Mach keinen Fehler. Glaube nicht, dass die nichts wissen. Die haben dich seit London im Visier. Deine politische Arbeit ist jetzt die Schule und dann das Studium.“ Ermordung von Martin Luther King, Paris 1968 und die auch von Rene als Verrat empfundene Haltung der KPF zu den Ereignissen an der Universität. Rene zieht in eine Wohngemeinschaft, seine Studieninteressen tendieren in Richtung Geschichte, Germanistik. Intensive Beschäftigung mit Literatur aber planlos: K. E. Franzos, J. David, A. Petzold, J. Roth, R. Kalmar, dann C. Castaneda, S. Freud, Hegel, Wittgenstein, Nietzsche, O. Weininger, H. Bettauer, W. Reich. Billige Studentenbeisel, eigenartige Gesprache, aber immer mit antifaschistischem Grundkonsens, der wie selbstverständlich vorausgesetzt wird, „Die Dinge, die mit höchstem Ernst und mit Nachdruck bis in die kleinsten Details durchgekaut werden, liegen im persönlichen Bereich, fern von den Problemen der Welt.“ (S. 233). „Die Unterdrückung der Frau steht exemplarisch für jede Form der Repression“ (S. 234) Viele Diskussionen enden in Spitzfindigkeiten, im Nebulösen, oft auch in abgehobenem Aktionismus. Eine Hundescheißaktion gegen den Siegfriedskopf führt Rene mit seinem Freund Leo erfolgreich durch, trotzdem kommen ihm ob der politischen Relevanz solcher Aktionen Zweifel. Wieder ein Schnitt: Rene braucht Geld. Im Sommer arbeitet er als Reiseleiter. Österreich, Italien. Die Reisenden kommen aus Ungarn, er bemüht sich schr um seine Schützlinge, zu denen er ein besonders herzliches Verhältnis aufbaut. Am Ende der Saison in Venedig, im Foyer des Hotels, „stechen ihm die zwei Herren in hellgrauem Anzug mit dunkelgrauen Krawatten sofort ins Auge. Vor allem die klobigen schwarzen Schuhe passen so gar nicht in die elegante venezianische Welt.“ (S. 251). Diese Herren wollen ein berufliches Angebot machen, einen politischen Auftrag. Die beiden sind bestens informiert über Rene, seine Familie, seine politische Einstellung. Vage verbleiben sie bis zur nächsten Saison. Lassen Rene etwas verwirrt zurück. Der Krieg in Indochina wird immer brutaler. My Lai, internationaler VietnamTag (15.4. 1970), Großdemonstration in der Bundeshauptstadt. Rene bleibt gegenüber dem übertriebenen Optimismus mancher Demonstranten bezüglich eines Sieges des Sozialismus skeptisch. Mit Leo unternimmt er eine waghalsige Malaktion an der Votivkirche. In der WG taucht ein Vertreter der RAF mit einer Waffe auf. Er soll in der Bundeshauptstadt mit Hilfe einer bereits bestehenden Wohngemeinschaft eine RAF Zelle aufbauen. Damit kommt er bei den Genossen nicht gut an. Er verschwindet. Ob er mit dem Banküberfall, etwas zu tun hat, bei dem ein Wächter stirbt? Der Roman nimmt noch mehr Tempo August 2022 91