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gehörige eines Landes das von einem faschistischen ‚Brudervolk‘ überfallen wurde, verstehe ich die Deutschen ‚Intellektuellen‘ überhaupt nicht. Interessant fand ich auch bei der Relektüre von Österreicher im Exil: Frankreich die politischen Diskussionen, die ich zur Zeit des Orpheus Trust aus Zeitgründen eher nicht sehr beachtet habe. Auch damals viel geistige Verwirrung! Primavera Driessen Gruber, S’Gravenhage, 8.7.2022 Sehr gut! Eigentlich hatte ich Haslinger, den ich kennenlernte, als er am Writer’s Workshop in Iowa und ich dort noch Geschichtsdozent war (Jahrzehnte her ist das), anders eingeschätzt. Aber er scheint sich in Leipzig recht sehr an den friedensbewegten deutschen Diskurs der “Emma” + co. angepasst zu haben. Oder war er immer schon so, und es hat mich früher weniger gestört? Mitchell Ash, Wien, 8.7.2022 Was leider heutzutage kaum noch als bemerkenswert empfunden wird, ist die Tatsache, dass Leute im Westen, vor allem Angehörige der gemeinhin als “Intellektuelle” gelisteten Personenschar, gerne die Haltung einnehmen, sie selbst wären Partei in einem Konflikt, in dem sich auf der einen Seite “der Westen” und auf der anderen Seite Russland befindet — und die Ukraine wäre ein Objekt, über das sie mit Russland zu verhandeln hätten. Dass dem nicht so ist, dass dies lediglich die Reproduktion imperialistischen Grofsmachtdenkens des friihen 20. Jahrhunderts ist, muss nicht eigens erklärt werden. Es fragt sich aber, was jemand — noch dazu ohne Not — dazu bewegt, so zu agieren. Fakt ist, dass nicht eine einzige dieser Personen bisher auch nur einen einzigen konkreten Vorschlag gemacht hat, wie dieser Krieg beendet werden soll, außer die Ukraine nicht auf jene Art zu unterstützen, wie die Ukraine sie verlangt. Insofern unterscheiden sich diese Leute faktisch genau gar nicht von russischen Politikern, die ja seit 24. Februar auch nichts anderes fordern, als die Unterstützung der Ukraine mit Waffen, Munition etc. endlich einzustellen. Und das ist auch der Grund, warum diese Herrschaften sich niemals an den wenden, der diesen Krieg vom Zaum gebrochen hat und der diesen Krieg führt. ... Es muss bei vielen dieser Personen leider in Frage gestellt werden, dass es die Stimme ihres Gewissens ist, die sie zu solchem Handeln bewegt. Gustav Freudmann, Wien, 8.7.2022 Lieber Konstantin, liebe Leserinnen der Zeitschrift “Zwischenwelt”, in Anbetracht der Verschärfung der Energieprobleme auf der 96 ZWISCHENWELT ganzen Welt sowie der drohenden Hungersnot in Afrika als Folge des des nicht enden wollenden Krieges, der täglich weitere Opfer fordert, erscheint mir der dringende Wunsch nach einer Rückkehr an den Verhandlungstisch eine durchaus vertretbare Haltung zu sein. Wie Haslinger meint, glaube auch ich, dass es nicht nur eine militärische Logik gibt. Eva Schmidt, Wien, 8.87.2022 Darauf antwortete nun Vladimir Vertlib: Liebe Eva Schmidt! Ich kann mit Haslingers putinverstehender bzw. apologetischer Haltung nichts anfangen. Und nein: der Krieg in der Ukraine ist kein Stellvertreterkrieg zwischen Russland und der NATO, sondern ein Vernichtungsfeldzug des Putin-Regimes gegen ein Nachbarland. Schon vor Jahren hatte Putin mehr oder weniger offen verkündet, die Ukraine habe keine Existenzberechtigung. Dieses Land zu zerstören bzw. Russland einzuverleiben, scheint nun seine Lebensaufgabe zu sein. Dies ist eine emotionale und ideologische Aufgabe, die er ohne Rücksicht auf Verluste durchführt. Ob dabei Hunderttausend oder fünf Millionen Menschen umkommen, ist jemandem wie Putin scheifsegal. Es kann mit einem Psychopathen wie Putin aus besagten Gründen keinen “Kompromiss” und keinen Verhandlungsfrieden geben. Im besten Falle heifst es dann, wie nach Minsk II: Nach dem Krieg ist vor dem Krieg. Haslingers Problem wie das vieler anderer ist die Illusion, man könne mit Putin wie mit einem “normalen” Politiker verhandeln und irgendeinen Bargain aushandeln. Das ist nicht der Fall. Genauso wenig wie man mit Hitler Deals aushandeln konnte, um Frieden fir die Welt zu sichern (wir wissen alle, dass das schief gelaufen ist), genauso wenig darf man Putin die Möglichkeit geben, “gesichtswahrend” aus diesem Krieg auszusteigen. Im besten Fall wird er das dazu verwenden, um aufzurüsten und einen neuen Waffengang zu wagen, im schlimmsten Fall wird er das dem Westen als Schwäche auslegen und den Krieg sogar noch ausweiten. Ich finde, wir müssen jetzt geschlossen gegen Putin auftreten und die Ukraine sowie die russische Opposition im Land und im Exil unterstützten. Das einzige Ausstiegsszenario aus diesem Krieg ist realistischerweise ein Sturz des Putin-Regimes und/oder ein militärischer Sieg der Ukraine — was wahrscheinlich ebenfalls zu dem besagten Sturz des Putin-Regimes in Russland führen würde... Vladimir Vertlib, Salzburg, 8.7.2022 Lieber Konstantin, liebe Eva Schmidt, lieber Vladimir, zu dieser Stellungnahme von V. Vertlib passt die Antwort auf den Waffenstillstandsappell deutscher Intellektueller’ von Serhij Zhadan im Feuilleton der ZEIT, 7. Juli 22, S. 51. Reinhold Bichler, Innsbruck, 9.7.2022 Nur gekürzt kann ich vorläufig abschließend die Stellungnahme Marianne Grubers wiedergeben. Ein paar Gedanken zu Haslinger und alle, die seiner Meinung sind. Der einzige Fehler, den der Westen“ gegenüber Putin gemacht hat, ist der, daß auf die Interventionen (euphemistisch gesagt) in Georgien und der Krim mehr als lahm reagiert wurde und all die Politiker, die hätten reagieren können, nicht genug Politiker waren, um zu sehen, was sich da zusammenbraut. Diese Lahmheit war eine Ermutigung Putins zu weiteren Schändlichkeiten. Diese Blindheit hat verhindert, daß man spätestens ab 2014 den Ausstieg aus russischen Öl und Gas hätte vorantreiben müssen. Dazu kam situationsverschärfend Trump in den USA, der offensichtlich an einer Schwächung Europas interessiert war. Alles andere jedoch, was in selbstgeißselnder Form über die Mitschuld anderer Kräfte vorgebracht wurde, hat nichts zu dieser Eskalation beigetragen wie wir sie derzeit erleben, es wurde lediglich als Vorwand von Seiten Putins gut gebraucht und mifsbraucht. Egal, was der „Westen“ geglaubt, gemacht, nicht gemacht hat, hat in meinen Augen mit Putins Vorhaben, die alte Sowjetunion wieder herzustellen nichts zu tun. Eine frühe Grenzziehung hätte vielleicht geholfen, aber auch da bin ich mir nicht sicher. Dennoch meine ich, daß Verhandlungen immer eine Option darstellen. — Verhandeln kann aber man nur, wenn ein verhandlungsbereites Gegenüber gegeben ist. Ich sehe das nicht. Und dann: worüber soll man verhandeln und welche Gegenleistung kann man anbieten? Der Verhandlungsgegenstand miifste der sofortige Rückzug der russischen Truppen sein, als Gegenleistung könnte man keine weitere Verschärfung von Sanktionen anbieten. Sieht irgend jemand das als realisierbar an? Was die Ukraine betriffi, so gab es ja Verträge mit Garantien von Seiten Russlands, sie als souveränen Staat zu achten. Und hat das genützt? Verträge helfen nur dann, wenn alle Vertragspartner willens sind, sie auch einzuhalten. Sind sie das nicht und davon muß man bei der derzeitigen russischen Führung ausgehen, helfen keine noch so gefinkelten Formulierungen.