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Zu dem öfter ausgesprochenen Satz, daß alles besser sei als Krieg eine Frage: Hätte man Hitler nicht den Krieg erklären sollen, weil alles besser als Krieg ist? Und ist es das wirklich? Verschleppungen, Folterungen, Beraubung, Ausplünderung, Ermordungen sind tatsächlich weniger schlimm als Krieg? Oder müfste man nicht den Standpunkt einnehmen, daß all das einen Krieg darstellt, der nicht erklärt wurde? Man muß sich nur die Reaktionen jener Bevölkerungen vor Augen führen, die eine sowjetische Herrschaft erlebt haben, den relativ spärlichen Berichten aus den diversen Gulags zuhören, daß Jahrzehntelang in diesen Ländern Krieg gegen die eigene Bevölkerung geführt wurde. Angesichts dessen muß man den Zusammenbruch der Sowjetunion und Gorbatschow als eine Art Wunder ansehen. Unsere Friedenstauben sind naiv, und gutgläubig (worauf sie allerdings ein Recht haben) wenn sie meinen: die Waffen nieder und alles wird gut. Wenn ein schwerer Soziopath Macht gewinnt, sind niedergelegte Waffen die Ermutigung zu weiteren Schändlichkeiten, so traurig das klingt. Realpolitik darf weder naiv noch gutgläubig sein. Aus dieser Sicht muß man die Ereignisse z.B. in der Ukraine als Attentat auf im Grunde gute Standpunkte und charakterliche gute Gegebenheiten auffassen. Das ist nebenbei ein Psychoverbrechen, das Putin zu allem anderen anzulasten ist. Bleibt nur die Frage, was an der Menschheit so überhaupt nicht stimmt, daß es immer wieder möglich ist, solche Situationen fast aus dem Nichts entstehen zu lassen. Marianne Gruber, Wien, 9.7.2022 Da im Editorial des vorliegenden Heftes ohnehin auf eine irrationalistische Dämonisierung des Krieges eingegangen wird, beziehen sich einige Stellungnahmen der Sache nach schon wieder darauf. Sie sollten daher erst im nächsten Heft von ZW zu Wort kommen. Rein kognitiv würde ich vorschlagen, das Problem “verfehlte” Menschheit ohne Emil Cioran und Konrad Lorenz zu lösen. Ich danke allen, die sich zu Wort gemeldet haben. Das Menschenfreundliche daran ist ja, dass wir hier relativ offen sagen, was wir meinen, statt unsere Meinung wie eine schmutzige Hand hinter dem Rücken zu verstecken. Konstantin Kaiser Klara ist 84 Jahre alt und lebt mit ihrem 32-jährigen Enkel Luis, den sie nach dem frühen Tod ihrer Tochter alleine großgezogen hat, auf einem Hof in einem kleinen Dorf. Der Hof wie Klara selbst spüren ihr zunehmendes Alter, das Bröckeln der Fassade, die Schwerfälligkeit in den Bewegungen, auch wenn Luis bemüht ist, fürsorglich dagegen anzuarbeiten. Das schließt unter Anderem den Austausch der Dachschindeln ein. Als Luis diese eines Tages beim Abtragen krachend in den Hof wirft, hallt ein anderes Echo in Klara wider. Das des Bleis in ihren Knochen, das der Bomben des Zweiten Weltkriegs. 1943 ist Klara 18 Jahre alt, als sie zur „Hirtenbergerin“ wird, voller Stolz, etwas in ihren Augen Sinnvolles, einen wichtigen Beitrag für den Erhalt des Deutschen Reiches leisten zu können: „Vor dem Gesetz war ich gerade noch ein Kind gewesen, aber vor dem Krieg war ich jetzt eine Frau.“ Gemeinsam mit ca. 3.000 anderen Frauen arbeitet Klara in einer der wichtigsten Munitionsfabriken des Reichs, den ,Wilhelm-Gustloff-Werken — Nationalsozialistische Industriestiftung“, einer „arisierten“ Fabrik, die bis zu einer Million Patronen am Tag herstellt, „die treibende Kraft der reichsdeutschen Offensive“, wie die junge Klara festhält. In Hirtenberg findet die Waise Trost nach dem Tod ihres Vaters an der Front, eine Aufgabe und Gemeinschaft, auch wenn die Arbeit in der unterirdischen Fabrik hart und das Essen karg sind. Als am 28. September 1944 schließlich knapp 400 Frauen und Mädchen aus dem KZ Auschwitz zur Zwangsarbeit in das neu errichtete KZ-Außenlager Hirtenberg gebracht werden und Klara, so wie den anderen Frauen in ihrer Arbeitshalle, eine KZ-Inhaftierte zur Einarbeitung zugeteilt wird, beginnt sich ihre anfängliche Haltung („Wir waren hier, um zu arbeiten. Mir ging es gut. Was ging mich der Rest an.“) zu ändern. Das Sprechen während der Arbeit ist zwar verboten, nichtsdestotrotz wächst die um einiges ältere slowakische Jüdin Lujza Majer, die fortan mit ihr Patronen-Zündhütchen stanzt, Klara schnell ans Herz. Als die sowjetische Armee im April 1945 immer näher rückt und die ersten Züge von aus Wien geflüchteten Menschen durch Hirtenberg gehen, kommt der Befehl zur Evakuierung der Fabrik in Hitlers sogenannte „Alpenfestung“. Klara sowie ihre Freundinnen Ingeborg, Liesl und Vera bleiben zurück, mit ihnen Verwirrung, Angst und Unsicherheit, nicht zuletzt darüber, was die zu erwartende Befreiung durch „die Russen“ für sie verheißt. Schließlich wird Klara Zeugin, wie die Inhaftierten des KZ-Außenlagers gezwungen werden, zu einem Todesmarsch in Richtung des 170 km entfernten Mauthausen aufzubrechen — und beschließt im Bruchteil einer Sekunde, ihnen zu folgen. Über all das, auch über den überlebten nachfolgenden Luftangriff, über ihren Versuch, Lujza und anderen zur Flucht zu verhelfen, hat die erwachsene Klara nie gesprochen, jedenfalls nicht mit Luis und auch nicht mit ihrem Nachbarn und Bekannten Horst. Erst als Horsts zwölfjährige Tochter Dora, ihrerseits immer auf der Suche nach klaren Grenzen, zwei Patronen aus Hirtenberg bei Klara im Nachtkästchen findet, fängt Luis an zu fragen und Klara an zu erzählen. Didi Drobna hat sich in ihrem Roman „Was bei uns bleibt“ eines weiteren, quasi unbearbeiteten Stücks österreichischer Geschichte angenommen. Die Hirtenberger Fabrik produzierte, wie in der abschließenden Anmerkung zum Roman zu lesen ist, rund 160 Jahre lang Munition, das Ende des Zweiten Weltkriegs stellte in dieser Geschichte keinen maßgeblichen Einschnitt dar. Erst 2019 wurde die letzte Munitionssparte verkauft. Was im Ort Hirtenberg bis heute fehlt, ist jegliches öffentliche Gedenken an das dortige KZ-Außenlager und die gefangenen Frauen, die meisten von ihnen Jüdinnen oder als „Reichsfeindinnen“ bzw. „Asoziale“ inhaftiert. Auch die unterirdische Fabrik verfällt im Wald um Hirtenberg ohne Hinweis auf ihre Geschichte. Auf der Homepage des Mauthausen Guides ist im Eintrag zum KZ-Außenlager Hirtenberg zu lesen, dass sich eine lokale Initiative des Mauthausen Komitees Österreich in Hirtenberg im Aufbau befindet. „Ich schlief in Stahlhülsen. [...] Die Fabrik war in mein Blut übergegangen.“ Didi Drobna erzählt in „Was bei uns bleibt“ multiperspektivisch: Wir folgen der gealterten Klara, Luis, Horst und Dora in ihre Gedanken, ihre Gefühle und vor allem in ihr jeweiliges Schweigen. Durch die Einblicke, die wir hinter ihr Schweigen bekommen, wird bald deutlich, dass es genau daran krankt. Klara fühlt, dass ihr Tod näher rückt, sie macht sich Sorgen um ihren Enkel, Luis seinerseits macht sich Sorgen um Klaras Verfassung und immer wieder tauAugust 2022 97