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chen bei ihm Fragen zu ihrer Vergangenheit auf. Horst wiederum bietet mit seiner hilfsbereiten, aber stillen, im Hinblick auf seine Tochter fast resignierten Art Dora keinen Halt, den sie, die immer aktiv, immer ungestüm und immer wütend zu sein scheint, so dringend sucht. Zwischen diese Einblicke flicht Drobna aus der Ich-Perspektive Klaras Erleben der letzten Kriegsmonate und -tage ein, was zu einer soghaften, aber nie reißerischen Dramaturgie führt. Dass Drobna dabei erzählerisch auf der Täter*innenseite bleibt und nicht etwa Lujzas Perspektive ebenfalls einnimmt, ist konsequent. Die Autorin erzählt mit großer Sensibilität, sowohl für ihre Figuren als auch für die historischen Umstände und liefert eine differenzierte, merklich präzise recherchierte Erzählung abseits von vereinfachenden Schemata. Die junge Klara begreift manche Umstände in Hirtenberg sehr deutlich, beispielsweise die Rolle des Fabrikleiters („Ich bezweifelte nicht, dass der Fabrikleiter auf uns schaute. Er lehnte vielleicht die NSDAP ab, doch der Krieg war sein Beruf. Der Krieg war sein Leben.“), andere, wie etwa die fundamentalen Unterschiede zwischen der Situation der KZ-Häftlinge und der der Arbeiterinnen, schwanken in Klaras Wahrnehmung. Mal sind Klara diese so grundsätzlichen Unterschiede klar, mal setzt sie ihr Erleben mit dem Lujzas gleich. Genau das ist es, was Drobnas Roman erzählerisch so fein gearbeitet macht: Die Ambivalenz der Figur Klara braucht keinen Fingerzeig, keine Erklärung. Klara wird in Drobnas Roman eben nicht zur Heldin, sondern zu einer exemplarischen Frauenbiografie („Die Partitur meines Lebens: getaktet durch Familie, Arbeit und Glaube.“) So bleibt etwa auch deutlich, dass Klaras Entschluss, den auf dem Todesmarsch befindlichen KZ-Häftlingen, allen voran aber Lujza, zur Flucht verhelfen zu wollen, sich nicht auf politische, sondern auf emotionale, persönliche Beweggründe stützt. Klara ist nicht als ideologische Nationalsozialistin in die Fabrik gegangen, genauso wenig stellt sie sich am Schluss aus ideologischen Gründen gegen die SS. „Was bei uns bleibt“ ist ein wichtiges Plädoyer gegen das Schweigen, eine Erinnerung an das genaue Hinschauen, Katherina Braschel Didi Drobna: Was bei uns bleibt. Roman. München: Piper 2021, 256 S. Euro 20,Nennt man in literarischen Kreisen den Namen Hans Leifhelm, stößt man meist auf Befremden. Ebenso wenig bekannt sind die Pseudonyme Hermann Brinckmeyer und Konrad Overstolz, unter denen Leifhelm publizierte. Kaum jemand kennt heute noch Texte dieses Schriftstellers, die bis weit in die 1960er-Jahre in zahlreichen Anthologien Aufnahme fanden. Zu Lebzeiten hat er nach zwei wirtschaftsgeschichtlichen Monographien drei literarische Bücher veröffentlicht, zwei Lyrikbände und einen Band mit Erzählungen, dazu einen Bildband und ein Wanderbuch. Die Zahl drei hat noch in anderem Zusammenhang Bedeutung. Geboren 1891 in Mönchengladbach in eine kunst- und bildungsferne Familie hat Leifhelm in drei ihn prägenden Ländern gelebt: im Geburtsland Deutschland sowie in seinen Wahlheimaten Österreich und Italien, wo er 1947 in Riva am Gardasee starb. Ihn als europäischen Schriftsteller zu bezeichnen, scheint daher naheliegend. Sein Berufsleben wiederum stützte er auf drei Pfeiler: seinen Brotberuf als ausgebildeter Nationalökonom, der einst in Heidelberg über die Lage der Lohnarbeiter bei den preußisch-hessischen _Staatseisenbahnen dissertiert hatte und später u.a. als Berufsberater und Leiter des Arbeitsamtes in Graz arbeitete, sowie seiner Tätigkeit als Schriftsteller, der Gedichte, Kurzprosa und Essays verfasste, und Vermittler italienischer Literatur durch Übersetzungen ins Deutsche. Eine umfangreiche Auswahl seiner literarischen Arbeiten liegt nun unter dem Titel Hans Leifhelm — An des Abgrunds 98 ZWISCHENWELT schmalem Saume in Buchform vor, zusammengestellt vom Literatur- und Kulturwissenschaftler Ralf Georg Czapla, der sich akribisch in das Werk des Schriftstellers vertieft hat. Der Schwerpunkt seiner Zusammenstellung liegt auf den Gedichten. Aufgenommen wurden die zu Lebzeiten Lyrikbäinde „Hahnenschrei“ und „Gesänge von der Erde“. Auch Leifhelms dritter Band „Lob der Vergänglichkeit“ ist enthalten, an dem der an einer veröffentlichten rasch fortschreitenden neurologischen Erkrankung leidende Dichter bis zuletzt gearbeitet hatte und der erst zwei Jahre nach seinem Tod gedruckt wurde. Zudem hat der Herausgeber zahlreiche verstreut publizierte und etliche unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass ausgegraben und im Kapitel „Unveröffentlichtes und Verstreutes“ zusammengeführt. Vorherrschendes Motiv von Leifhelms Dichtung ist die Natur, sind Erlebnisse, Eindrücke und Empfindungen in Landschaften, insbesondere der steirischen. Eine Zeitgenossin des Dichters erinnerte sich, dass dieser „Wanderbeine“ besessen habe. Er scheint auch das Leben selbst als Wanderschaft begriffen zu haben. Seine ausgedehnten Wanderungen durch Westfalen, das Rheinland, in Österreich, Italien und auf zahlreichen Reisen verdichtete er in meist streng rhythmisierten und gereimten Gedichten. Auffallend ist der oft romantische Gestus, die katholische, „franziskanisch“ geprägte Grundierung und die Ähnlichkeit zum Volksliedhaften, etwa des Gedichts „Sommerlied“ mit leisen Anklängen an Matthias Claudius’ „Der Mond ist aufgegangen“, hier Zitat der ersten Strophe: Kling auf, Musik der Grillen, Lass deine Saiten schrillen Das gläsernhelle Sommerlied, Lass aus den Wiesen steigen Im hohen Junischweigen Den Reigen zwischen Bühl und Ried. Leifhelm ist traditionsbewusst, ahmt gelegentlich Ton und Bildlichkeit anderer Dichter*innen nach. Manchmal sind Anklänge u.a. an Trakl, Rilke und Walt Whitman zu erkennen, auch an Annette von Droste-Hülshoff, etwa im ihr gewidmeten Text „Beschwörung‘, einer Anrufung der Dichterin. Oft thematisiert Leifhelm in seinen Gedichten die Vergänglichkeit des Menschen und der menschlichen Kultur und stellt sie der Ewigkeit der Natur gegenüber. Und er mahnt Achtsamkeit und ökologische Verantwortung des Menschen ein, fordert Zurückhaltung, ein Agieren im Einklang mit der Natur. Anliegen Ralf Georg Czaplas war es, mit dieser Zusammenstellung nicht nur an den Lyriker zu erinnern, sondern auch „den kongenialen Übersetzer italienischer Poesie“ zu würdigen, wovon einige Texte Leifhelms zeugen, etwa seine Übertragung des berühmten Sonnengesangs von Franz von Assisi sowie Nachdichtungen von Giuseppe Ungaretti, Eugenio Montale und anderen. Ergänzt wird das Buch durch eine Auswahl von Prosaarbeiten Leifhelms. Aufgenommen wurden sechs Kurzprosatexte sowie einige seiner „Aufsätze und Essays“.