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Letztere sind in vier Unterkapitel gruppiert und befassen sich mit so unterschiedlichen Themen wie „Kunst und Literatur“, „Nationalökonomie“ und Leifhelms Ansichten „Zur Praxis der Berufsberatung und Arbeitsvermittlung“. Es gibt Würdigungsund Frinnerungstexte, zum Beispiel für den Maler Paul Schmidtbauer, die Autoren Josef Ponten und Heinrich Lersch oder den Unternehmer August Thyssen. Interessant auch sein Text „Steirisches Land - steirische Kunst“, den er zum zehnjährigen Jubiläum der Grazer Sezession, einer Vereinigung der Moderne zugewandter Künstler, zu deren Mitgliedern der schon erwähnte Paul Schmidtbauer und Leifhelm selbst gehörten und die 1938 im Zuge des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich aufgelöst wurde. Im Kapitel „Reise- und Landschaftsbilder“ wiederum sind „Bilder aus Westfalen“ vertreten, aber auch Impressionen zur „Landschaft Österreich“, ein Text, der auf Leifhelms Vortrag „Als Reichsdeutscher in Österreich“ basiert, den Radio Wien im August 1932 sendete. Aus heutiger Sicht besonders bemerkenswert sind einerseits einige seiner im Kapitel „Nationalökonomie“ versammelten Texte, weil Leifhelm es nicht nur versteht, wirtschaftliche Zusammenhänge und Verflechtungen in verständlichen Worten darzulegen, sondern weil manches bis heute Aktualität hat, etwa sein 1922 knapp nach dem Ersten Weltkrieg geschriebener Essay „Der Kampf um das Erdöl“, der 100 Jahre danach nichts an Brisanz verloren hat. Anderseits erstaunt seine Modernität in seinem Metier, der Berufsberatung. So beschäftigte sich Leifhelm mit sozialen Fragen und führte bereits 1927 aus, weshalb er die Ausbildung und die Berufstätigkeit von Frauen für gesellschaftlich erstrebenswert hält. Und er plädiert dafür, der Frage der Begabung, der „Neigung und Eignung“ bei der Berufswahl größeres Augenmerk zu schenken, denn „Lust und Liebe zu der Arbeit, die man sein ganzes Leben lang leisten soll, ist von ungeheurer Wichtigkeit“. Ergänzt wird der Band durch ein Vorwort des Herausgebers, in dem er das Vorgehen Wien hat über Jahrhunderte als Zentrum des habsburgischen Reichs auf sein ganzes Herrschaftsgebiet eine kulturelle Wirkung ausgeübt und viele Vermittler der kulturellen Elite der Kronländer angezogen. Unter ihnen kamen auch aus Ungarn Adelige, Gelchrte, Schriftsteller und Künstler — vorübergehend oder auf Dauer und aus verschiedenen Gründen (wegen ihrer Studien, wegen dem politischen Klima, oder sogar ihrer Verfolgung zu Hause) — nach Wien und prägten die weitere Entwicklung ihrer Heimat maßgebend. Nach der Auflösung der Monarchie im 20. Jahrhundert diente Zufluchtsort ungarische Emigranten, die nach dem Sturz der Räterepublik (an der Macht: 21. März — 1. August 1919) aus politischen Gründen ihre Heimat für eine Zeit verlassen mussten Wien wiederum als für und in Wien bzw. in Österreich Asyl fanden. Das Germanistin, Dozentin an der LorändEötvös-Universität, Kerekes behandelt die Geschichte der ungarischen Buch der arrivierten Budapester Amalia sozialdemokratischen und kommunistischen Emigranten (deren Zusammensetzung in der Wirklichkeit ein breiteres politisches Spektrum umfasste, angefangen von rechtsstehenden Sozialisten bis hin zu teils radikal bzw. linksorientierten Sozialisten) in Wien. bürgerlich gesinnten Personen, Die Zeit in Österreich war in ihrem Leben eine Wartezeit, eine Übergangsperiode, das Land wurde kein endgültiges Heim für sie, manche unter ihnen (wie Bela Baläzs oder György Lukäcs) übersiedelten nach Berlin bzw. in die Sowjetunion, früher oder später kehrten sie aber nach Ungarn zurück. Nach der Skizzierung des Bearbeitungsstandes der Wiener Emigration in der ungarischen Historiografie sowie der Literaturgeschichte Hilfe Archivdokumenten Presse- und lückenhaft erhalten gebliebenen polizeilichen Akten auf wird mit von bzw. den Prozess der Aufnahme der ungarischen Österreich eingegangen. Ende 1919 kann die Zahl — politischen Emigranten in infolge fehlender Registrierung — der sich in Wien aufhaltenden ungarischen Flüchtlinge auf Dreitausend geschätzt werden. Ein Teil von ihnen wurde aber später woanders im Land interniert. Die Internierungswege Mancher führten bisweilen weiter; infolge eigener Umsetzungsbitten wegen des Klimas bzw. Protesten der Einwohner wurden sie weiterhin versetzt. Die Emigranten wurden auch polizeilich überwacht, sogar von der ungarischen Botschaft, ihre Pressetätigkeit streng kontrolliert. Trotz der Überwachungspraktiken war das Festhalten an dem Prinzip des politischen Asylrechts österreichischerseits und der Widerstand gegen die Auslieferungsbegehren seitens Ungarns bis ungefähr 1922 vorhanden. bei der Zusammenstellung und seine behutsamen editorischen Eingriffe darlegt, und ein Nachwort, in dem er biografische Wegmarken mit den Texten in Beziehung setzt. Außerdem ist ein mehr als 100 Seiten messender, mit philologischer Umsicht ausgeführter Teil mit Erläuterungen enthalten, in dem nicht nur die Entstehungszeit jedes Textes sowie Jahr und Ort der Veröffentlichung angegeben sind, sondern auch Wörter und Begriffe erklärt werden, gelegentlich mit Hinweisen auf Zusammenhänge mit der Biografie Leifhelms. Und so ist das vorliegende Buch nicht nur eine Würdigung eines schon fast vergessenen Schriftstellers, sondern lädt ein, Leben und Werk Hans Leifhelms kennenzulernen. Monika Vasik Hans Leifhelm — An des Abgrunds schmalem Saume. Gedichte, Erzählungen und Essays. Hg. von Ralf Georg Czapla. Berlin: Quintus Verlag 2022. 320 S. Euro 30,80 Die Topografien, d. h. die Schauplätze der Emigration, die Gruppenbildungen unter den Emigranten im Barackenleben — wegen den dazu notwendigen materiellen Möglichkeiten aber weniger in den Kaffeehäusern -— werden anhand von Memoiren dargestellt. Im Weiteren werden konkrete Fälle der Pressekontrolle Die der ungarischen Emigranten herausgegebenen dargestellt. Kolportage von Periodika im öffentlichen Raum wurde von der österreichischen Polizei stillschweigend geduldet, jedoch Intervention eingeschränkt. Mit Beispielen nach ungarischer aus dem Notenwechsel zwischen dem österreichischen Bundesministerium für Äußeres und der ungarischen Gesandtschaft wird veranschaulicht, wie die ungarische Regierung die Presse der Emigranten angriff, sich in den Inhalt ihrer Publikationen einzumischen und ihre Presse sogar finanziell zu manipulieren versuchte; die Herausgeber alle ohne Unterschied als Bolschewiken abstempelte und sie der ungarnfeindlichen Propagandaanschuldigte. In der ungarischen Propagandapresse wurden die Flüchtlinge stets als „sog. Emigranten“ bezeichnet, um sie derart noch besser zu verunglimpfen. Einzelne Zeitungsprofile, vor allem die der sich zur Bewahrung und Fortsetzung der Tradition der Moderne verpflichteten, meist kurzlebigen belletristischen Blätter aus der August 2022 99