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Maria-Maya Goyzman Aus dem Englischen von Maria Harpner Der nachstehende Artikel ist von Maria-Maya Goyzman am 1. März 2023 geschrieben worden und war der erste große Bericht der russischen Menschenrechtsorganisation OVD-Info über die 13jahrige Mascha und ihren Vater Alexej Moskalhjew.' Inzwischen berichtete das russische Exilmedium Meduza mit Sitz in Riga: Alexej Moskahjew wurde festgenommen und unter Hausarrest gestellt. Er konnte flüchten. Am 28. März wurde er in Abwesenheit zu zwei Jahren Haft verurteilt.” Frauen im Saal klatschten ob seiner Abwesenheit. An diesem Tag gelang es Mascha, dem Anwalt ihres Vaters, Dmitry Zakhvatov, einen Brief für ihren Papa zukommen zu lassen. Der Brief, dem sie eine Antikriegszeichnung beigefügt hat, ist überaus berührend, ein Zeugnis großer Resilienz. Meduza übersetzte ihn ins Englische und publizierte ihn am 30. März 2023.’ Im Interview mit Meduza am 31.3.2023 sagte Dmitry Zakhvatov, sein Mandant habe durch seine Flucht versucht, „einem faschistischen Gesetz“ zu entkommen.‘ OVD-Info versucht mit Hilfe der Medien im Westen, Beistand und Hilfe für Vater und Kind zu organisieren. Im Februar 2023 hatte die Menschenrechtsorganisation einen umfassenden Bericht über ein Jahr Repressionen gegen Antikriegsproteste in Russland publiziert. Die Repressionen führten zu einer Veränderung der Proteste, aber: es werden Formen gefunden werden, die „Atomisierung der Gesellschaft zu überwinden“ Alexej Moskaljew ist am 29. März 2023 in Minsk in Belarus festgenommen worden. Er ist ergraut und wirkt um zehn Jahre älter. Mascha befindet sich in einem Waisenhaus unbekannten Ortes. Sonja Pleßl 1. Marz 2023 Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit dem „Spectr“-Online Magazin. „Alexej Vladimirowich, FSB-Beamte haben Ihre Tochter mitgenommen.“ Viel weiß man nicht über die Schule Nr.9 in der Kleinstadt Jefremow in der Region Tula, im europäischen Teil Russlands, nicht weit von Moskau. Auf der Webseite der Schule findet sich ein großes Popup direkt vor dem Foto der Lehrkräfte, auf dem zu lesen ist: „Helden der militärischen Spezialoperation“, gleich danach ein Banner der Gesamtrussischen Volksfront® mit dem Slogan: „Unterstützt unsere Burschen an der Front!“ Die Schule hat Kadettenklassen, in denen Polizeitraining abgehalten wird. Es existieren etliche Videos von Erst- und Fünftklässlern, die ihren Eid ablegen. Die Kinder tragen Uniform, stellen sich auf Befehl in einer Reihe auf und schwören, sich „selbstlos und ohne Furcht für den Dienst am Vaterland zu rüsten.“ Am 13. Dezember 2022 veranstaltete die Schule ein großes Event „zur Unterstützung der militärischen Spezialoperation“ unter dem Titel: „Für Frieden, für Russland, für den Präsidenten“ (russisch: Za mup, Za Poccnio, Za npesmacHra) in Bezug auf das Z, das zum Symbol für die Invasion der Ukraine geworden ist. Ehrengast der Veranstaltung: Der städtischde Polizeichef Andrej Nikolaewich Aksjonow. 6 _ZWISCHENWELT Mascha Moskaljewa war bis zum Frühling 2022 eine gewöhnliche 12jährige Schülerin. Ihre Mutter wohnte in einer anderen Stadt, seit Mascha drei Jahre alt war, ihr Vater Alexej, 54 Jahre, zog sie alleine groß. Er verdiente sein Geld mit einer Geflügelzucht und besaß einen kleinen Bauernhof. Im April 2022 bekamen die Kinder im Zeichenunterricht den Auftrag, ein Bild zur Unterstützung der russischen Truppen in der Ukraine zu zeichnen. Mascha zeichnete die russische und ukrainische Flagge. Sie schrieb auf die russische Flagge „Nein zum Krieg“, auf die ukrainische Flagge „Ruhm der Ukraine“. In die Mitte zeichnete sie eine Frau mit einem Kind, auf die von russischer Seite Raketen zufliegen. „Danach ging es los“, erzählt Alexej. „Die Lehrerin lief zur Direktorin, die daraufhin die Polizei rief. Die Zeichenlehrerin hatte meiner Tochter bereits gedroht. Mascha verstand also, was los war, als die Polizei kam und nach Vornamen und Familiennamen fragte. Sie schaffte es, wegzukommen, indem sie den Namen von jemand anderem angab. Außer Atem kam sie zu Hause an und erzählte mir, dass man sie wegen ihres Bildes fast festgenommen hätte. Sie hatte große Angst und ich versprach ihr, am nächsten Tag mit ihr zur Schule zu kommen und auf sie bis zum Unterrichtsende zu warten.“ Alexej ging am nächsten Tag mit seiner Tochter zur Schule und wartete dort. Nach etwa zwei Stunden kam die Direktorin in die Aula, sah ihn und rief umgehend die Polizei. Diesmal kam die Polizei mit Beamten des Kinder- und Jugendschutzes. Mascha wurde aus der Klasse geholt, ihre Zeichnung Alexej gezeigt. „Eine Schande, das Kind aus der Klasse zu holen und wie eine Verbrecherin abzuführen!“, sagt Alexej wütend. „Dann fingen sie an: ‚Schauen Sie, was Sie Ihrem Kind beigebracht haben! Sehen Sie, was sie gezeichnet hat!‘ Ich antwortete: ‚Was ist daran so besonders? Sie ist gegen Krieg, gegen Blutvergießen. Was ist daran falsch?‘ Sie erstellten einen Bericht und ließen die Lehrer als Zeugen unterschreiben. Die SchülerInnen beobachteten von den Fenstern aus, wie sie uns zum Polizeiauto abführten, wie Terroristen. Wir wurden zum Polizeichef Andrej Aksjonow gebracht. Der belehrte mich über meine ‚schlechte Erziehung‘.“ Gegenüber OVD-Info gab Andrej Aksjonow nur eine kurze Stellungnahme ab: „Falls ihr Moskaljews Interessen vertreten wollt, solltet ihr das nicht. Der Mann lebt im falschen Kontext. Diese Person lebt nicht nach den Grundsätzen der öffentlichen Ordnung, im Gegenteil, er stellt sich gegen sie. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“ Während Alexej vom Polizeichef einvernommen wurde, wartete Mascha in einem anderen Zimmer des Polizeikommissariats. Die Polizei fand auf Alexejs Social Media Seiten Karikaturen von Vladimir Putin und Kommentare zur Unterstützung der Ukraine. Ein Protokoll wurde aufgesetzt zu „Öffentliche Aktionen zur Herabwürdigung des Russische Armee“ (Verstoß gegen Teil 1 von Artikel 20.3.3. des Verwaltungsstrafgesetzbuchs). Noch am selben Tag fand die Verhandlung statt. Für seinen Kommentar „Das russische Militär (ist der) Vergewaltiger unter uns“ im sozialen Netzwerk „Odnoklassniki“ wurde Alexej zu einer Strafe von 32.000 Rubel (knapp 500 Euro) verurteilt.