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Verteidigungsministerium unabhängige Quellen zu informieren und die Dinge beim Namen zu nennen. Erst um 21 Uhr konnte Alexej gehen, er bekam eine Vorladung für den 9. Jänner. Sie gaben ihm den Reisepass zurück und versicherten ihm, dass er am nächsten Tag um elf Uhr alle sichergestellten Dinge zurückbekäme, auch die Geburtsurkunde seiner Tochter, und sie danach gemeinsam seine Tochter abholen würden. Am nächsten Morgen kam niemand. Alexej fuhr alleine zum Waisenhaus. Er konnte Mascha mitnehmen, da sie in seinem Reisepass eingetragen war. Mascha erzählte, man habe sie gut behandelt und ihr sogar ein Neujahrsgeschenk überreicht. „Wir sind keine Verbrecher, wir haben niemanden umgebracht.“ Alexej hatte einen kleinen Zoo besessen: Pfaue, Fasane, wilde Enten, Truthähne, Hühner. Er musste sie alle weggeben, als er mit Mascha überstürzt von Jefremow wegzog. „Ich versuche Mascha abzulenken. Sie verbringt jetzt Zeit mit den Kindern von AktivistInnen, die uns unterstützen. Sie haben sich angefreundet, spielen zusammen, besuchen eine Pferdefarm. Gestern schlug ich ihr vor, zum örtlichen Kulturzentrum zu gehen und sich vielleicht für einige Aktivitäten einzuschreiben. Wir sind keine Verbrecher. Wir haben niemanden überfallen, niedergestochen oder umgebracht. Sie vermisst ihre Tiere und will wieder nach Hause. Das alles ist wirklich schwer für uns“, sagt Alexej. Ihm drohen bis zu drei Jahre Haft. Falls er verurteilt wird, kann er nach Artikel 82 des Strafgesetzbuches auf Vollzugsaufschub plädieren, bis Mascha 14 Jahre alt ist. „Doch falls die Strafverfolgungsbehörde stur ist (und unser Justizsystem wird oft von solchen Beamten geleitet), kann der Mann verhaftet und das Mädchen in ein Waisenhaus gebracht werden“, sagt der Anwalt. Dies ist nicht das erste Mal seit Beginn des Krieges, dass ein Schulkind behördlich verfolgt wird, weil es die „Militärische Spezialoperation“ nicht befürwortet. Unseren Daten zufolge waren acht der im Jahr 2022 wegen Anti-Kriegs-Gesinnung strafrechtlich Verfolgten bei Verfahrensbeginn minderjährig. Keine Statistik zeigt allerdings, wie viele Kinder gemobbt oder schikaniert werden, weil sie der politischen Agenda der Regierung nicht zustimmen. Im März letzten Jahres erschien die Polizei bei Kirill, einem Sechstklässler in Moskau. Laut dem Buben sagte der Geschichtslehrer am 4. März, dass „die Ukraine von Nationalismus angetrieben sei, schon in der ersten Klasse lernen sie, dass die Ukraine eine Supermacht ist... „. Kirill fragte, warum hat „Putin den Krieg begonnen, wann wird er enden?” Nach dem Unterricht rief der Bub am Gang „Ruhm der Ukraine!“ Daraufhin wurde Kirills Mutter zu einem Gespräch mit dem Bewährungshelfer für Jugendliche in die Schule beordert. Als der Bub alleine zu Hause war, klopfte die Polizei an der Tür. Er antwortete nicht. Die Polizisten schalteten den Strom ab und schoben eine Vorladung unter der Tür durch. Im Oktober wurden die Fünftklässlerin Varja Zholiker und ihre Mutter wegen eines Avatars, der „St. Javelin“ darstellt, auf die Polizeistation gebracht. Die Kommission für Jugendangelegenheiten setzte die Familie aufihre Beobachtungsliste. Jelena Zholiker, Varjas Mutter, wurde der mangelhaften Erfüllung elterlicher Pflichten für schuldig befunden. Ihre Tochter hatte nicht nur die „wichtigen Gespräche“ (wenn Patriotismus, Familienwerte etc. unterrichtet werden) versäumt und ein pro-ukrainisches Profilbild, die Kommission hatte auch ein Problem mit einer angeblich von Varja geposteten Umfrage mit dem Titel „Auf welcher Seite stehst 8 _ ZWISCHENWELT du?“ mit Wahlmöglichkeiten wie „Putin ermordet Ukrainer“ / „Frieden“. Jelena bestritt, dass ihre Tocher die Umfrage gepostet habe. Es stellte sich heraus, dass die Direktion das Mädchen bei den Behörden gemeldet hatte. Im selben Monat wurde Timofej aus Jekatarinenburg wegen eines Antikriegsbriefes gemobbt.* In einer Russisch-Stunde sollten die Kinder einen ,,Brief an einen Soldaten“ schreiben, der an die Front gesendet werde. Die Lehrerin versicherte, dass niemand in der Schule die Briefe lesen würde. „Ich schrieb, töte keine Menschen in einem fremden Land. Es ist besser zu sterben, als so zu leben“, erzählt Timofej. Er ist der Sohn der Aktivistin Nadeschda Saifutdinowa aus Jekaterinenburg. Timofej wurde von der Lehrerin gefragt, warum er im Brief „kein Krieg“ geschrieben habe. Das sei seine Meinung, antwortete er. Darauf die Lehrerin: „Das ist nur deine Meinung und nach der hat dich niemand gefragt!“ , erzählt der Bub. Im Mai sagte ein Mädchen in einer Schule in Dagestan, das kurz vor dem Abschluss stand: „Freiheit für die Ukraine! Putin ist der Teufel!“ Jemand nahm es mit dem Handy auf, das Video ging viral. Das Mädchen erinnert sich, dass niemand in der Schule hinter ihr stand. Sie musste sich vor der Kamera entschuldigen. Jetzt steht sie auf der Beobachtungsliste der Polizei. Anmerkungen: 1 Maria-Maya Goyzman: The father — to jail, his daughter — orphanage. OVD-Info, 1.3.2023 auf: https://en.ovdinfo.org/father-jail-his-daughterorphanage 2 Ihe Moskalevs’ story. OVD-Info, 3.4.2023 auf: https://en.ovdinfo.org/ moskalevs-story 3 Dmitry Zakhvatov: ‘Everything will be okay, and we'll be together’. Meduza, 30.3.2023 auf: https://meduza.io/en/feature/2023/03/30/everything-willbe-okay-and-we-ll-be-together 4 “He was saving himself from a fascist law’. Meduza, 31.3.2023: https:// meduza.io/en/feature/2023/03/31/he-was-saving-himself-from-a-fascist-law 5 Summary of Russian wartime repression. One year since the full-scale invasion. OVD-Info, Febr.2023 auf: https://en.ovdinfo.org/summary-russianwartime-repression-one-year-full-scale-invasion# 10 6 Auch: Allrussische Nationale Front oder Allrussische Volksfront, gegründet 2011 von Putin, besteht aus mehr als 2000 Organisationen, darunter »Die Freiheit der Wahl", das ist eine Interessensvertretung von Autofahrern. Anm. d. Red. 7 In Russland sind drei Namen üblich, Vorname, Vatersname, Familienname. Anm. d. Red. 8 12.10.2022, https://www.youtube.com/watch?v=esABnwj0d0g