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habe, und dass zwei unserer Gruppe gefasst und mit kurdischen Müttern zusammen im Gefängnis gelandet sind Aber heute ist alles anders? Heute ist überhaupt alles anders, sprich, anders zu schen, so auch der Status einer Institution: Kemal Mustafa Pasha, Ata, Vater der Türken, der die Türkei gerettet hat. Und dem Sultan Recep Tayyip Erdogan den Rang ablaufen will, dem Vorbild/Feindbild ablaufen will und muss, indem er dem Freidenker? Atatürk entgegen seine islamischen Traditionen predigt und seine Befehle ins Mikro plärrt, nicht nur den Türken: Auslieferung der Terroristen!, plärrt er den Schweden entgegen, dann mein Ja zum Nato-Beitritt! Freilich sind diese Terroristen zum Teil auch geflüchtete Journalisten, die kritisch berichtet haben. Mit dieser Herangehensweise hat sich nun Erdogan schon über eine Million Oppositioneller zu Terroristen gemacht. Und auch Can Dündar, Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet bis 2016, steht auf der Terrorliste, es gibt einen Steckbrief. Der Retter: Mustafa Kemal, geboren in Saloniki (osmanisch) Offiziersausbildung und wegen seiner strategischen Begabung der Vollkommene genannt, schließt sich dem Jungtürkischen Kader an. Nach der Entmachtung der durch Jahrhunderte absolutistisch herrschenden Sultanei - und noch während des Krieges, wobei Türken und Armenier an deutscher Seite kämpfen, beginnen 1915 in Istanbul erste Verhaftungswellen gegen armenische Intellektuelle und gehen unter Enver Pasa und Mustafa Kemal mit Tod und Vertreibung einher. Die Armenier Anatoliens werden in die Wiiste geschickt: Deir ez Zor bedeutet Tod und Sterben fiir geschätzte 1,5 Mio. Armenier und andere christliche Gruppen. Schon als Jugendlicher hegte also der Stratege Kemal starke Nationalgefühle für die Türken, angesichts zahlloser Krisen drängt es ihn, Ordnung zu schaffen. Nun soll der Vielvölkerstaat per Vertrag von Sevres zerschlagen werden. Während dieser Wirrnisse schielen die Alliierten längst gierig nach eigenen Gebieten; ein Teilen und Feilschen: wichtige Regionen im Osten und Süden und an der Westküste sollten vereinnahmt werden. Die Italiener verlangt es nach der schönen Küste um Alanya/Antalya. Die Griechen fordern ihre besiedelten Gebiete zurück, man erinnere, dass auch sie (1,2 Mio.) ab 1919 gehen mussten. Nun setzen sie ein Invasionsheer ein. Anatolische und syrische Gebiete sollten unter ein britisch-französisches Protektorat kommen. Mustafa Kemal ruft zum Widerstand auf. Aus verunsicherten Bauern, Partisanen und Kurden stellt er in Ostanatolien seine Nationalarmee auf. Um die Kurden zu motivieren, nennt er sie Brüder und sagt ihnen für danach einen eigenen Staat zu. Kemal geht siegreich gegen die Briten hervor: die Besetzung der Dardanellen wird zerschlagen. Er bleibt siegreich gegen die Griechen, die Franzosen geben klein bei. Den Vertrag von Sevres wird er anfechten. Der von Lausanne bringt 1923 die Anerkennung Kleinasiens in heutigen Grenzen als türkischer Nationalstaat (Grenzen, die derzeit Erdogan, etlicher Inseln wegen, anfıcht). Die Kurden wird Ata vergessen und verraten. Es kommt zu keiner Einigung, es kommt zur Zersplitterung Kurdistans. Ein Unrecht, ein fortgesetztes Trauma. Ata hat Wichtigeres zu tun, Reformen stehen ins Haus. Kalifat & Sultanei liegen ad acta, klerikaler Grundbesitz ist enteignet, Koranschulen, der Harem, die Vielehe sind verboten, sogar die Kopfbedeckung der Manner, der Fez. Ata erkennt die Frau als Rechtsperson an und rat ihr, den Schleier abzulegen: ,,Lassen wir sie der Welt ihre Gesichter zeigen! Lassen wir sie die Welt sorgfaltig prüfen!“ predigt er dem widerständigen Männer-Klientel, um der Frau das Wahlrecht zu gegeben. Nachdem er am siebten Tag ruhte, zettelt er fast eine Kulturrevolution an: Dem Griechen, wie er auch genannt wird, missfällt, dass seine Türken die Schrift von der falschen Seite angehen, quasi, von hinten. Er verwirft die auf arabischen Schriftzeichen beruhende osmanische Schrift, die Schrift der Kanzleisprache, zugunsten der lateinischen: eine neue Sprache muss her, eine Kommission wird eingesetzt, ein lateinisches Alphabet wird geschmiedet: Türkisch. Eine „Sonnensprache“, sagt Atatürk. Einem so alten Volk die Schrift nehmen und dazu die Sprache, und das ohne Auflehnung, fragte ich einen Türken. „War nicht so arg“, meinte dieser: „Die meisten Anatolier waren damals ohnehin Analphabeten!“ Auch der Hauptstadtwechsel von Istanbul nach Ankara geht auf Ata zurück. Sein Mausoleum: ein griechischer Tempel. Und das „Museum für anatolische Zivilisation“, ursprünglich von ihm als Hethiter-Museum gedacht: Ein Muss für jeden Türkeibesucher! Hier liegen die Epochen ab Catalhöyük, 8.000 v. Chr., gereiht. Und es geht weiter zurück, um neueste Grabungsstätten im anatolischen Süden nicht zu vergessen: Seyburc Cami, Gobekli Tepe, geschätzte 12.000 Jahre. Hier geht es in die Tiefen der Menschheit zurück. Und was bedeuten nun die geplanten Feiern: „Hundert Jahre Republik Türkei.“ Und was die von Erdogan absichtlich vorverlegten Wahlen? Was bedeutet es heute, dass Ata dieses Land gerettet und nach westlichen Vorbildern geprägt hat? Fragen, die sich heute noch stellen? Angesichts des verheerenden Erdbebens in den Grenzregionen im Osten? Angesichts der elenden Situation der zwischen Trümmern bei Minusgraden ausharrenden Überlebenden, im Hoffen, dass das Kind lebend aus dem Schutt gezogen wird, dies im Wissen, dass Sultan Erdogan nach einer Stippvisite in seinen fünf Fußballfelder großen Traumpalast mit 1.000 Zimmern (280 Mio. Euro) nach Ankara heimgekehrt ist, in seinen gesetzeswidrig auf dem Atatürk-Forest errichteten Palast - auch das ein posthumes Kompliment für Ara: „Der Staat bin ich!“, plärrte er 2016. Ein weiterer Prunkbau mit 300 Zimmern steht seit 2019 in Istanbul und ein weiterer am Van-See. Also vorübergehend Platz genug für die verzweifelten Erdbebenopfer, die überlebt haben? Über die Zahl der Toten soll und kann hier nichts gesagt werden. Notiz Neues zu Lore Segal Lore Segal, Theodor-Kramer-Preisträgerin des Jahres 2018, feierte kürzlich ihren 95. Geburtstag. Sie wird nun Mitglied der Amerikanischen Akademie für Literatur und Kunst. Die im Mai stattfindende Zeremonie wird von einer Grundsatzrede des ukrainischen Schriftstellers Andrij Kurkov begleitet. Segals neuestes Buch „Ladies, Lunch and Tiger Stories“ ist seit März 2023 erhältlich, demnächst auch in der deutschen Übersetzung von Karin Hanta, die auch eine Lore-Segal-Ausstellung in Wien vorbereitet. Für eine Autorin, die als Flüchtling aus Wien in die USA gelangte, ist diese Akademie-Mitgliedschaft außerordentlich bedeutsam. Kurkov seinerseits erhält den Ehrenpreis für Ausländische Literatur, der 1929 eingeführt wurde, um jedes Jahr fünf Menschen aus Kunst, Literatur, Architektur und Komposition zu ehren. MAI2023 15