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Ursula Berner Der Kampf um Straßen- bzw. Ortsbezeichnungen gilt manchen als rein symbolische Politik und wird dementsprechend gern ein wenig belächelt. Tatsächlich ist aber eine Verankerung eines Namens und damit auch einer Person mittels „Straßennamen“ im öffentlichen Raum auch eine fixe Verankerung dieser Person und ihrer Handlungen im kollektiven Gedächtnis einer Stadt und ihrer Bewohner:innen. Wer hier vorkommt, für den/die hat sich „die Stadt“ bzw. einzelne engagierte Bürger:innen eingesetzt, der/die wurde als „wichtige und geschichts-relevante Persönlichkeit“ ofliziell anerkannt. Umso irritierender ist es daher, wenn nur 11% dieser Straßen- und Ortsbezeichnungen in Wien Frauen gewidmet sind. Daher setzen sich die Grünen seit 20 Jahren dafür ein, dieses Missverhältnis in naher Zukunft möglichst aufzulösen, indem neue Ortsbezeichnungen vor allem historisch relevanten Frauen gewidmet werden. Wie schwierig das sein kann, zeigt nicht zuletzt der lange Weg zu einer Benennung nach der Historikerin Erika Weinzierl. Nachdem Erika Weinzierl, die „Grande Dame“ der österreichischen Zeitgeschichte, 2014 verstorben war, hatte es in Wien bis 2020 keinerlei Bestrebungen gegeben, ihr mittels Benennung einer Verkehrsfläche oder einer Institution jene Ehre zu erweisen, die ihr zweifellos zukam. Erika Weinzierl hatte sich schon im Nationalsozialismus einer studentischen Widerstandsgruppe angeschlossen. Später war sie eine der Pionier:innen, die die österreichische Geschichtswissenschaft für die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus öffneten, wofür sie damals mit zahlreichen Anfeindungen konfrontiert war. Sie wurde 1969 erste weibliche ordentliche Professorin für österreichische Geschichte und war auf lange Zeit die einzige Geschichtsordinaria in Österreich. Sie gründete und leitete das Ludwig-Boltzmann Institut für Geschichte der Gesellschaftswissenschaften in Salzburg. Als engagierte Demokratin und überzeugte Österreicherin war Erika Weinzierl Zeit ihres Lebens eine kritische Analytikerin der autoritären und faschistischen Vergangenheit Deutschlands und Österreichs sowie anderer totalitärer Regime während des Kalten Krieges, und aktive Unterstützerin tschechischer und slowakischer Oppositioneller bis 1989. Inhaltlich hat sie trotz ihrer tiefen Verbindung zur Katholischen Kirche in ihrer Jugend 1970 die bahnbrechende „Judenerklärung der Wiener Diözesansynode“ erarbeitet, die erstmals den Antisemitismus im Katholizismus entschieden verurteilte. Als Historikerin öffnete sie die Geschichtswissenschaften dafür, auch im eigene Fach die Zeit des Nationalsozialismus und seinen Nachwirkungen aufzuarbeiten. „Sie war mutig, sie hat die Dinge beim Namen genannt und sie hat wesentlich dazu beigetragen, dass unser Bild des Nationalsozialismus der Wahrheit näher gerückt wurde. Sie war im wissenschaftlichen Sinn unbestechlich“, erinnerte sich der damalige Bundespräsident Heinz Fischer bei ihrer Beisetzung. Und dennoch war es nur schwer möglich, den Namen dieser verdienstvollen Historikerin der 2. Republik im öffentlichen Raum einzuschreiben. 20 ZWISCHENWELT 2021 engagierten sich die Grünen im 6. Wiener Bezirk, Mariahilf, das Andenken ihrer ehemaligen Bezirksbewohnerin in Form einer Straßenbezeichnung in der Stadt zu verankern. Nachdem die Historikerin im humanistischen Gymnasium Rahlgasse maturiert hatte, stellten sie im Bezirksparlament den Antrag auf die Benennung der bisher unbenannten „Stiege nächst der Rahlgasse“ in „Erika Weinzierl-Stiege“. Der Grüne Antrag auf Benennung in Erika-Weinzierl-Stiege wurde aber von SPO, OVP, Neos und FPO mehrheitlich abgelehnt. Die Ablehnung im Bezirksparlament erregte wenig 6ffentliches Aufsehen, lediglich die Bezirkszeitung berichtete, und die Griinen machten eine Presseaussendung. Dennoch erreichte die Geschichte auch die Theodor Kramer Gesellschaft und Konstantin Kaiser, der im losen Kontakt zu Ulrich Weinzierl stand. Unabhängig von den Grünen richtete auch der Vorstand der Theodor Kramer Gesellschaft einen Brief an den Bürgermeister mit der Bitte, um eine Anerkennung der Leistungen dieser wichtigen Historikerin für Österreich durch eine Straßen- oder Ortsbenennung in Wien, sinnvoller Weise in dem Bezirk, wo sie geboren wurde, zur Schule ging und lange gelebt hat, in Mariahilf. Die Stiege blieb weiter unbenannt. Aber etwa ein Jahr später, erinnerte man sich im Zuge des Umbaus des Loquai-Platzes, dass Ferdinand Loquai, ehemaliger Bezirksvorsteher Mariahilfs (1886 - 1890), Vertreter der Antisemiten-Partei war und daher als Namensgeber für einen Platz neben dem zerstörten Schmalzhoftempel nicht (mehr) zeitgemäß. Erneut entbrannte die Debatte, ob dieser zentrale Platz bzw. Park nicht ein Ort für Erika Weinzierl werden könnte. Letztendlich entschied sich der Bezirksvorsteher, den Park dem Andenken des in der Pogromnacht 1938 zerstörten Tempels Schmalzhofgasse zu widmen, an dessen Stelle heute ein Senior:innenhaus der Stadt Wien steht. Auf Drängen der Grünen wurde schließlich doch ein Platz für Erika Weinzierl gefunden: Der Platz direkt an der Mariahilferstraße, vor der Mariahilfer Kirche, wo in Zukunft der Ausgang der neuen U2/U3-Station sein wird, soll in Zukunft Erika Weinzierl Platz heißen. Zwar wurde der Beschluss zur Benennung schon im November 2022 gefällt, die Tafel für Erika Weinzierl ebenso wie die feierliche Einweihung des neuen Platzes wird aber erst im Juni 2023 stattfinden. PS: Die Weinzierlgasse in Wien-Penzing ist nicht Erika Weinzierl gewidmet, sondern Max Ritter von Weinzierl, der als Chordirigent im Raimundtheater und Leiter der Wiener Singakademie 1884 — 1898 tätig war. - Erika Weinzierl war nicht nur langjähriges Mitglied, sondern auch Ehrenmitglied der Theodor Kramer Gesellschaft.