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Christian Klösch Irene Harand — Die Frau, die Hitler den Kampf ansagte. Seit wenigen Monaten ist die „Marathonlesung - Irene Harand - Sein Kampf“ online auf youtube zu sehen.! Der Verleger und Publizist Franz Richard Reiter mobilisierte 100 Prominente zu einer zwölfstündigen Lesung aus Irene Harands wiederaufgelegtem Buch „Sein Kampf. Antwort an Hitler”. Durch die online Veröffentlichung dieser 2005 statigefundenen Veranstaltung wird wieder auf die Leistung einer mutigen Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus aufmerksam gemacht, die einer breiteren Öffentlichkeit noch immer zu wenig bekannt ist.? Irene Harand (1900 - 1975) war eine der markantesten Kämpferinnen gegen den Antisemitismus in Europa in den 1930er Jahren. Sie wurde am 5. September 1900 in Wien geboren. Ihr Vater Franz Wedl, aufgewachsen in Mähren in einer katholischen Familie, betrieb seit 1895 ein Atelier für Anstreicherarbeiten in der Wiener Favoritenstraße 42.* Ihre Mutter Sophie Markely stammte aus einer protestantischen Familie aus Siebenbürgen, verstarb aber bereits 1921. Von ihr, so erzählte sie später, lernte sie religiöse Toleranz. Mitte der 1920er Jahre traf sie auf der Suche nach einem Anwalt auf Moriz Zalman (1882 - 1940) und lernte dessen Engagement für die durch die Inflationsjahre verarmten Kleinrentner schätzen. 1930 gründeten beide die „Österreichische Volkspartei“ (ÖVP). Bei den Nationalratswahlen im gleichen Jahr erreichte sie österreichweit aber nur 15.000 Stimmen. Im Flugschrift der „Desterreichischen Volkspartei” so! Ea RR ERLERNTE SEE Die Wahrheit tiber den Pan tis essitiarus von IRENE |HARAND, Hauptmannsgattin und Obm.s$tellv. d. „Oesterr. Volkspartei“ Preis 20 Öroschen Bi Der Reinertrag fällt zur Gänze dem Kampfionds di „Oesterrelchischen Volkspartei“ zu x = [8 Flugblatt 22 _ ZWISCHENWELT Frühjahr 1933 gab die ÖVP noch die Flugschrift „So oder so“ heraus, die sich ganz dem Kampf gegen den Nationalsozialismus und dem Antisemitismus widmete. Darin hieß es: Wer an die Qualen und Leiden denkt, die unschuldige Menschen nur deshalb erleiden müssen, weil einige Politiker zu Macht und Ansehen gelangen wollen, wer den Schmerz der jüdischen Mütter mitempfinden, wer den Jammer der jüdischen Greise, der Witwen und Kinder, die der verhetzien Menge zum Opfer fallen würden, mitfühlen kann, der wird sich von einer Bewegung abwenden, die solche entsetzliche Folgen bewusst herbeiführen will. Bereits 1933 erahnten sie und ihre Mitstreiter, in welche Katastrophe der von den Nationalsozialisten geschürte Rassenhass führen sollte. Bis 1938 kämpfte sie in Österreich und bei Vortragsreisen in Europa mit ganzer Kraft gegen den sich ausbreitenden Nationalsozialismus an. Im März 1933 schaltete die „Christlichsoziale Partei“ das Parlament aus und etablierte den autoritären austro-faschistischen Ständestaat. Schritt für Schritt baute Engelbert Dollfuss die Gesellschaft im autoritären Sinne um und verbot nacheinander alle politischen Parteien. Zalman und Harand sahen nun auch die Gefahr, dass ihre „Österreichische Volkspartei“ verboten werden könnte, so beschlossen sie die Partei in eine Organisation nach dem Vereinsgesetz umzuwandeln. Im Herbst 1933 gründeten sie die „Harandbewegung — Weltbewegung gegen Rassenhass und Menschennot“. Dabei übernahmen sie die beiden wichtigsten Forderungen der alten Volkspartei: Den Kampf gegen den Antisemitismus und den Kampf für soziale Gerechtigkeit. Bewusst positionierte sich die „Harandbewegung“ als Antithese zur NSDAP - Hitlerbewegung: An ihrer Spitze stand eine Frau, der Kampf gegen Rassenhass und Antisemitismus stand im Zentrum und im Gegensatz zur NSDAP war sie von Anfang an international ausgerichtet und suchte über den Kontakt zu Gleichgesinnten in Europa, dem Nahen Osten und in den USA eine internationale Organisation aufzubauen, die zumindest 30.000 Mitglieder weltweit umfasste. „Sein Kampf — Antwort an Hitler“ Als Reaktion und Gegenthese zu Adolf Hitlers 1923 verfasstem Pamphlet „Mein Kampf“ veröffentlichte Irene Harand 1935 als dessen Antithese das Buch: „Sein Kampf. Antwort an Hitler“. Dieses Werk war eine Fortführung und Vertiefung der 1933 veröffentlichten Flugschrift „So oder so“ und erlebte bis 1938 in Österreich mehrere Auflagen mit zirka 20.000 Exemplaren. Die US-amerikanische „Anti-Defamation League“ finanzierte 1937 eine englischsprachige Übersetzung und sandte Exemplare an alle öffentlichen Bibliotheken in den USA. Im selben Jahr erschien in Brüssel auch eine französischsprachige Ausgabe. Dieses Buch ist aus verschiedenen Gründen bemerkenswert: Es zeugt von einer tiefen Kenntnis jüdischer Kultur und Religion. Die jüdische Geschichte wird ausführlich geschildert und es räumt mit vielen christlichen Vorurteilen auf. Diese Passagen zeigen, dass Harand das Buch in enger Zusammenarbeit mit Moriz Zalman